Über einer der Zellen prunkte Silvias Name, höhnisch, wie sie meinte, und neben der halb geöffneten Gittertür war eine metallene Ablage an die dicken eisernen Stäbe geschraubt mit einigen höchst befremdlichen Dingen darauf. Ein schwarzer, seltsam geformter Dildo stand da, rundlich war seine Spitze, zur Mitte hin verdickte er sich, wurde dann dünner und endete in einer ovalen Gummiplatte, die ihm stabilen Halt gab. Noch nie hatte Silvia ein solches Ding gesehen, doch gehörte nicht viel Fantasie dazu, in ihm den „Poformer“ zu erkennen, von dem im Buch der Regeln die Rede war und der auf die „speziellen Wünsche des Gebieters“ vorbereiten sollte. Solche Wünsche gab es in Wolfgang aber gar nicht, jedenfalls hatte er sie nur ein einziges Mal halbherzig dazu überreden wollen und nach ihrem entrüsteten Nein nie wieder damit angefangen.
In einer Vertiefung daneben lagen zwei silbern schimmernde Kugeln, etwas kleiner als Tischtennisbälle und von einem silbernen Kettchen miteinander verbunden. Sie also sollten die intimen Muskeln trainieren, auch so etwas hatte Silvia noch nie gesehen, wie unbedarft sie in solchen Dingen doch war. Natürlich war ihr auch der „Freudenslip“ unbekannt, nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass es so etwas Perverses geben könne. Er war aus schwarzem Leder, der Bund glich einem Gürtel mit silberner Schnalle, das vordere Dreieck wurde nach hinten zu einem dünnen Band wie bei einem String, und daran befestigt war ein mächtiger Godemiché mit wulstiger Spitze und faltigem Schaft, nach innen gerichtet. Damit sollte man essen? Unvorstellbar!
Anspornend klatschte der Aufseher in die Hände. „Auf, Mädchen! Macht euch fertig fürs Bett!“
Es gab drei Türen rechts des Eingangs, eine führte zu den hell beleuchteten Toiletten. Cremefarben gefliest waren der Boden und die Wände und es gab sechs Kabinen, drei rechts und drei links, jede mit dem Namen eines Mädchens an der gläsernen Tür. Jasmins Kabine lag der Silvias gegenüber und sie konnten sich gegenseitig sehen beim Sitzen auf der rosafarbenen Schüssel. Fast war es Silvia egal, dass auch der Aufseher hereinschaute, der auf und ab ging, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, sollte er halt sein zweifelhaftes Vergnügen an ihrem Anblick finden, daran, dass es vor diesem Mann kein Verstecken gab, musste sie sich wohl gewöhnen. So ganz egal aber war es ihr doch nicht, jedenfalls dauerte es eine Weile, bis sie endlich pinkeln konnte, fast war es, als habe sie ein großes Werk vollbracht.
Von den Toiletten gab es einen Zugang zum Duschraum. Auch dieser wurde von Neonlicht hell beleuchtet und auch er war cremefarben gefliest. Es gab sechs Duschkabinen mit gläsernen Wänden, sechs Waschbecken und sechs Bidets, auf denen sich die Mädchen niederließen, wie das nach jedem Besuch auf der Toilette zu geschehen hatte, so wurde Silvia erklärt. Natürlich waren all die rosafarbenen sanitären Einrichtungen mit Namensschildern gekennzeichnet, wie nicht anders zu erwarten in diesem Reich der Hygiene. Es tat gut, das Wasser, das sie da unten warm umspülte, anregend fast, nicht ohne wohliges Gefühl. Sie streiften das Gewand ab, warfen es in einen bereitgestellten Korb, damit es morgen gewaschen werde, und nahmen eine Dusche. Die Kleidung der Nacht bestand aus einem schwarzen, taillenkurzen, durchsichtigen und spitzenbesetzten Nichts von Hemdchen, in dem sie ähnlich nackt waren wie mit gar nichts an.
Und nun also wartete die Zelle! Silvia betrat sie wie eine unschuldig Verurteilte, aber sie war nicht unschuldig, denn sie hatte sich zum Aufenthalt in diesem anachronistischen Schloss überreden lassen und begehrte nicht auf, nichts, so musste sie sich eingestehen, geschah gegen ihren Willen. Es gab keine mildernden Umstände, schon gar keinen Freispruch, sie hatte ihn nicht verdient. Auch oben war der Käfig vergittert, als wolle man einen Ausbruchsversuch verhindern.
Es war, als sei die Luft hier drinnen komprimiert, sie lastete schwer, wie lähmend, reglos blieb Silvia stehen, sanft wurde die Tür hinter ihr zugezogen, mit einem höhnischen Klirren drehte sich der Schlüssel im Schloss, für einen Moment befürchtete sie, dass es sich nie mehr öffnen werde. Sie legte sich auf die Pritsche, deren Matratze weicher war als gedacht, sah die kurzen Ketten, die an jeder Ecke des Rahmens angeschmiedet waren, zog die seidige Decke hoch bis zum Hals und versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Es gelang ihr nicht. Wie schön hätte sie sich jetzt zu Hause in ihr Bett legen können an Wolfgangs Seite, um unbelastet von allen Sorgen einem neuen Tag entgegenzuschlafen, der sich von den vielen vergangenen und (vermutlich) noch viel mehr kommenden Tagen nicht unterschieden hätte. Der Gedanke an zu Hause war kein Trost, am besten wäre, sie bräuchte keinen.
„Gute Nacht. Träumt etwas Schönes“, sagte der Aufseher, als er alle Zellen verschlossen hatte. Das Licht verlosch bis auf eine schwache rötliche Notbeleuchtung, die Tür fiel hinter ihm zu, die Mädchen waren alleine.
Nichts war zu hören außer dem leisen Summen der Lüftung, dazwischen ein erschöpftes Seufzen, ein murmelnder Laut, ein leises Klirren, als spiele irgendjemand mit einer Kette. Keine sprach ein Wort, als fürchteten sie, dass man sie belausche und des Verstoßes gegen die Regel elf oder zwölf beschuldige, oder war es Regel zehn?
Silvia wusste es nicht, ihre Tränen aber versiegten wie die eines Kindes, das durch Wichtigeres von seinem Kummer abgelenkt wird. Ihre Hand umfasste einen der Gitterstäbe, als müsse sie sich vergewissern, dass dies alles kein Traum sei, und ohne dass sie es wollte, schweifte ihr Blick im Zwielicht zu diesem obskuren Sammelsurium an Stimulantia, betrachtete fast andächtig den „Freudenslip“ und den noch befremdlicheren „Poformer“. Sie lauerten geduldig auf den rechten Moment wie Belagerer, die wussten, dass sich die Zugänge der verlorenen Burg von ganz alleine öffnen würden. Der Sieg war ihnen gewiss, da unbezwingbare Waffen an ihrer Seite standen, nämlich die Zeit und die Regeln.
Silvias Augen fielen zu, die Erlösung des Schlafes sank herab, in seiner Begleitung befanden sich Scham und Bangen, dazu ein leises, unbegreifliches, schaurig-wohliges Kribbeln …
Über die Sensibilität des Kerkermeisters
Als Silvia wieder erwachte, wusste sie nicht, wie spät es war, ob noch tiefe Nacht oder vielleicht schon früher Morgen. Alles war still um sie herum bis auf ein leises Schnarchen links von ihr und ein schlaftrunkenes Röcheln von gegenüber. Noch immer erhellte nur die Notbeleuchtung dürftig den Raum, was aber nichts besagte, da ja kein Lichtstrahl von draußen hereindringen konnte. Vielleicht wurde die Welt dort draußen, zu der sie nicht mehr gehörte, gerade von der Morgendämmerung erhellt, vielleicht schon von der Sonne beschienen, als sei nichts geschehen.
Sie warteten noch immer an den Gittern, die Belagerer, die bald Eroberer sein würden, warteten ebenso geduldig wie unerbittlich, verwegen pralle Schemen im roten Licht der künstlichen Nacht. Doch maß Silvia ihnen zu viel Bedeutung bei. Sie waren nicht die Bezwinger, waren keine beseelten Wesen, sondern nur gleichgültige Gegenstände, Werkzeug, das sie vorbereiten würde auf die Wünsche ihres Gebieters und der unbekannten Männer.
Ob er das wusste, ihr liebender Gatte, der ihr, wie sie annahm, einen Seitensprung nie und nimmer verziehen hätte? Aber sicherlich hatte die Herrin ihm nicht verheimlicht, dass man sein Weib zu prostituieren gedachte, unmöglich, so etwas ohne sein Einverständnis zu tun. Weshalb ließ er das zu? Weil es nicht ihrem Privatvergnügen diente, sondern ihrer „Erziehung“, und weil sie es nicht aus eigenem Antrieb tat, sondern auf Befehl, in seinem Auftrag sozusagen, womit es ihn nicht herabsetzte, nicht schmähte, ihn ganz im Gegenteil zu ihrem Herrn erhob, der über sie nach Belieben bestimmte?
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