Hans Leip
Die Nächtezettel der Sinsebal
Saga
Die folgenden Aufzeichnungen entstammen dem Tagebuche der Tänzerin Sinsebal. Sie war schön und begabt, lebte einsam, wünschte sich einen Liebsten, fand ihn, verlor ihn und bekam ein Kind. Danach verließ sie diese Erde.
Sie schrieb in ihrem letzten Jahre viele sonderbare Gedanken auf, die nun Zeugnis ablegen von ihrem zärtlichen und geheimnisvollen Wesen.
Jemand, der später darin las, hielt das Ganze für einen Sonnenmythos, nämlich so, als bringe die Nacht die Sonne zur Welt. Daraus erhellt aber nur, daß er die Sinsebal selber womöglich gar nicht gekannt hat, und ferner, daß es noch immer genug des Wunderbaren gibt.
Sinsebal, das spricht dein Mund,
Sinsebal, das spricht die Nacht.
Spricht die Nacht nicht wie dein Mund?
Sinsebal, du Mund der Nacht.
(Sinsebal erwacht eines Nachts, und ihr ist, als müßte sie manche Erinnerung aufschreiben)
Nun hebt sich meine Decke steil. Sie liegt der schwarzen Nacht auf.
O du süßer Tisch! War ich ein klein Kind, daß ich darunter kroch, in Dielenritzen die Nadeln stach, die meiner Mutter vom Schoß fielen. Silberne Nadelknopfreihe wie sanfte Abendperlen, die nicht weh tun, gebettet im Feudeldreck. Wann war denn die Zeit, daß die Spitzen sich wandten, in meine Finger stachen, in meine Schultern, in meine Knie, in meine roten Lippenkreise?
Kleine Nacht! Ach, kleine Sammetpfotennacht, wie schwarz machst du die Tropfen Blut, darob doch meine Augen schlafen sollen. Bist du verliebt in mich? O du, verliebt, daß ich an dich und an keins gedenken soll. Still! Nun ist meine Hand dir über! Schmal steigt sie über dich, scharf auf, hell von Mond. Nun bist du hart zurück, so flach, so steil gestreckt. Was will meine weiße Decke hinter meiner Hand? Sie spreitet sich dir an, du trägst sie, starr dir angelegt, kleine, einsame Nacht.
Was geht meine Hand von mir? Ist meine Hand mir über? Nun legt sie alle Nadeln von mir fort, aus meinen Fingern, aus meinen Schultern, meinen Knien, aus meinen roten Lippenringen, die im Herzen sich verflechten.
Hatte ich ein Nadelkissen, hergeweht ein Geschenk, war wie eins der kleinen Brüste, als ich sechzehn war.
Nun liegt eine Hand mir breit gehöhlt. O Lust, sprich nicht von ferne! O andre Hand, du klirrst vom Schreiben der Stunden. Von allen Spitzen schreibt das schwarze Nachtblut, Wort, Schrei und das erstickte Nichts, auch den Pulsschlag, Liebster, als du schliefest, und die Geschichten zwischen Wand und Unerforschlichkeit.
Nun hebt sich meine Decke wie ein Blatt. Nun ritzen alle Nadeln ihren Weg. Nun hebt sich meine Decke wie ein Buch.
Nun blättern seine Seiten aus mir auf.
(Sinsebal tanzt vor einem Spiegel in ihrer einsamen Stube)
Dann tanze ich das Spiegellied. Das Spiegellied? Oho! Was weiß mein Bein von mir? Was weiß mein Nacken von mir? Was weiß die weiße Haut? Der Vorhang ist zu, der Teppich grau und ein einziger Kuß. Da schläft mein Bett allein. Nein, gaffen die Kissen? Und pumpen die Puppen im Stuhl in der Kuhle die Mäuler zum Wundern rund? Die Berge schmunzeln auf den Bildern. Was macht die Lampe denn? Die Lampe macht sich winzig, rennt in mein Knotenhaar, brennt in mein Bronzepudelhaar, ein Edelstein, mein süßer Karfunk!
Ei Fürstin, ei Engelbengel, hü! Ei Töchterlein, ei Schmatz, mein Schatz!
Nun neigen sich die Arme sehr, die Schultern schleichen hinterdrein. Nun schlüpft das Knie davon, nun ruft das andre zärtlich nach. Schnipp, macht der Finger.
Nun heben sich die Zehen, tirili. Nun scharwenzen die Hüften juja, nun klingeln ting, ting die Brüstelein.
Nun stülpt eine Glocke über mich. O schwanker Trunk, dunkles Blau! Wer schwingt mich so, o halt, nein! O ja, schön! Noch fängt mich der Spiegel, steif grapst mich sein Mantel, nun klemmt er nicht mehr, schmal bin ich ihm weg, fängt mich nicht, fängt mich nicht! Nun Kreisel, nun Mond im Griff. Wirft mich ein Gaukler? Ein Walfisch schnappt mich. Feuer ist, Feuer ist! O schauert mich Eis!
Nun kreiseln die Wiesen, viel Blumen wie Mücken, die Schwalben, die Rehe, o schwindelnder Duft; nun häng’ ich im Wind, wie Zweige geschaukelt, wie Blätter geschleudert, wie Sternschnuppen blank. Nun schieß’ ich hinauf, o dunkel, o sausend, nun schluckt mich die Sonne, nun ist sie mein Tanzrad, ist toll, ist toll, o Fieber, ich brenne! Zu Regenbögen gestriemt die Wände, die Puppen, die Stühle, mein Hemd, meine Kissen, mein Bett, meine Bücher, ich schwebe, ich falle!
Da schneidet der Spiegel die Welt auseinander, er fängt mich. Er torkelt.
Da steh’ ich ja nackt.
Mein Karfunkel dahin, ach, umgemünzt zum braven Mundgulden, zu den Pfennigen Tipf und Tupf, zum Spängelein Ungelöst, Ungetröst zwischen den hängenden Händen.
(Sinsebal sinnt über Tanzempfindungen nach)
Flog ein schöner Glanz auf,
Flog aus dem flackernden Schlaf der Welt,
Wär’ bald davon.
War eine Seele im Dunkeln noch wach,
Die nach dunkelschönen Dingen ausging;
Warf sie ihm flink ihr Falternetz nach,
Bis sie ihn fing.
Als sie ihn nun um sein Wesen befragte,
War seine Stimme wie Duft im Vorbeigehn,
Schön ein Glanz.
War sein Wesen Geheimnis so tief,
Glut, die das Blut nicht bei sich ertrug,
Die viele Zeit nach Gestaltung rief,
Bis das Blut sprach: Genug!
Ein Fieber klirrt im Haus.
Sehnsüchte sind Gesichte,
Viele sind wie Tanz,
Viele sind wie Farben,
Viele sehn wie Teppich von Tönen aus,
Viele sind es, die zu Dingen verstarben,
Ach, das Sichtbare macht sie zunichte
Bis auf den kleinen schönen Glanz.
Abhauch, meine Seele, mein Wesen,
Wo hast du die zuckenden Blumen?
Wo hüpft dein kleiner Glanz?
Lichter, die die Winkel zieren,
Mein Buch, mein Ring, mein Porzellan!
An die wir uns wie an Tote verlieren,
Die wie Bilder von Entfernten rühren,
Hinwieder besehn und abgetan.
Kleine Seele, fängst du ihn auf?
Schlaf ein, nick ein, kleine Glut!
Gefangen bist du, verschnürt, ja verstrickt,
Hinter meiner Haut, ach, meiner Wand.
Meine Seele, bist du es, die im Dunkeln erschrickt?
Bindet dich ein kleiner schöner Glanz?
Dunkle Hand, tanz, dunkle Hand!
Löse, erlöse das Band!
(Sinsebal erinnert sich eines Straßenaufruhrs)
Es plärrten die Hinterhöfe in meinen Traum und die frühen Liederbücher. Da blühte es aus dem Staub der Schulbänke. Ein hölzerner Säbel wurde eisern und rötete sich.
Da wuchs im Morgenrot der Soldatengarten. Seine Gitter waren Bahnhöfe und Rathäuser. Geschrei stand in der Luft, das war geronnen, und man hörte es noch nicht. Die Pflastersteine waren weiß und durstig darunter und wollten es trinken. Schon trommelte der Schreck spitz auf meinen Bauch, und das Blut wollte aus mir brechen, die durstigen Steine zu besänftigen; denn ich war reif, zu empfangen, und das Leben schrie über mir und fürchtete sich vor dem Tod.
Da war auf einmal aller Luft der Wind abgeschnürt, und ein grauer Glanz zog sich zusammen auf den Helmtöpfen, darin die grauen Disteln gepflanzt sind. Die grauen Disteln, das sind die Soldaten. Still und stachlig warten sie vor der Menge. Es ist Revolution! flüstert ein alter Mann, und der Speichel tropfte ihm in den Bart. Da spannten sich die Gitter, daran das Schwarze sich stemmte, lüstern, den stillen Garten zu zerstampfen. Ich wollte davonlaufen, aber da hielt mich eine Kralle, und ich war in der Kralle und schrie. Da hob sich die Luft, zerbarst und stürzte zusammen. Da brüllte die Einsamkeit des Soldatengartens auf und hämmerte. Hämmerte die Nietenköpfe ins Pflaster, daß sie rotglühten, hämmerte die Menschenbolzen in die Mauern und in die Panzer der Erde, hämmerte die Schreckpforten zu, die Schreipforten, die donnernden Tore. Hämmerte Nägel in mein Fleisch, Nägel in meine Hände.
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