Als die Gesellschaft zu Ende war, fragte Rudolf von Eberstein seinen Vater:
»Steht es schon so schlecht um uns, daß wir unseren Schmuck verkaufen müssen?«
»Wenn uns der alte Abraham nicht bald aus der Klemme hilft, dann wird uns tatsächlich nichts anderes übrigbleiben. Na, wollen abwarten. Paß auf, spätestens übermorgen haben wir zehntausend, vielleicht sogar zwanzigtausend Dukaten verdient.«
»Willst du mir nicht deinen Plan endlich auseinandersetzen?«
»Das will ich nicht. Ich habe dir deine Aufgabe zugewiesen. Du hast nichts zu tun, als weiter um Rachel zu werben. Du mußt dir den Anschein geben, als hinge dein ganzes Sein von diesem Mädchen ab. Vergiß das nicht. Und falle morgen nicht in Ohnmacht, wenn sich Dinge ereignen, die dir im ersten Moment unbegreiflich sind.«
»Sprich doch nicht in Rätseln, Papa.«
»Ich spreche nicht in Rätseln, sondern nur verschlüsselt.«
Ein guter Spekulant arbeitet nie mit offenen Karten. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Rudolf von Eberstein entfernte sich. Der Alte gähnte und wandte sich ebenfalls seinem Schlafzimmer zu. Aber kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, war er so munter, als sei er eben aufgestanden.
»Wo seid Ihr, Baum?« fragte er.
Ein Licht flammte auf. Bald brannten auch die übrigen Kerzen des Leuchters. In ihrem Schein stand Richard Baum.
»Ich habe mich wunschgemäß zu Eurer Verfügung gehalten, Graf.«
»Das ist sehr schön. Und Ihr habt auch Rudolf gegenüber geschwiegen?«
»Ja, ich bin doch kein Waschweib.«
»Hihihi, gut, gut, mein Lieber, aus Euch wird noch mal was. Habe gehört, Ihr steckt bis über die Ohren in Schulden. Stimmt das?«
Richard Baum schlug die Augen nieder. Dann meinte er langsam :
»Ich kann das leider nicht bestreiten. Aber ich möchte doch meine Schulden nicht gerade zum Gegenstand unseres Gesprächs machen.«
»Gegenstand — Gespräch — parbleu, vorzüglich. Natürlich Gegenstand unseres Gesprächs.
Wichtigster Gegenstand sogar.«
»Wie meint Ihr das?«
»Meine, daß Ihr allen Grund hättet, Euch ein paar hundert Dukaten zu verdienen, nicht wahr?«
»Ein paar — hundert — Dukaten?« Richards Stimme klang erregt.
»Ganz recht. Paar hundert Dukaten, sagen wir vierhundert.«
»Vier — vier — vierhundert?«
»Ja.«
»Und was habe ich dafür zu tun?«
»Nicht viel. Morgen früh bei Dienstantritt nehmt Ihr ein Détachement Dragoner und spielt ein wenig Polizei. Das ist vorläufig alles.«
»Polizei?«
»Ja, ja. Nun hört gut zu. Es handelt sich darum, einen Gauner zu fangen. Aber ich möchte die dafür zuständigen Behörden nicht behelligen. Hier mein Plan ...«
Richard Baum verließ eine Stunde später nachdenklich das Haus.
33
Abraham Hirschfelder war Frühaufsteher. Von jeher pflegte er morgens um sechs das Bett zu verlassen. Vor dem Frühstück unternahm er einen kurzen Spaziergang. Gegen halb sieben war er schon in seiner Werkstatt. Mit einem umfangreichen Schlüsselbund öffnete er die durch mehrere Schlösser gesicherten, aus starken Eichenbohlen bestehenden Türen, die ein unbefugtes Eindringen in die Werkstatt unmöglich machten.
So auch an diesem Morgen.
Seine beiden Gesellen erschienen gewöhnlich erst gegen acht Uhr.
Er hatte gerade seine Arbeit aufgenommen, als plötzlich ein halber Dragonerzug auf den Hof geritten kam.Ein paar scharfe Kommandos erklangen, die Reiter saßen ab.
Abraham blickte erstaunt durch das kleine vergitterte Fenster. Im Frühlicht erkannte er den jungen Premierleutnant Baum, der gestern abend ebenfalls auf der Gesellschaft des Grafen von Eberstein gewesen war.
Baum wandte sich dem hinteren Eingang des Wohnhauses zu.
Gerade wollte er den Türklopfer betätigen, als ihn eine Stimme im Rücken davon abhielt.
Abraham war aus der Werkstatt getreten und sagte:
»Guten Morgen, Herr Leutnant. Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches zu so früher Stunde?«
Baum zögerte einen Augenblick, bevor er sich umwandte. Dann aber grüßte er höflich und meinte :
»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Herr Hirschfelder, aber leider ist ein unerfreuliches Ereignis eingetreten, das mich zwingt, eine Haussuchung bei Euch vorzunehmen.«
Abrahams dunkle Augen waren weit aufgerissen. »Eine Haussuchung? Das ist ja wohl.,.«
»Ja, mein Herr, es ist betrüblich. Ihr könnt es natürlich verweigern, aber dann muß ich die Stadtmiliz benachrichtigen. Das würde wahrscheinlich unangenehmer sein. Aus Rücksicht auf Euch und Euer Fräulein Tochter bat mich Graf Eberstein, die Haussuchung mit meinen verschwiegensten Soldaten vorzunehmen. Nicht nur bei Euch, sondern auch bei den anderen Herrschaften, die gestern abend Gäste des Grafen waren.«
»Aber um Himmels willen, was ist denn geschehen?« Richard Baum machte eine Kunstpause.
Dann antwortete er schneidend :
»Der Ring mit dem großen Diamanten ist gestern abend gestohlen worden.« Er betonte jedes Wort.
»Der — der — der Ring ist gestohlen?«
»Es ist bedauerlich, aber es ist so.«
»Und da verdächtigt man mich?« brauste der alte Abraham auf.
»Natürlich nicht nur Euch. Alle stehen im Verdacht, das Schmuckstück gestohlen zu haben. Die Diebe können natürlich auch beim Personal zu suchen sein; aber das wird die Polizei herausfinden. Auf das Personal braucht man keine Rücksicht zu nehmen. Anders ist es jedoch bei Euch, dem Freiherrn von Hasselmann und Baron von Rabenalt. Um zu vermeiden, daß es Aufsehen gibt, bat mich der Graf, die undankbare Aufgabe ganz im geheimen zu erledigen, vorausgesetzt natürlich, daß Ihr einverstanden seid.«
»Es — es — es ist unerhört. Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten. Allein dieser Verdacht treibt mir die Schamröte ins Gesicht.«
Baum senkte die Augen. Aber eingedenk des Auftrags, den ihm der Graf gegeben hatte, ließ er keine weichen Gefühle in sich aufkommen, sondern meinte :
»Ihr habt Euch besonders für den Schmuck interessiert, Herr Hirschfelder. Das braucht natürlich nichts zu bedeuten. Aber Ihr werdet verstehen, daß der Graf Klarheit wünscht. Diese Haussuchung wird ja nicht zuletzt aus dem Grunde unternommen, um alle Verdächtigen von jedem Verdacht reinzuwaschen. Wenn das geschehen ist, so wird der Fall der Polizei übergeben, die sich dann um das Personal kümmern wird.«
Hirschfelder hatte sich wieder gefaßt. »Tut Eure Pflicht«, sagte er hart.»Dürfen wir Euch bitten, die Herrschaften im Haus darauf vorzubereiten?«
»Selbstverständlich werde ich das tun. Ich gehe nach oben.«
»Ich danke Euch.«
Der Premierleutnant winkte dreien seiner Leute und folgte mit diesen dem alten Herrn.
Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, begann die umständliche Suche.
Ein genauer Beobachter hätte leicht feststellen können, daß es die Dragoner an der notwendigen Sorgfältigkeit durchaus fehlen ließen. Das Ganze mutete mehr wie eine Komödie an.
Frau Judith war fassungslos. Rachels Augen sprühten Blitze. Sie faßte das Ganze als einen boshaften Akt der Demütigung auf. Sie glaubte keinen Augenblick daran, daß die Grafen Eberstein in Wahrheit auch nur die geringste Spur eines Verdachts gegen ihren alten Vater hatten.
»Es ist die Rache für den Korb, Mutter«, sagte Rachel leise.
»Oh, Kind, sprich nicht so etwas aus. Daß ich diese Schande erleben muß !«
Als man in der Wohnung nichts gefunden hatte, bat der Premierleutnant sehr höflich aber bestimmt, ihn jetzt in Keller und Werkstatt suchen zu lassen.
»Selbstverständlich in Euerm Beisein, Herr Hirschfelder«, fügte er hinzu.
Auch die Suche in Keller und Werkstatt blieb erfolglos.
Als sich Baum jetzt in höflichen Worten für das Entgegenkommen Abrahams bedanken wollte, rief plötzlich ein Dragoner:
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