Die als ›fiktive Hauptpersonen‹ aufgelisteten
Charaktere sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Reale Hauptfiguren
Reinhard Heydrich(1904–1942), Oberleutnant der Reichsmarine, SS-Obergruppenführer, Leiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) der NSDAP, Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), Organisator des Massenmordes an den europäischen Juden, geschäftsführender Statthalter für das ›Protektorat Böhmen und Mähren‹
Adolf Eichmann(1906–1962), ›Judenreferent‹ im RSHA, ab 1939 für Deportation und Ermordung zuständiger Referatsleiter im RSHA, 1962 in Jerusalem hingerichtet
Heinrich Müller(1900–1945?), Chef des Amtes IV im RSHA (Gestapo), 1945 in Berlin verschollen
Jozef Gabcík(1912–1942), Jan Kubiš(1913-1942) und Josef Valcík (1914–1942), am Attentat auf Heydrich beteiligte Widerstandskämpfer
Karl Hermann Frank(1898–1946), Heydrichs Stellvertreter in Prag, 1939 Polizeichef und Staatssekretär, 1946 in Prag gehängt
Winston Churchill(1874–1965), britischer Premierminister von 1940–1945 bzw. 1951–1955
Stewart Menzies(1890–1968), Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6
Edvard Beneš(1884–1948), Mitbegründer, Außenminister, Regierungschef und Präsident der Tschechoslowakei
Josef Stalin(1878–1953), Generalsekretär der KPdSU und sowjetischer Diktator
Lawrenti Berija, (1899–1953), sowjetischer Geheimdienstchef, 1953 exekutiert
Fiktive Hauptfiguren
Rebecca Kahn, 22 Jahre, Tochter eines jüdischen Arztes aus Berlin
Tom von Sydow, 29, Hauptkommissar der Berliner Kripo
Erich Kalinke, 27, genannt ›Klinke‹, sein Assistent
Friedemann Bonin, 56, untergetauchter Sozialdemokrat und ehemaliges Mitglied der Berliner Philharmoniker
Kruppke, 28, Untersturmführer und Gestapo-Agent
Carl Gustav Moebius, 41, Obersturmführer und Gestapo-Agent
Irene von Möllendorf,35, Witwe von SS-Sturmbannführer Alfred von Möllendorf
›Der Marder‹, 29, Agent des britischen MI6
Magda Jannowitz alias ›Natascha‹, 30, Agentin des NKWD
Veronika Vehrenkamp,25, Telefonistin im RSHA
Jason McLeod,29, Wing Commander der Royal Air Force
Gunther und Brünnhilde So soll es sein! Siegfried falle! Sühn er die Schmach, die er mir schuf! Des Eides Treue hat er getrogen: mit seinem Blut büß er die Schuld! Allrauner, rächender Gott! Schwurwissender Eideshorst! Wotan! Wende dich her! Weise die schrecklich heilige Schar, hierher zu horchen dem Racheschwur!
Hagen Sterb er dahin, der strahlende Held! Mein ist der Hort, mir muss er gehören. Drum sei der Reif ihm entrissen. Alben-Vater, gefallner Fürst! Nachthüter! Nibelungenherr! Alberich! Achte auf mich! Weise von Neuem der Nibelungen Schar, dir zu gehorchen, des Ringes Herrn!
(Richard Wagner: Die Götterdämmerung, II. Akt, 5. Szene)
Für alle, die das gleiche oder ein ähnliches Schicksal durchleiden mussten wie die Heldin dieses Romans.
»Heydrich durchschaute die Geheimnisse des Dritten Reiches. Er wusste von Hitlers Krankheiten und Jugendsünden, hatte sogar seine Bekanntschaften um 1910 und den mysteriösen Selbstmord seiner ›Lieblingsnichte‹ Geli Rauball 1931 untersuchen lassen. Auch die Sünden der übrigen Mitglieder der Naziführungsriege kannte Heydrich.«
(Mario Dederichs: Heydrich. Das Gesicht des Bösen. München 2006, S. 101)
Ouvertüre
Berlin
(Montag, 19.01.1942 / Dienstag, 20.01.1942)
1
Bahnhof Grunewald 19.01. | 9.00h
Sie wollte leben. Einfach nur leben. Und nicht abtransportiert werden wie ein Stück Vieh.
Rebecca schlug den Mantelkragen hoch und trat frierend auf der Stelle. Es war kalt an diesem Morgen. So bitterkalt, dass jeder Atemzug schmerzte und sich ihre Schritte auf dem vereisten Bahnsteig wie ein Gang über ein Meer von Glassplittern anhörten.
»Name?«, bellte der SS-Oberscharführer und baute sich breitbeinig vor ihr auf.
»Rebecca Kahn.«
»Alter?«
»22.«
»Wohnhaft in?«
Rebecca fröstelte. Ausnahmsweise jedoch nicht wegen der Kälte. Es lag an der Art und Weise, wie sie dieser Kerl taxierte. Der klirrende Frost war nichts dagegen.
»Berlin-Schöneberg, Hohenstaufenstraße…«
»Schon gut! So genau will ich es gar nicht wissen!«, kanzelte sie der Uniformierte mit dem vorspringenden Kinn ab. Dann strich er ihren Namen durch. »Hauptsache, eine arisierte Wohnung mehr! Und jetzt mach, dass du weiterkommst!«
Doch Rebecca rührte sich nicht vom Fleck. Sie konnte einfach nicht anders. »Was macht Sie so sicher, Herr Oberscharführer?«, antwortete sie und strich eine störrische dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht.
Für den Bruchteil einer Sekunde geriet die stramme Haltung des SS-Mannes ins Wanken. Die Augen dieses Prototyps eines nordischen Recken wurden größer, nur um sich kurz darauf zu schmalen Schlitzen zu verengen.
»Was war das gerade eben, Judenbalg?«, knurrte er und wippte auf den Absätzen seiner blankpolierten Stiefel hin und her.
Rebecca setzte zu einer Erwiderung an. Es wurde jedoch nichts daraus. In das Menschenknäuel hinter der Absperrung kam Bewegung, und ihre Mutter tauchte auf. Grauhaarig, Mittelscheitel, Silberbrosche. Berlinerischer als die Berliner und preußischer als die Preußen. Sozusagen die Disziplin in Person. Und das, obwohl Vater anno 1938 von der SA wie ein räudiger Hund totgeschlagen worden war. Ein wehmütiges Lächeln trat auf Rebeccas Gesicht. Mutter war einfach nicht klein zu kriegen. Vaters Arztpraxis hatte sie per Strohmann einfach weitergeführt. Als ob nichts gewesen wäre. Bis gestern Abend. Da war selbst sie mit ihrer Weisheit am Ende gewesen.
»Rebecca, mein Kind, wo bleibst du denn?«, ereiferte sich die stattliche Matrone und zog sie mit sich fort. Dem SS-Mann blieb glatt die Luft weg. »Na, komm schon, oder willst du etwa hier Wurzeln schlagen?«
Ja, das wollte sie. Wurzeln schlagen. Und wenn, dann in Berlin. Selbst auf die Gefahr hin, untertauchen zu müssen. Zwei Jahre, höchstens drei. Dann wäre der Krieg sowieso vorbei. Rebecca setzte eine entschlossene Miene auf. Lieber ein Leben in Angst als Deportation. Lieber auf der Flucht vor der Gestapo als eine ungewisse Zukunft. Lieber frei sein als Freiwild für die SS.
So sie denn überhaupt in Riga ankommen würde.
In diesem Moment stand Rebeccas Entschluss fest. Daran konnte selbst ihre Mutter nichts ändern.
Sie riss sich los und blieb stehen. Das Gedränge auf dem Bahnsteig nahm zu. Es mussten Hunderte sein, wenn nicht mehr. Alles bekannte Gesichter. Leute aus der Nachbarschaft, aus demselben Viertel. Und immer wieder diese Kommandorufe. Scharf, durchdringend, gnadenlos. Rebecca hielt es nicht mehr aus.
Sie wollte leben. Einfach nur leben.
Was folgte, geschah mit rasanter Geschwindigkeit. Ohne dass Rebecca groß zum Nachdenken gekommen wäre. Für sie, die sie dem Tod zu entrinnen versuchte, bewegte sich die Welt jedoch wie in Zeitlupe voran.
Rebecca stellte ihren Koffer ab und sah sich um. SS-Männer, Polizei und Bahnbeamte in rauen Mengen. Trotzdem. Sie musste es riskieren. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig.
Während sie sich die Hände in der Manteltasche wärmte, stieß sie auf etwas Kaltes, Metallisches. Das EK I ihres Vaters. Mit das Einzige, was sie in der Hektik hatte mitnehmen können.
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