Charlotte und Eberstein nahmen Richtung auf die Stelle, die der Graf und Premierleutnant Baum zur Ausführung ihres Vorhabens ausgesucht hatten.
Die Pferde gingen immer ruhigen Schritts weiter. Die Glockenschläge der Sankt Martinskirche verrieten Eberstein, daß er sich noch Zeit lassen konnte. Sie nahmen ihren Weg am Ufer der Fulda entlang, die links und rechts von dichtem Gebüsch gesäumt war.
Nachdem Eberstein eine Weile verstockt geschwiegen hatte, redete er jetzt um so heftiger auf Charlotte ein. Er verstieg sich sogar zu Vorwürfen.
»Ich mache mich bei den Herren des Offizierskorps schon langsam lächerlich mit meiner erfolglosen Werbung. Und für einen Mann in meiner Stellung gibt es nichts Schlimmeres, als lächerlich zu sein.«
Charlotte runzelte ganz leicht die Stirn.
»Soll das eine Erpressung sein«, fragte sie.
»Um Gottes willen, faßt es nicht falsch auf«, versicherte ihr Eberstein. »Ihr sollt lediglich wissen, wie sehr ich um Euch leide.«
»Das ist einzig und allein Euer eigenes Pech, Graf« , erwiderte sie, und es lag leichter Spott in ihrer Stimme. »Aber es soll nicht an mir liegen, wenn dieses Leiden fortgesetzt wird. Gebt endlich den Wunsch auf, mich zur Frau zu gewinnen, und Ihr seid Meister der Situation.«
»Ich kann nicht«, erwiderte Eberstein und vergaß nicht, seiner Stimme einen traurigen Ausdruck zu verleihen.
»Nun, wenn Ihr nicht könnt, ich kann. Wir wollen nicht als Feinde auseinandergehen. Ihr wart der Freund Michel Baums, und als solchen will ich Euch betrachten. Scheiden wir ohne Bitterkeit. Nehmen wir diese Stunde als Stunde des Abschieds.«
»Niemals.«
»Doch, um Eurer selbst willen muß es sein.«
»Nehmt keine Rücksicht auf mich, Charlotte.«
Sie blickte erstaunt zu ihm hinüber.
»Indirekt habt Ihr es doch soeben noch verlangt.«
»Es war nicht so gemeint. Ich bin schon froh, wenn ich hin und wieder eine Stunde mit Euch ausreiten darf.«
Sie schwiegen. In einem Bogen ritten sie jetzt vom Ufer der Fulda weg dem Eingang des Parks zu.
Als sie ihn fast erreicht hatten, zügelte Eberstein sein Pferd und stieg ab.
»Weshalb steigt Ihr ab?« fragte Charlotte verwundert.
»Ich möchte Euch bitten, es ebenfalls zu tun. Ich habedas Bedürfnis, ein wenig an Eurer Seite zu schreiten -auch wenn es hoffnungslos ist.« Charlotte schüttelte den Kopf.
»Ihr seid kindisch, Graf. Seid doch ehrlich vor Euch selbst. Ihr liebt mich doch gar nicht. Eure Bemühungen gelten auch nicht mir, der Charlotte Eck, sondern der einstigen Freundin Eures Freundes Baum. Der Himmel mag wissen, weshalb Ihr Euch verpflichtet fühlt, Michels Stelle bei mir einzunehmen.«
Eberstein reagierte nicht auf das, was sie gesagt hatte. »Tut mir doch den Gefallen, steigt auch ein wenig ab.«
Er trat dicht an ihr Pferd heran und half ihr galant aus dem Sattel. Sie gingen nebeneinander her und führten die Tiere am Zügel.
Als sie den Parkeingang erreicht hatten, jene Stelle, wo der Weg eine Biegung machte, verhielt Eberstein den Schritt.
Langsam wandte er sich zu ihr. Wieder schlug die Glocke der Sankt Martinskirche. Es war der richtige Zeitpunkt.
»Weshalb bleibt Ihr hier stehen?« fragte Charlotte.
»Charlotte«, hauchte er, »ich — ich — ich liebe Euch wahnsinnig.«
Ein irres Feuer brannte in seinen Augen. Charlotte trat erschrocken einen kleinen Schritt zurück.
Aber da war er schon bei ihr. Mit Gewalt riß er sie in seine Arme und preßte seinen Mund auf den ihren.
Charlotte war so fassungslos, daß sie im ersten Augenblick vergaß, Widerstand zu leisten. Dann aber bekam sie ihre Fäuste frei.
Jedoch war es zur Gegenwehr schon zu spät; denn in diesem Augenblick sagte eine Stimme:
»Oh — ist es denn möglich! Meinen herzlichsten Glückwunsch!«
Neben ihnen stand Richard Baum. Sein Jungengesicht war zu einem breiten Lachen verzogen. Er dachte gar nicht daran, sich diskret zurückzuziehen, sondern streckte die Hände aus: Charlotte und Eberstein fuhren auseinander.
»Darf man als erster gratulieren?« fragte Richard Baum.
»Ihr dürft«, gestand Eberstein zu.
Die beiden Gauner schüttelten sich die Hände.
»Und Euch, gnädiges Fräulein«, wandte sich der Premierleutnant an Charlotte.
Charlotte stand da, blaß, mit weißen Lippen und mit einer steilen Falte über der Nase.
»Es ist unerhört, Graf«, rief sie, »was Ihr Euch da erlaubt habt!«
»Das finde ich auch«, sagte eine dunkle Stimme.
Alle drei fuhren herum.
Sie sahen einen Mann, der aus einer Hecke heraustrat. Er kam langsam auf sie zu.
Er trug einen großen, breitrandigen Hut, wie er hierzulande nicht üblich war, den er tief in die Stirn gezogen hatte.
Die beiden Offiziere waren erschrocken. Premierleutnant Baum ermannte sich zuerst.
»Was will Er hier?« fragte er barsch.
Der Fremde war bis auf drei Schritte Entfernung herangekommen.
»Halt den Mund, Kleiner«, sagte er zu dem Premierleutnant. »Wir sprechen uns später.«
»Er Lümmel, Er!« rief Richard Baum aufgebracht.Der Fremde kümmerte sich nicht darum. Er wandte sich jetzt an den Grafen:
»Ihr seid derselbe Schweinehund geblieben, der Ihr immer wart, Eberstein. Die Zeit allein scheint den Menschen eben doch nicht zu wandeln.«
Bei den letzten Worten hatte die Stimme des Fremden einen helleren, metallischen Klang angenommen. Und daran erkannten sie ihn.
Eberstein fuhr zurück. Mit weitaufgerissenen Augen starrte er die Erscheinung an.
»B — B — Bau — Baum«, stotterte er entsetzensbleich.
»Michel!« schrie Charlotte auf, »Michel — Michel -Michel !« Mit zwei Schritten war sie bei ihm und fiel ihm um den Hals. »Du glaubst doch nicht, daß ich mit Eberstein .. .« sagte sie hastig.
»Nein, Charlotte, ich bin euch den ganzen Weg unauffällig gefolgt und habe gehört, was du gesagt hast.« Endlich hatte Michels Sehnsucht Erfüllung gefunden. Die, an die er in den vergangenen Jahren so oft hatte denken müssen, war jetzt bei ihm. Aber trotz aller Seligkeit verließ ihn nicht für einen Augenblick die notwendige Aufmerksamkeit.
Der Graf hatte sich den Moment, indem die beiden Menschen sich in den Armen lagen, zunutze gemacht und blank gezogen.
Michel drückte Charlotte zur Seite.
»Nun, du Hund, wenn du zurückgekommen bist«, schrie Eberstein wütend, »so werde ich mich beeilen, dich jetzt nachträglich noch dorthin zu befördern, wohin du gehörst. In die Hölle mit dir!«
Er machte Anstalten, den waffenlosen Michel anzugreifen. Da aber erwuchs diesem eine unerwartete Hilfe.
Premierleutnant Baum war es wie Schuppen von den Augen gefallen. Er war sich sofort darüber im klaren, daß er seinen Vetter vor sich hatte. Und plötzlich erkannte er auch, wie unwürdig derjenige war, dem er seine Freundschaft geschenkt hatte.
Auch er zog seinen Degen heraus, um den wehrlosen Angegriffenen zu verteidigen. Allerdings wußte er von vornherein, daß er der sehr guten Fechtkunst Ebersteins nicht gewachsen war.
Michel schien das falsch verstanden zu haben. Er wich dem Stoß des Grafen geschickt aus, kam auf diese Weise neben seinen Vetter zu stehen, holte aus, versetzte ihm einen Kinnhaken, der den Jungen umwarf, entriß dem Gestürzten den Degen und stand Eberstein nunmehr abwehrbereit gegenüber.
»Gelüstet es Euch nach meinem Blut?« fragte Michel spöttisch.
In Ebersteins rotunterlaufenen Augen funkelte der Haß. Er galt als der beste Fechter des Regiments.
»Du hast keinen Oberleutnant oder Rittmeister mehr vor dir«, schrie er. »Der Major Graf von Eberstein wird dich Mores lehren, du verdammter Deserteur!«
Michel wehrte seine Hiebe und Stiche mit Leichtigkeit ab. Er spielte nur mit seinem Gegner.
»Höflicher scheinst du auch noch nicht geworden zu sein. Und was deine Fechtkunst anbelangt, so hängt es nur von mir ab, ob du den Platz hier lebend verläßt oder nicht.«
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