1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Alle sahen zu Zimmermann, der sofort nickte. »Es reicht bis zu konkreten Mordankündigungen.« Zimmermanns Finger knackten wieder, Sito zog unwillkürlich die Schultern nach oben, das Geräusch war ihm unangenehm, Zimmermann jedoch schätzte er sehr. »Das ist eine riesige Welle«, sagte der gerade und zog an dem kleinen Finger der linken Hand.
»Ich verstehe noch immer nicht«, sagte Auweiler. Der Bürgermeister drückte sich die flache Hand gegen den Magen. »Könnt ich wohl ein Glas Wasser haben?«
»Wir beobachten mit wachsender Sorge den organisierten Hass aus der rechten Ecke«, erklärte Zimmermann.
»Okay, ich kenn die Sprüche natürlich, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mob ausgerechnet in meiner Stadt zuschlagen würde. Und vor allem – was hat das mit der Geiselnahme zu tun?«
Busch war aufgestanden, um ein Glas Wasser zu holen, und reichte es Auweiler gerade. Der Bürgermeister trank gierig.
»Wir wissen es nicht«, begann Sito, sah zu Busch, der sich die Ärmel seines hellgrauen Hemdes hochkrempelte und noch weitere Gläser mit Wasser verteilte. Er war ein echter Teamplayer, das wurde Sito schlagartig bewusst, einer, der sich selbst auch zurücknehmen konnte. »Kollege Busch und ich sind uns aber einig, dass wir das nicht ausschließen dürfen. Weshalb sollte die Geiselnahme ausgerechnet heute stattfinden?«
»Vielleicht, weil dann weniger Polizeikräfte zur Verfügung stehen«, mutmaßte Goffer.
»Wir müssen es im Auge behalten«, sagte Sito. »Meine Hoffnung ruht derzeit auf Enzig. Ich hoffe, er kann sich irgendwie mit uns in Verbindung setzen.«
»Fakt ist«, mischte sich nun Zimmermann ein, stand auf und stellte sich neben Busch an den Computer. »Ich darf doch mal.« Busch machte Platz, und Zimmermann tippte, bis auf der Leinwand die Kommentarleiste einer anderen Facebook-Seite erschien. »Wenn Sie sich das hier anschauen, dann verstehen Sie vielleicht eher, was ich mit einer riesigen Welle meine.«
»Fahrt mit dem Panzer in die Demo!«
»Löscht aus, was euch kaputtmachen will.«
»Die Schulschwänzer sollte man alle verhaften.«
»Die Demo beginnt um vierzehn Uhr, da ist die Schule vorbei.«
»Ihr linksgrünen scheiß Ökofaschisten kommt euch besonders schlau vor, wie?«
»Die wollen uns nur das Geld aus der Tasche ziehen.«
»Manipulation der Dummen und ihr macht da mit.«
»Dreckspack, einsperren mussma das.«
»Früher hätts das net gegeben, dass so junge leut einfach alles von de alten schlecht machen. Wo hammsden alles her? Von de alten, von der kohle und des is ja au deutschland und wieso solln die deutschen die kohle und die chinesen machen was se wolln … nur meine meinung …«
»Elendes dreckspack. Ich kenn noch eine garage und gas hab ich auch noch 13/4/7 …«
Stille im Raum.
Staatsanwalt Ruger sog scharf die Luft ein. »Gleich mehrere Straftatbestände. 13/4/7 ist die Abkürzung für einen Gruß unter Neonazis – Mit deutschem Gruß – und verboten. Gilt aber als Erkennungszeichen, wie die Vier im Übrigen auch.«
Auweiler schlug mit der Faust auf den Tisch und murmelte: »Verdammt. Können wir die Seite nicht dichtmachen? Ich will so einen Mist nicht in meiner Stadt!«
Zimmermann tippte mit einem Stift auf die Leinwand. »Das ist das Internet, Herr Auweiler. Wir können hier gar nichts dichtmachen. Das ist der neue Informationskrieg um Meinung, ganz einfach. Seit dem Wahlkampf von Trump und dann von der AfD ist das gang und gäbe.« Er nahm ebenfalls einen Schluck Wasser. »Im Übrigen ist das nur ein verschwindend kleiner Auszug und noch nicht einmal mit dem härteren Vokabular. Wir haben Undercover-Leute in einigen rechtsradikalen Troll-Netzwerken. Mit Kollege Sito wollte ich ohnehin heute sprechen, denn wir sind uns einig, dass etwas geplant wurde. Wir haben immer wieder sogenannte Marschbefehle entziffern können, das C18 beziehungsweise 318 tauchte an unterschiedlichen Stellen auf. Es steht für eine neonazistische und terroristische Vereinigung. Bei uns längst verboten. Erst dachten wir, es geht um die Klimaschutzdemo«, Zimmermann tippte auf seinem Laptop, »und um diese Sibylle.« An der Wand war unter den Zeilen ein Scheiterhaufen zu sehen, darauf Sibylle Hundhammer. Zahlreiche Kommentare feierten die angekündigte Hexenverbrennung mit Lach-Smileys und applaudierenden Händen.
Zimmermann räusperte sich, kratzte sich am Mundwinkel und redete dann weiter. »Aber jetzt müssen wir das natürlich im Hinblick auf die Geiselnahme erneut überprüfen. Es geht eben auch um Waffen. Die Seite hier gehört zum Beispiel einer Gruppe, die sich ›Die Naturbewahrer‹ nennt, wobei es freilich nicht um die Natur im Hinblick auf Umweltschutz geht, sondern vielmehr um den vermeintlich natürlichen deutschen Lebensstandard, wie er eben aktuell praktiziert wird. Wir beobachten die Gruppe schon eine Weile, die sich der AfD und den Identitären verbunden fühlt. Im Darknet haben wir außerdem gerade in der letzten Woche eine Zunahme der Aktivität feststellen können. Wir wissen auch von Waffenkäufen, können aber die IP-Adressen nicht zurückverfolgen, weil die natürlich alle über eine VPN-Adresse, also ein virtuelles privates Netzwerk, ins Netz gehen. Wir wissen nicht, ob die sogenannten Marschbefehle im Zusammenhang mit der heutigen Geiselnahme stehen, aber ich gebe Kollege Sito recht: Wir müssen es in Betracht ziehen.«
Ruger stand der Mund offen. »Weshalb zum Teufel erfahre ich erst heute und hier davon?«
Zimmermann schnaubte. »So kann man das nicht sagen. Wir plädieren seit Ewigkeiten dafür, diese Gruppierung unter Beobachtung des Verfassungsschutzes zu stellen oder wenigstens Razzien zu genehmigen.« Er wirkte für einen Moment resigniert, sein linkes Augenlid zuckte, dann fuhr er fort: »Wissen Sie, seit Jahren ist ein Kollege bei den Rechtsrockfestivals unterwegs. Immer wieder berichtet er von schweren Verstößen, von Aufrufen zu Gewalt und Mord, von Lobeshymnen auf Hitler und so weiter und so fort. Noch immer gibt es kaum nachhaltige Reaktionen. In Thüringen hat sich jetzt mal was getan, da hat die Polizei durchgegriffen bei den sogenannten Versammlungen mit rechter Musik. Wir Netzbeobachter und Beobachter der rechten Szene sagen schon lang, dass man die Erlebniskultur der Neonazis endlich unterbinden muss, denn genau dort werden Gelder und Anhänger akquiriert.«
»Wir sind aber nicht in Thüringen«, wandte Ruger ein.
»Nein, sind wir nicht, aber die Neonazi-Szene ist international vernetzt. Einer der wichtigsten Netzwerker Europas sitzt nun mal in Deutschland. Ich sage das nur, weil Sie nicht überrascht sein müssen, falls die hier so groß auflaufen.«
»Was Sie da sagen, Herr Zimmermann, wir sprechen also von einem möglichen Terrorakt? Hier bei uns?«, fragte Jäger.
»Denkbar.« Zimmermann griff wieder an seine Fingergelenke, verzichtete aber auf weiteres Knacken.
»Solange auch bei der AfD so ein Müll gepostet wird, ist es eben schwierig. Und unter uns: Ich bin mir auch nicht immer sicher, wie viel Rückhalt die wirklich haben. Außerdem gilt die Versammlungsfreiheit für diese abscheulichen Konzerte. Ganz einfach. Fragen Sie beim Verfassungsschutz nach. Meinungsfreiheit eben. Die AfD sitzt im Bundestag. Sagen Sie das also den Politikern!«, verteidigte sich Ruger. Der Staatsanwalt verschränkte die Arme. »Immerhin haben wir das Netzwerkdurchführungsgesetz seit Anfang 2018.«
»Ja, schön, haben wir. Hat ja aber im Grunde nichts daran geändert, dass immer noch nur das verboten ist, was vorher auch schon verboten war.« Zimmermann blätterte in seinen Unterlagen. »Jetzt brauchen wir nur noch mehr Kräfte, die sich darum kümmern.«
Ruger machte eine ausschweifende Handbewegung. »Ja, dann schauen Sie nur mal zu Facebook. Die haben ein paar hundert Mann in einem Büro in Berlin sitzen, die sich Tausende von Kommentaren anschauen sollen, die gemeldet wurden. Wir kommen den bösen Idioten einfach nicht hinterher.«
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