»Ein Fall von Ehebruch – wie aufregend.«
»Spar dir deinen Zynismus, Erwin. Damit kommst du bei mir nicht durch.« Sydow durchmaß das Büro und blieb vor dem Schreibtisch stehen. »Das Brisante daran: Auf nicht näher bekannte Art und Weise scheint besagte Dame in den Besitz hochbrisanter Akten aus dem Führungszirkel um den ehemaligen Reichsführer-SS gelangt zu sein. Von da an, dem Besitz einer Liste mit hundertprozentig verlässlichen Kameraden aus den Reihen sogenannter Werwölfe, bis zum Versuch, SS-Obersturmführer Ewald zu erpressen, ist es kein großer Schritt. Ausgerechnet Ewald, ein alter Bekannter aus Kiewer Tagen. Peinlich, Erwin, was?«
Hattengruber schnitt eine Grimasse und schwieg.
»Keine Antwort ist auch eine Antwort. Machen wir’s daher kurz, Herr Kriminalrat: Um seine Existenz als Saubermann nicht aufs Spiel zu setzen, aber auch, um bei den geplanten Anschlägen auf amerikanische Einrichtungen freie Bahn zu haben, kommt euer Mann fürs Grobe ins Spiel. Will heißen, bei der Übergabe des Geheimdossiers kriegen sich Matuschek und besagter Möchtegern-Arier in die Haare, und Letzterer weiß sich nicht anders zu helfen, als die Erpresserin um die Akten zu erleichtern und sie anschließend von der Invalidenbrücke auf die Gleise zu stoßen, wo sie von einer Rangierlok erfasst und mitgeschleift wird. Pech für euch, dass der Lokführer zum unfreiwilligen Zeugen wurde. Weshalb besagter Recke beschließt, die Sache an Ort und Stelle zu erledigen und den unbequemen Beobachter ins Jenseits zu befördern. Was, wie wir beide wissen, fehlgeschlagen ist.«
»Ende der Vorstellung?«
»Im Gegenteil, Erwin – jetzt wird’s erst richtig interessant.«
»Oder noch langweiliger.«
»Weil just in diesem Moment ein gewisser Erwin Hattengruber, wie Ewald ehemaliges SS-Mitglied, die Bühne betritt.« Sydow pumpte einen Schwall Luft in die Lungen und fuhr mit wachsender Erbitterung fort: »Erinnerst du dich noch an heute Morgen, Erwin? Als du mich auf halb elf zum Rapport bestellt hast? Erinnerst du dich daran, ja oder nein?«
»Zu Ihrer Information, Herr von Sydow: Ich leide noch nicht unter …«
»Gedächtnisschwund? Anscheinend doch, Erwin. Sonst würde sich der Herr Kriminalrat nämlich an den Namen der Toten erinnern, den er aus dem Mund eines gewissen Tom Sydow erfahren hat.«
»Na und, das beweist noch gar nichts.«
»Irrtum, Erwin. Das beweist alles.«
»Ach ja?«
»Von allen, die an der Aufklärung des Falles beteiligt waren, warst du außer mir der Einzige, der ihren Namen gekannt hat, Erwin. Das zum Thema Beweis.«
Ins Zwielicht gehüllt, aus dem nur noch sein Kopf hervorragte, war vom Habichtsblick des Kriminalrates nicht mehr viel übriggeblieben. »Wollen Sie etwa behaupten, Herr Kriminal…«
»Um es auf den Punkt zu bringen, Erwin: Der Wunsch der Briten, mir die Aufklärung des Mordes an deinem abtrünnigen Kameraden zu übertragen, kam dir wie gerufen. Nur so hat sich dir nämlich die Gelegenheit eröffnet, Lilian Matuscheks Kellerloch auf den Kopf zu stellen und dir die Liste, hinter der Ewald her war, unter den Nagel zu reißen. Um sicherzugehen, dass euch niemand an den Karren fahren kann, hast du gleichzeitig euren Mann fürs Grobe damit beauftragt, mich mithilfe einer Panzerfaust aus dem Weg zu räumen. Auf gut Deutsch gesagt – Sydow tot, Problem bereinigt. Schade nur, dass ich dem Teufel noch mal von der Schippe gesprungen bin. Ein Schicksal, das Ewald, den du zusammen mit diesem Vorzeigearier aufs Korn genommen hast, leider nicht beschieden war.«
»Ewald ermorden – und weshalb?«
»Bezeichnend, dass du seinen richtigen Namen benutzt. Was mich betrifft, kann ich mir das Ganze nur so erklären: Nachdem die Attacke à la SS fehlgeschlagen war, haben du und der Dritte im Bunde, über den gleich noch zu reden sein wird, schlichtweg kalte Füße bekommen. Früher oder später, so euer Kalkül, würde ich Ewald möglicherweise auf die Spur kommen. Um eure Operation nicht zu gefährden, habt ihr euch entschlossen, Mister Persilschein aus dem Weg zu räumen. Wer weiß, womöglich war er auch ein unsicherer Kantonist. Hauptsache, die Chose würde wie geplant über die Bühne gehen. Pünktlich zum Jubiläum sozusagen.«
»Jubiläum?«
»Neun Jahre Kriegsbeginn – schon vergessen?« Mit einem Blick, in dem sich seine ganze Verachtung widerspiegelte, fuhr Sydow fort: »Dass ich dir erneut in die Quere kommen würde, konntest weder du noch dein reinrassiger Kamerad, der dabei auf der Strecke geblieben ist, ahnen.«
»Alles schön und gut, Herr von Sydow – aber die Sache hat leider einen Haken.«
»Und der wäre?«
»Dass es Ihnen bislang nicht gelungen ist, die Geheimakten aufzutreiben, von denen Sie unablässig faseln. Wer weiß, vielleicht existieren sie nur in Ihrer Fantasie.«
»Schon wieder falsch«, herrschte Sydow seinen Vorgesetzten an. »Ad eins: Mir liegt eine maschinengeschriebene Abschrift sämtlicher Akten vor, mit deren Hilfe Lilian Matuschek versucht hat, euch aufs Kreuz zu legen. Zu dumm, dass du sie bei der Durchsuchung ihrer Wohnung übersehen hast. Gängigen Vorurteilen zum Trotz handelte es sich bei ihr anscheinend um eine ziemlich ausgeschlafene Frau. Und um eine misstrauische mit dazu.« Das, was Sydow gerade von sich gegeben hatte, war der größte Bluff seit der Erfindung des Pokerspiels, so weit entfernt von den Fakten wie die Erde vom Mond. Aber es war die einzige Möglichkeit, Hattengruber aus der Reserve zu locken. Vorausgesetzt, der Mann, für den er noch gestern die Hand ins Feuer gelegt hätte, würde anbeißen. »Kurz gefasst: Besonders interessant daran erscheint mir eine Liste, auf der unter anderem du, Ewald und der Rottenführer einer sogenannten ›Gruppe W 45‹ auftauchen.« Das war einfach so dahergesagt, aber da Hattengruber sich nicht rührte, wähnte sich Sydow auf dem richtigen Weg. »Der Grund, weshalb besagte Liste auf Geheiß Himmlers zusammengestellt wurde, dürfte dir bekannt sein. Gesucht wurden von ihm besonders verlässliche und verschwiegene Kameraden, mit deren Hilfe die Stellung der Alliierten nach dem Krieg unterminiert, die SS reorganisiert und eine Reihe von Anschlägen auf alliierte Einrichtungen …«
»Genug, Tom, du hast gewonnen.« Bleich wie ein Leichnam, richtete sich Hattengruber auf, beugte sich nach vorn und klappte die Ledermappe mit dem vergoldeten Schnappverschluss zu, auf deren Vorderseite das Emblem der SS eingraviert war. Dann hob er die linke Hand und sah auf die Uhr. »Du warst schneller als erwartet, leider jedoch nicht schnell genug.«
»Zwölf Uhr, 16 Uhr, 20 Uhr – meinst du etwa, das überrascht mich, Erwin?«
»Kompliment, Tom. Mir scheint, dass du deinem Ruf als unser bester Beamter einmal mehr gerecht geworden bist.«
»Unser?«, schleuderte Sydow dem Kriminalrat entgegen. »Habe ich da eben richtig gehört? Ein Mann, hinter dem sich eine wahre Blutspur herzieht und der sich einbildet, einer von uns zu sein. Das schlägt dem Fass ja wohl den Boden aus. Weißt du, was du bist? Nein, Herr Kriminalrat – nicht etwa nur ein gewöhnlicher Krimineller. So einfach kommst du mir nicht davon. Du bist ein Massenmörder. Eine Bestie. Der Abschaum schlechthin.«
Hattengruber, von dem nur noch die Umrisse erkennbar waren, lachte spöttisch auf. »Der gute alte Tom Sydow«, lästerte er. »Rächer der Witwen und Waisen. Typisch, dass du nicht kapierst, was die Stunde geschlagen hat.« Hattengruber räusperte sich und fuhr mit vor Erregung vibrierender Stimme fort: »Die Zeit ist reif, Tom, reif für einen Neubeginn. Drei Jahre Fron haben gereicht, um unser Vaterland zugrunde zu richten. Ein Jahr mehr, und es würde aufhören zu existieren.« Die Stimme, die aus dem Halbdunkel jenseits des Schreibtisches zu Sydow herüberscholl, hatte nichts Menschliches mehr an sich. Es war die Stimme eines Mannes, von dem ein Dämon Besitz ergriffen hatte. Ein Dämon, gegen den er keine Gegenwehr leistete. »Damit, Tom, dem Niedergang unseres heiß geliebten Vaterlandes, wollen und werden meine Kameraden und ich uns nicht abfinden. Die Herrschaft des Weltjudentums und des Bolschewismus, welche die Amerikaner und Briten für ihre Zwecke missbraucht haben, kann und muss für immer gebrochen werden. Verstehst du nicht, Tom? Haben die Amerikaner das Sowjetimperium erst einmal von der Landkarte getilgt, wird unsere Stunde kommen. Und wir werden endlich emporsteigen, genau so, wie es unser heiß geliebter …«
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