»Prahler!« schrie Eberstein wütend und drang erneut auf ihn ein.
»Weißt du noch«, spottete Michel, »wie ich dir damals den Hosenboden aus der Hose schnitt?
Zweifelsohne würden sich die Leute deiner Abteilung kranklachen, wenn ihr Major mit nacktem Hintern vom Pferd stiege.«
»Du Hund!« keuchte Eberstein.
»Schimpfe nicht, kämpfe.«
Klirrend klang Stahl auf Stahl. Es dauerte nicht lange, und auf Ebersteins Stirn perlte der Schweiß. Michel blieb auf seinem Fleck stehen, breitbeinig, ohne daß man ihm die geringste Anstrengung ansah.
»Höre, Eberstein, ich lasse dich ungeschoren. Ich will dir deine Gemeinheiten nicht vergelten, wenn du versprichst, mich nicht zu verraten. Ich weiß zwar, daß ich auf dein Wort nichts geben kann; aber ich versichere dir, daß Verrat dein Ende sein wird.«
»Hängen sollst du!«
»Die Nürnberger hängen keinen, bevor sie ihn nicht haben«, lachte Michel.
»Hier! — Nimm!« Der Graf führte einen tückischen Stoß nach Michels Unterleib. Aber auch diesmal glitt sein Degen an dem des Gegners ab. Michel schien von dem Gang genug zu haben.
Er ging nun seinerseits zum Angriff über. Und es währte nur wenige Sekunden, bis Ebersteins Degen in hohem Bogen durch die Luft flog und mit zitterndem Heft im Boden steckenblieb.
Michel setzte dem Grafen die Spitze seines Degens auf die Brust.
»Na, wie ist es? Gibst du mir dein Versprechen?«
Richard Baum hatte sich langsam von dem Kinnhaken erholt. Aber er blieb auf dem Boden sitzen und schaute dem Kampf fasziniert zu. Noch nie hatte er einen Fechter gesehen, der den Degen mit solcher Leichtigkeit handhabte. Sein Respekt vor dem Vetter stieg gewaltig.
Eberstein erbleichte bis in die Haarwurzeln. Er wußte, daß er verloren war. Aber durfte er sich hier vor Charlotte diese Blöße geben? Und nicht nur das Mädchen war Augenzeuge des Kampfes, sondern immerhin auch ein Offizier seiner Abteilung. Kein Mensch konnte Richard Baum zwingen, das, was er gesehen hatte, zu verschweigen.
Der Graf sah keinen Ausweg.
»Stich zu, du Schuft!« rief er heroisch.
Michel lachte ihm ins Gesicht.
»Wozu soviel Heldenmut? Du weißt genau, daß ich keinen wehrlosen Menschen töte.«
»Dann gib mir meinen Degen wieder.«
»Sinnlos«, antwortete Michel, »denn du wärst ihn im nächsten Augenblick doch wieder los.
Gibst du das Versprechen?«
»Nein. — Ich bin Offizier und weiß zu sterben. Es wäre mit meiner Ehre unvereinbar, einen Deserteur zu decken.«
»Womit unvereinbar?« fragte Michel.
»Mit meiner Ehre.«
»Du kannst dir dein dummes Gerede schenken. Ich habe noch selten einen ehrloseren Wicht gesehen als dich. Ehre, wie kann ein Mensch deines Schlages überhaupt von Ehre sprechen ! Ich kenne nicht nur deine alten Schandtaten. Ich weiß, daß du keinen Deut besser geworden bist. Dir und deinem sauberen Herrn Vater verdankt die Familie Hirschfelder das große Unglück. Willst du leugnen, daß ihr Abraham Hirschfelder auf dem Gewissen habt? Daß ihr ihn erpreßt habt?
Daß ihr mit anderen Menschen spieltet, um euch zu bereichern? Ja, Charlotte, du weißt das noch nicht. Ich werde dich über alles aufklären.«
»Das geht dich überhaupt nichts an«, rief Eberstein wütend.
»O doch, das geht jeden an. Jeden, der ein Mensch ist.«
»Ich habe nicht gewußt«, sagte Eberstein, »daß du dich neuerdings auch noch zum Anwalt von Juden aufschwingst.«
»Du weißt manches nicht, du Mann der großen Worte. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Christen. Ich weiß nur, daß die meisten Juden zehnmal besser sind als du.
— Nun, ich bin nicht gekommen, um mit dir über solche Dinge zu rechten. Gib das Versprechen, das ich von dir forderte, und du kannst unbehelligt gehen. Mich gelüstet nicht nach Rache.«
Eberstein biß die Zähne zusammen und — gab dann sein Ehrenwort, nichts zu verraten.
Eine Minute später war er bereits außer Sicht.
»Michel, Michel, Michel«, rief Charlotte, des jungen Leutnants Baum nicht achtend, »wie froh bin ich, daß ich dich wiederhabe, wie glücklich, wie glücklich!«
Er legte seine braune Hand auf ihren Kopf und streichelte sie zärtlich.
»Zehn Jahre habe ich darauf gewartet«, sagte er langsam und leise. »Zehn Jahre habe ich davon geträumt, dich einmal wieder in meine Arme nehmen zu können. Zehn Jahre sind eine lange Zeit.«
»Sie sind ein Nichts, Michel. In dieser Minute sind sie verflogen wie Schall und Rauch. Ich ahnte immer, daß nicht alles wahr war, was Eberstein erzählt hat. Ich wollte, daß du am Leben seist. Und innen drin, ganz tief innen, da war jemand, der mich immer wieder an dich erinnerte.«
»So muß ich eigentlich diesem Jemand Dank sagen«, lächelte Michel. »Werden wir nun wohl zusammenbleiben?«
»Nichts kann mich mehr von dir trennen.«
»Auch nicht, wenn du mit mir nach Amerika gehen sollst?«
Charlotte war im ersten Augenblick etwas betroffen. Aber dann trat ein Glanz in ihre Augen.
»Wenn es sein muß, Michel, auch dann.«
»Es muß sein, mein Kind, denn in Kassel kann ich nicht bleiben. Irgendwann würde ich auffallen. Irgendwann würde sich jemand daran erinnern, daß ich früher einmal aus eigener Machtvollkommenheit der Armee adieu gesagt habe.«
Charlotte nickte.
In einiger Entfernung stand der Premierleutnant Baum. Umständlich machte er sich am Sattelknauf zu schaffen. Als er die Pause bemerkte, die in der Unterhaltung der beiden eingetreten war, wandte er sich rasch um.
Er ging auf Michel zu und verbeugte sich höflich.
»Mein Name ist Richard Baum. — Ich — ich — bin Euer Vetter.«
Michel betrachtete ihn sich von oben bis unten.
»Deine Uniform ist schmuck und sauber«, sagte er. »Wenn man doch von dem Menschen, der darin steckt, dasselbe behaupten könnte !«
Richard Baum blickte zu Boden. Offensichtlich schämte er sich.
»Ich weiß, daß ich große Schlechtigkeiten begangen habe. Aber Eberstein war mein Freund. Und er war nicht zuletzt mein Freund, weil er mir immer von der Freundschaft zwischen ihm und Euch vorgeschwärmt hatte.«
»Er ist ein verdammter Seelenverkäufer.«
»Ja, ich habe es gemerkt. Und meine Freundschaft für ihn ist vorbei.«
»Nun, dann reich mir die Hand, Vetter. Vielleicht ent-wickelst du dich doch noch zu einem ganz vernünftigen Menschen. Fehler macht jeder einmal. Besonders, wenn er noch so jung ist wie du.«
»Ich danke Euch, Herr Vetter.« Michel schlug ihm auf die Schulter. »Du brauchst mich weder Herr noch Euch zu nennen. Ich hasse diese Konventionen. Du bist ein Baum, und ich bin ein Baum. Wir gehören doch zusammen. Also sag du zu mir und Michel.«
Richards junge Augen strahlten. Er war nur leichtsinnig, aber er war nicht schlecht. Gern schlug er in die ihm gebotene Hand ein.
»Wie bist du eigentlich zu dieser Uniform gekommen?« fragte Michel.
»Es war seit je mein Wunsch, Offizier zu werden.«
»Welch ein Wunsch für einen Baum!« rief Michel verwundert aus.
»Ist es schlecht, Offizier zu sein?«
»Nein, nein, aber was hat man davon? Man vertrödelt seine Zeit mit unnützen Dingen.«
»Unnütze Dinge? — Ist der Ruhm der Schlacht ein unnützes Ding?«
»Oh, gewiß, das unnützeste von allen.«
»Aber Heldentum? — Ist Heldentum nicht das Höchste auf der Welt?«
Michel lachte laut.
»Oh, mein Junge, glaubst du wirklich, daß es das Höchste sein kann, anderen Menschen das Leben zu nehmen und dafür belohnt zu werden?«
»Die anderen sind aber Feinde.«
»Feind ist nur, wer mich angreift. Wer greift euch schon an?«
»Das kommt darauf an. Wenn sie nicht angreifen, dann greifen wir sie an.«
»Siehst du, so ist das. Hauptsache, Krieg. Hauptsache, Leute wie du können Schlachten schlagen, Helden werden und Orden tragen. Warum und wozu das alles ist, darüber hast du dir wohl noch nie Gedanken gemacht, wie?«
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