Hans Leip - Die Blondjäger

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Frühjahr 1917. Als der betagte Frachtdampfer «Merryland» am Karfreitag vor New York festmacht, erfährt die Mannschaft, dass die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten sind. An Bord auch der erste Offizier Percy Tamp. Noch am gleichen Tag macht er die Bekanntschaft der jungen Hishwa Dulbort, die nun sein Leben verändern soll. Hishwa hat sich in den Kopf gesetzt, an der Seite des farbigen Predigers Josua Burn Missionarin in Afrika zu werden. Als die «Merryland» wieder in See sticht und Kurs Richtung Schwarzer Kontinent nimmt, befindet sich nicht nur Percy Tamp an Bord, sondern mit ihm auch Josua Burn und Hishwa Dulbort … Ein lebenspraller, typischer Leip um Liebe, Lust und Seefahrt.weniger anzeigenAutorenporträtHans Leip (1893–1983) war der Sohn eines ehemaligen Seemanns und Hafenarbeiters im Hamburger Hafen. Leip wuchs in Hamburg auf. Ab Ostern 1914 war er Lehrer in Hamburg-Rothenburgsort. Im Jahre 1915 wurde er zum Militär einberufen; nach einer Verwundung im Jahre 1917 wurde er für dienstuntauglich erklärt. Leip kehrte in seinen Lehrerberuf zurück, gleichzeitig begann er, in Hamburger Zeitungen Kurzgeschichten zu veröffentlichen. 1919 fand die erste Ausstellung von Leips grafischen Arbeiten statt, der zu dieser Zeit das Leben eines Bohemiens führte. In den zwanziger Jahren unternahm Leip ausgedehnte Reisen, die ihn u. a. nach Paris, London, Algier und New York führten. Seinen literarischen Durchbruch erzielte er 1925 mit dem Seeräuberroman «Godekes Knecht». Während des Zweiten Weltkriegs lebte er ab 1940 dann vorwiegend am Bodensee und in Tirol. 1945 kehrte er für kurze Zeit nach Hamburg zurück, ließ sich jedoch dann im Schweizer Thurgau nieder. Hans Leips literarisches Werk besteht aus Romanen, Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken, Hörspielen und Filmdrehbüchern; vorherrschende Themen sind das Meer und die Seefahrt. Sein Nachruhm beruht allerdings hauptsächlich auf dem Gedicht «Lili Marleen», das Leip 1915 verfasst und 1937 in den Gedichtband «Die kleine Hafenorgel» aufgenommen hatte; in der Vertonung von Norbert Schultze, interpretiert von der Sängerin Lale Andersen und verbreitet durch den Soldatensender Belgrad erlangte das Lied während des Zweiten Weltkriegs eine ungemeine Popularität nicht nur bei den Angehörigen der deutschen Wehrmacht.-

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Hans Leip

Die Blondjäger

Ein Roman von Negern, weißen Mädchen, Gentlemen und Halunken

Saga

Erster teil

Huck auf, huck auf,

ja, was schad’t denn das?

Der Morgenwind, er bügelt uns die Segelschuh.

Die Sterngespickte,

ja, was schad’t denn das?

Die Sternenflagge deckt uns wie der Himmel zu.

Weit hinter Donnerstag

blüht ein kleiner Marmelbusch.

Da kommt mein Baby jeden Tag.

Da singt der Vogel Husch.

I

Es war noch auf freier See, das Wetter gut und lustig. Da erschnappte die „Merryland“ einen Funkspruch, die Vereinigten Staaten hätten den Krieg erklärt. Das war alles und genug. Die Sache mit Europa — mehr nicht.

Die Mannschaft schrie Joho. Die Offiziere streckten teils die Brust heraus, teils kratzten sie sich hinter den Ohren. Manches würde sich ändern. Der Kapitän betrank sich.

Immerhin, auf dem Kalender stand Karfreitag.

Den frühen Morgen darauf machte die „Merryland“ am Hobokenpier fest. Sie war ein Frachtdampfer, fünftausend Tonnen groß und hatte die Reise zum alten Erdteil oft genug erledigt, ohne mehr als die gewöhnliche Abnutzung zu erfahren, trotz der doppelten Unsicherheit der Meere. Dennoch begann sie höchst abgeschabt und räubermäßig auszusehen, hatte man ihr doch seit Jahren kaum ein Etmal Zeit zum ordentlichen Überholen gegönnt, und ihre Gestalt war schon von Natur etwas phantastisch, der lächerlich hohe blaue Schornstein mehr vorgeneigt als senkrecht, das Brunnendeck unnötig tief und der Bug einem fliehenden Kinne ähnlich. Sie war im Grunde verbraucht wie ein Maultier, dem die Zähne wackeln, rostig und reif für den Schindanger des Abwrackers, als jene große, weltbewegende Schicksalsstunde ihr kleines Schicksal anhielt und sie aufsparte für ein etwas ehrenvolleres Los.

Um den Hudson herum spürte man die Ungewöhnlichkeit des Tages. Lärm, Unerhörtheit, die Donner der Ereignisse zuckten in der Luft. Die Mannschaft lungerte aufgeregt an der Schanze. Abgegriffene Zeitungsblätter, mit dem Lotsen an Bord gekommen, wanderten wie Signalflaggen hin und her.

Manhattan, auf der anderen Seite des Flusses, glich an diesem Aprilmorgen einer riesenhaften, im Bau befindlichen mittelalterlichen Seefestung. Aus dem regellosen Getürm der Himmelslinie erhob sich zunehmend Stimmengewirr von Hunderttausenden; Glockengeläute, Gehupe, Sirenen, verwegene Böllerschüsse brachen dort empor, und der begeisterte Radau spritzte auf die Hafenfähren und bis nach New Jersey hinüber und auf jede der zahllosen Molen, die wie die Zähne ungeheurer Rechen zu beiden Seiten in den Hudson griffen.

Den Vormittag kam der Marinevertreter an Bord, ragend und schön in der Mitte zwischen dem nicht kleinen Reeder, einem dürren Yankee mit steifem Hut und schlechter Haltung, und dem Makler Dulbost, der aus einem ähnlichen, wenngleich fetteren Holze gehauen war. Sie wurden vom Kapitän an der Treppe empfangen, der schmunzelnd und anklagend zugleich, rot und untersetzt wie ein Gummischwamm und durchaus nicht mehr nüchtern, aller Hände schüttelte. Das Quartett begab sich auf die Brücke, gleichsam um das Ganze noch einmal zu überblicken; denn es schien ein kleiner Handel fällig zu sein.

Percy Tamp, der erste Offizier, hielt sich in der Nähe, falls man ihn rufen solle. Zu tun war nichts mehr, der Ballast war ausgeladen, das Deck, so gut es ging, geschniegelt und das Schiff klar zum Docken. Er trug daher schon seinen besten blauen Anzug und eine seidig glänzende Mütze, die ihm, und selbst heute, der Inbegriff des Landurlaubs und vieler angenehmer, einem unumgänglichen Kater bedingungslos zueilender Stunden war. Der zweite Steuermann war schon in aller Frühe mit der Proviantabrechnung aufs Reedereikontor gegangen und gleich an Land geblieben. Sicher war er alsbald in die Kriegsmarine eingetreten.

Ein englischer Dampfer mit der Flagge der Kapkolonie bugsierte stromauf. Auch eine hübsche Linie! dachte Tamp, die Zukunft bewegend. Dann sah er nach unten.

Auf der Rampe, neben der „Merryland“, wimmelte es von allerlei Händlern, Arbeitern, Hafenlöwen, wartenden Angehörigen und Mädchen. Viele schwenkten kleine Fahnen des Vaterlandes und der Verbündeten. Der Steuermann klopfte seine kurze Tabakspfeife an der Reling aus. Seine grauen Augen übernahmen den bedächtig saugenden Ausdruck seiner Lippen und hefteten sich auf eines der netten Gesichter dort unten. Das war ja eine verdammt niedliche Ratte, die ihm da mit ihrem Puppenbanner höchst ungeziert zuwedelte. Zeitungsverkäufer bellten mit neuen Meldungen heran. Die Back brüllte hinabgeworfenen Centstücken nach. Tamp schüttelte die Ohren. Der Rummel hinderte ihn, das nicht unwichtige Gespräch auf der Brücke zu verfolgen.

Das Schicksal dieser Dampfruine, die manche Kiste säuberlicher Konterbande nach drüben geschaukelt hatte, wurde da oben irgendwie besiegelt. Über zwei Jahre war er nun darauf gefahren; diese Matrone „Merryland“ war sozusagen seine zweite Heimat. Acht Jahre fuhr er zur See, und genau so lange war er von Nord-Dakota weg, von der guten alten Weizenfarm an der Strecke jenseits des Flusses, wo es „bei den Igelbergen“ heißt. Seit dem Morgen war er weg, einem Morgen wie diesem dem Wetter nach, als sie pflügten und sein Alter einen Acker weiter gegen die dampfende Sonne hin das vergnügte Lied von der blauen Bark Ambrosia gepfiffen hatte. Denn sein Alter war auch einst Seemann gewesen, und daher steckte es ihm im Blut, und so machte er über Minneapolis, wo seine Mutter her war und Verwandte hatte und er eine kleine Anleihe erreichte, seine erste große Reise und kam nach Neuyork, ein grüner, benommener Knabe. Und es mochte ungefähr die gleiche Stelle sein, wo er seine erste Planke betrat, in seine erste erbärmliche Koje kroch, und nun stand er da, erwachsen, erfahren, breitspurig, windgebräunt und ein Mann von Rang.

„Mac!“ rief er den Meßjungen an, der, die Jacke eng wie ein krosser Kuli um die Taille gezogen, die Mehlbeutelmütze in die Stirn gerückt, die gelben Haare steil auf Hinterkopf gebürstet, atemlos vorüberlief. Weiß Gott, er schien ihm ein Abbild seines einstigen Selbst.

„Bring meine Sachen zu Banders ins Goldkorn rüber. In einer halben Stunde, denk ich, kannst du damit abhauen!“

Der kleine alberne Mac riß die dünnen Knochen halsbrecherisch zusammen, brüllte laut und abgehackt: „Wohl, wohl!“ und rannte weiter. In der Frühe hatten zwei Kreuzer auf dem Hudson Reklame exerziert, das war ihm ins Gemüt geschossen.

Tamp warf einen Blick nach oben. Gerade tat der Reeder, er hieß Smithson, einen langsamen Flügelschlag mit den Ellenbogen. Seine Hosentaschen wölbten sich höher. Das Geschäft schien abgeschlossen. „Unser Land, Gottes Land!“ sagte er vernehmlich zu den anderen. Sein Kaugummi sprang ihm wie ein alter Zahn aus der Lippenspalte. Danach verschwanden die vier nach unten.

Tamp setzte seinen Brösel wieder in Gang. Er schielte dabei über den geschnitzten schwarzen Kopf und durch die blasse Zündholzflamme nach dem Pier hinab. Die Kleine, die mit der graukarierten Tuchkappe, sprach mit einem Zollbeamten. Sie tat sehr ungezwungen, sehr herausfordernd offenbar. Es mochte eine richtige kleine Hafenschwalbe sein. Das Streichholz wehte voreilig aus. Statt des süßen Tabaks schnüffelte der Steuermann den üblen Dunst der Lagerhäuser ein. Es gab schönere Düfte. Abgesehen von der See so etwas wie Gras, Weizen, Erde, Staub, Vieh und Stall. Es würde sich lohnen, einmal hinüberzurutschen, ehe alles drunter und drüber ging, und den alten Leuten zu zeigen, daß man noch lebe und ein anständiger Kerl geblieben sei und es zu diesem und jenem gebracht habe. Trotz aller salzigen Witterung hatte er noch immer die Sommersprossen um die Nase. Seine Mutter würde das mit Genuß erkennen. Und die kleinen deftigen Farmermädchen in der Runde waren sicherlich herangewachsen, und ihre Augen würden den Weitgereisten mit Achtung und vielleicht mit etwas mehr betrachten.

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