Hans Leip
Am Rande der See
Geschichten von der Wasserkant
Saga
Am
Rande
der See schien
manches voll Liebreiz,
doch nie war das Schreckliche fern.
Ein Leuchtturm wird frisch gestrichen
Als der Holunder zu blühen begann, roch der ganze Deich nach Schnaps und Brot. Es war Juni, und die Mädchen, die gegen die untergehende Sonne lustwandelten, waren trunken von der blühenden Luft. Sie alberten mit den weidenden Lämmern und winkten übermütig den großen Dampfern nach, die in der Breite des Stromes nach Westen in die Welt verschwinden, und auch den weißen Jachtseglern, die sonntags fernab kreuzen und selten auf den Gedanken kommen, bei dem einsamen Deichdorfe anzulegen.
Da geschah es eines Abends, daß ein sonderbares Boot quer über das Fahrwasser genau auf den Ort zuhielt, von einem winzigen Schlepper gezogen. Als es dem Ufer näher kam, wo es flacher wird, warf der Schlepper los und überließ das merkwürdige Fahrzeug seinem Schicksal. Es sah aus wie die Arche Noah, mit der die Kinder spielen. Die Strömung schob es sachte an die Steinböschung heran, doch keine Tiere traten heraus, sondern fünf schweigsame Männer, die mit Stangen nachhalfen. Der Deich ist hier mächtig hoch und beschreibt viele Buchten, und in die größte, wo oben die Mühle steht, bugsierten sie es hinein.
Die Dorfmädchen standen mit wehenden Röcken auf der Deichkrone. Die Männer schielten hinauf, aber vorerst ertönte noch kein Hallo; denn die nördlichen Herzen sind schweigsam und mißtrauisch von Natur. Erst als der Wirt zum „Schönen Blick“ ihnen den besten Liegeplatz hinunterrief, da erfuhr man, daß diese Männer den Leuchtturm frisch zu streichen hatten und vom Staate kamen.
Der Leuchtturm steht nicht weit von der Mühle hinterm Deich. Er ist hoch wie der Großmast eines Vollschiffes, weit höher als der Kirchturm. Seine einst weiße Farbe war in Wind und Wetter ergraut. Manche Leute erinnerten sich daran, wie vor vielen Jahren ein ähnliches Boot und ähnliche Männer gelandet waren, um den Leuchtturm zu streichen, und daß es den Sommer unruhig gewesen war im Orte, nämlich zum Schluß hatte ein Mädchen namens Berta ein Kind gekriegt, man wußte nicht von wem, auch war eine Frau nicht weitab in der Marsch geschieden worden, und eine andere war nach Hamburg gezogen, Ottel Reem hatte ein Auge verloren, und Pümpel, der mit dem Brotwagen, hatte einen ausgerenkten Daumen seitdem.
Die Männer verankerten das ungefüge Boot nach allen Seiten. Man sah, sie gedachten ihre Zeit zu bleiben. Eine schmale lange Planke wurde vom Bordrand auf die unteren Deichsteine gelegt, und das war die Verbindung bei Flut und bei Ebbe. Wie ein ordentliches Haus, so groß war das Boot. Das obere Stockwerk erwies sich, als das Persenning weggezogen wurde, aus aufgepackten Leitern bestehend. Die Männer gingen daran, packten ab und trugen ohne Hast eine nach der andern über die Planke, die sich jedesmal wie eine Hängematte bog unter der Last, schleppten Leitern, Tauwerk, Latten und Eimer den Deich hinauf, auf der andern Seite wieder hinab über den Wiesenweg an die Chaussee bis zum Leuchtturm. Der Leuchtturm ist um die Zeit des Jugendstils errichtet, eben nach dem Eiffelturm, doch nicht vier, sondern sechs Eisenstreben ragen in den Himmel und haben den Schwung eines Kleides unserer Mütter, als sie jung waren, und die mittlere Säule, darin eine Treppe emporführt, ist schlank wie eine Tänzerin vom Montmartre. Hoch oben ist die Laterne wie ein Kopf mit einem chinesischen Hut, und die Galerie darunter gleicht der Halskrause einer Pirouette. Eine etwas fremde, aber lustige Angelegenheit, solch ein Leuchtturm in dieser platten Landschaft, sollte man meinen. Aber die Männer rankten einen unlustig verkniffenen Blick daran hoch und senkten ihn wieder, spien saftig ins grüne Gras und fluchten über die große Arbeit, die ihnen bevorstand, obwohl sie hinterrücks im Gemüt froh waren, daß sie noch Arbeit hatten, wo andere damals nichts als trockenen Karo schoben.
Somit stiegen zwei im Innern hinauf und nahmen die längste und stärkste Leine mit, ließen sie von der Galerie herab und hievten eine Leiter empor, und der eine kletterte dort oben in schwindelnder Höhe unangeseilt übers Geländer und hielt sich mit einer Hand und befestigte die Leiter mit der andern unterm Boden der Galerie, wo extra Haken dafür sind, und schwang sich auf die Sprossen, sprang sozusagen in die freie Luft, stieg bis zum unteren Ende der Leiter und pendelte damit hin und her, bis es richtig lag, und band es fest. Dann kletterte er wieder hoch und tat mit der nächsten Leiter das gleiche und so fort an allen sechs Streben rundherum an der Galerie. Vielleicht hätte man auch vom Turmfuß aus beginnen können, aber der Meister hielt es für richtig, seinen Leuten von Anfang an ein Vorbild zu sein und die Nerven abzuhärten wegen des Schwindelgefühls, jetzt, da sie noch nüchtern von zu Haus und aus dem Winter kamen; denn es war der erste Leuchtturm, den sie dieses Jahr zu streichen hatten. Und er tat es auch, um den Dorfbewohnern, die unten mit Herzklopfen zusahen, wahren Mannesmut zu zeigen.
Als der Leuchtturm nun ganz eingekleidet war in Leitern und Mannshöhe über Mannshöhe dünne Sondergalerien aus Latten und Bohlen in die Sprossen gehängt waren, da zogen vier der Männer schneeweiße Kittel an, setzten grüne Schutzbrillen auf, rührten ungeheuer viel Bleiweiß an und begannen zu streichen. Früh um sechs stiegen sie, den Pinsel zwischen den Zähnen, den schmalen schwankenden Leiterweg gen Himmel, an fünfzig Meter hoch, links und rechts weiter nichts als Luft, und in der Entfernung von unten schrumpften die Sprossen zusammen, als sei es nur ein Strick. Der fünfte Mann blieb an Bord. Er war der Schiffer und sorgte auch fürs Essen.
Nachdem nun die oberen zehn Meter in purem Weiß prangten, wurde ein Kübel kräftiges Rot angesetzt. Denn diesmal sollte der Leuchtturm der besseren Kennung bei diesigem Wetter wegen nicht in eins weiß heruntergestrichen werden, sondern von der Galerie abwechselnd je vier Meter rot und weiß. Das tat zugleich der Würde Hamburgs Genüge; denn es führt diese Farben im Wappen und hat die Aufsicht über die Befeuerung des Fahrwassers bis in die See hinaus. Die Maler nun, wenn sie von den Gerüsten stiegen, sahen bald aus wie Metzger am Schlachttag oder wie Chirurgen nach gefährlichen Amputationen; läßt sich doch ein gelegentlicher Spritzer schlecht vermeiden, wenn die Sache flutschen soll. Und die Mädchen gruselten sich.
Solange die Arbeit noch so hoch war am Leuchtturm, ging alles friedlich zu im Dorfe. Punkt zwölf und Punkt achtzehn schritten die vier weißen Männer, die grünen Brillen in die Stirn geschoben, im Gänsemarsch zu ihrem Hausboot zurück. Dort rauchte der Schornstein, und der Koch brachte kräftige Sachen auf den Tisch, doch mit dem Gewürz war er sparsam, um den Durst und die Laune nicht zu reizen. Am Sonnabend kam der kleine Schleppdampfer und brachte die, welche verheiratet waren, in die Stadt, und der Meister, der unverheiratet war, besuchte seine Mutter auf der anderen Seite des Stromes. Nur einer blieb immer als Wache an Bord zurück, und saß auf der beschränkten Plattform bei dem kleinen Anbau, obschon es dort nicht am lieblichsten roch, und las alte Zeitungen und die Bücher, die der Pastor des Ortes zur Ablenkung aufs Boot geliehen hatte, gähnte und stopfte seine Socken, und die Blicke, die sich von und zu den Mädchen spannen, die in rosa und blaßlila Sonntagskleidern auf dem Deich hin und her gingen, wurden allgemach geneigter.
„Das sind andere Leute als damals!“ sagte der Wirt zum „Schönen Blick“ und sah seine Frau aus tiefen Augenwinkeln an, weil sie Berta hieß und das Kind jetzt seine Tochter war und abends auf dem Deich spazierenging und neugierig war auf die Männer, die den Leuchtturm strichen, genau wie ihre Mutter es gewesen vor achtzehn Jahren.
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