Hans Leip
Sukiya
oder
Die große Liebe
zum Tee
Saga
»Sie haben doch gefrühstückt, gnädige Frau?« äußert der große Mediziner.
»Nichts«, antwortet Karoline,
»nur zwei Tassen Tee...«
Balzac (Pariser Ehefreuden)
Laß sein, was will, ich trinke Tee.
Gustaf VI., König von Schweden
Ein so nobel anregendes Getränk wie der Aufguß aus den Blättern des Teestrauches hat seit je viel Lob erfahren. Sein zarter Duft schwebt über mancher Erinnerung und hat sich früh bis zur Legende verdichtet. Wo immer das Feinere gepflegt wurde und wird, das leichtere Gespräch, der sublime Anreiz, das Unverbindliche gesitteter Gemeinschaft, da wird Tee getrunken. Denn seiner Wirkung ist das Unlaute, das Beschauliche, das gelassen Aufmerkende zugeeignet, der »small talk«, der das Geistreiche nicht ausschließt, die verhaltene Anekdote, die entdornte Betrachtung, die versöhnliche Haltung, das Gelöste ohne Lärm, die unbetont sich enthüllende Klarheit. Nicht wenig, fürwahr. Es ist eine seltsame Aura, die den Begriff Tee umhüllt und in Jahrhunderten von Fernost gen Westen ausgestrahlt ist. (Echter schwarzer Tee aus Indien und Ceylon.) »Die große Liebe zum Tee« aber spannt einen bunten Regenbogen aus Historie und Histörchen, Begegnungen, Aussagen und Anmerkungen um den sanften Zaubertrank.
Allen, die sich tagtäglich mit Tee beschäftigen, ist der echte Tee Indiens und Ceylons mehr als ein Handelsobjekt. Er, der leichter wiegt als andere Güter aus fernen Ländern, ist mehr als eine Ware, ist ein liebenswertes Geschenk der Natur, von Kennern kultiviert, ein Getränk, daran sich auch andere Gedanken entfachen können als die über Gewinn und Verlust.
Das Wort Sukiya stammt aus dem Japanischen, und obwohl Japan heute auf weltweiter Teebörse nur eine sehr geringe Rolle spielt, ist dort wohl das innigste aller Verhältnisse zum Tee entstanden. Und so bedeutet Sukiya nicht nur den Raum des Teegenusses in schlichter Gepflegtheit und behaglicher Sammlung, sondern auch den unbeschränkten Raum der Phantasie und des heiteren Geistes, darin das irdisch Unvollkommene sich leise zur Vollkommenheit zu entfalten vermag.
Nicht jeder besitzt in seinem Garten ein eigenes Teehaus wie der Dichter Wilhelm v. Scholz, der, nun neunzigjährig, dort noch immer bei stiller Einkehr den Blick über den Bodensee genießt. Im Haus an der Elbchaussee bei Madame S. gab es immerhin eine reizende Tee-Ecke, und dort, mit der Aussicht auf den Strom und die Schiffe der Welt, versammelte sich gelegentlich eine kleine Gesellschaft. Der Tee, auf einem Seitentisch von der Hausfrau selber bereitet, duftete belebend in den dezent geschmückten Raum. Es wurde sehr leise von einer entzückenden Haustochter serviert. Sahne, Zucker, Zitrone und Rum wurden herumgereicht. Doch der Oberbaurat sagte: »Danke, ich trinke den Tee nackt.« Und fügte freundlich hinzu: »Wenn er so vorbildlich bereitet ist wie hier. Mit Vergnügen, gnädige Frau, hab’ ich Ihren Händen zugeschaut. In die vorgewärmte Kanne schüttete der Teelöffel neunmal anmutig seine volle Last, der musischen Anzahl Münder gemäß, die der Letzung harren. Daß die Sorte und Mischung edel ist, verriet schon der Hauch, der lieblich wie Honiggrasheu aus der Teebüchse säuselte. Dann das springend sprudelnde kochende Quellwasser – gesegnet dieses Haus, das ungechlort aus eignem Grunde tanken darf! – wirkte genau, ich sah nach der Uhr, viereinhalb Minuten auf die raschelnd trockenen Blättlein indischer Hochlese, um sich unnachahmlich golden zu färben und mit dem Aroma, darin Kamelie, Sandelholz, Orient und ein Schmack westlichen Bratapfelgemüts gemischt scheinen, sich in die Servierkanne und von dort in unsere Tassen zu ergießen.«
Der wohlgelaunte Sprecher galt als Lebemann, ausgepicht und dem Poetischen hold. Man zollte ihm Beifall, hatte aber teils gefürchtet, teils gehofft, ihn betreffs Nacktheit des Tees bei dem Vergleich ins Amouröse abschweifen zu hören. Nicht ganz enttäuschte nun der Lächelnde. Indem er sich dem Teegeschirr zuwandte, pries er die Form, der trotz bajuwarischer Manufaktur entschieden ein altes Sèvres zum Muster gedient. Man weiß, sagte er, die leichtherzige und zu Unrecht unglückliche Wienerin Marie Antoinette hat diese ausgewogenen Schalen ihren poitrines douces – wie sag ich’s auf deutsch –, ihren reizenden Blusenkätzchen, nachbilden lassen. Hat man ihr nicht nachgesagt, sie habe Tee statt Blut in den Adern? Damals zu Paris und Versailles war Blut wohlfeiler als Tee.
Obgleich beim Tee das Bedenkliche und Traurige der Welt vor der Tür bleiben sollte, gibt es doch wenig sonstige Gelegenheit, klar zu erkennen, nein, sich rückhaltlos einzugestehen, was draußen an Bedrohlichem lauert und schon durch die Wände fingert: Die gepeinigten Elemente, die Luft, das Wasser, die Erde, die, von den Abfällen und Beigaben menschlicher Erfindungen verunreinigt, sich zur Rache anschicken. Oder ist es nur das: Seit Enthüllung des Kernzerfalls drängt jeder Kern eifersüchtig zum Zerfall? Erstaunlich, was die Technik leistet! Ungeheuer des Menschen unverfrorener Mut zu jeder Industrie und jedem Prestige und jeder Geldquelle. Beteiligen wir uns und schweigen? Und gehen höchstens beim Tee ein wenig in uns, des unvermeidlichen Ausklangs vage gewiß, doch ihm für gute Augenblicke entrückt? Und entrückt vielleicht auch dem platten Zynismus neuerer Literatur und deren hilfloser Verzweiflung, auch dem Gewursel moderner Lyrik, dem Krampf der Malerei, der musikalischen Geräuschverfertigung, dem Beatleismus und sonstigen flüchtigen Bestialitäten? Nehmen wir’s gelassen hin, es dauert seine Weile. Eingerahmt vom Geschwätz der Gazetten, Antennen und Staatsvertreter, hat jedermann sich abzufinden und im besten Fall seinen Teil Frondienst abzuleisten und so sein Gewissen zu befriedigen und die Ansprüche seiner Nächsten. Keine Nashornhaut reicht mehr zur Abschirmung hin, um unversehrt die Gräser zwischen den Dornen zu ernaschen. Was macht es? Wir sind alle verletzt. Und wenige können sich wie ein kluges Tier ins Dickicht zurückziehen. Doch, auf Augenblicke vielleicht, wo wir dann unseren Tee mit Verständnis und Behagen zu trinken versuchen. Kleine gute Teeflucht!
Der Kaiser Shen Nung, der schon fast dreitausend Jahre vor Christo sein Trinkwasser nur abgekocht genoß und solches allgemein empfahl, war ein Freund sonst der unverbildeten Natur und erfreute sich oft an einem Picknick im Freien. Eines Tages lagerte man im Schatten eines schönen dichten, kleinblättrigen Strauches, von dem die Diener auch kurzerhand die Feuerung für den Kessel nahmen. Als das Wasser nun brodelte, hob die Hitze einen Schwung gedörrter Blättlein von den teils noch grün gewesenen prasselnden Zweigen und warf sie in den offenen Kessel. Die siedende Flut färbte sich alsbald golden, und ein sanftes Aroma strömte in die Runde. Der Kaiser kostete, erkannte, wie bedeutend dieser Zufall sei, und nannte das entstandene neue Getränk T’sa, was nach Ansicht einiger Sinologen das Göttliche bedeutet, nach Meinung anderer das Leuchtende oder Erleuchtende. Kalte Gehirnler vermuten einzig den Namen eines Ortes darin. Alles in allem ist es ein und dasselbe und bleibt letzten Endes gebührend geheimnisvoll.
Auch Indien hat seine Legende von der Herkunft des Teegenusses. Der Fakir Dharma gelobte, sieben Jahre ohne Schlaf sich der Versenkung in die Allgegenwärtigkeit Buddhas zu widmen. Schon hatte er es heroisch bis ins fünfte Jahr geschafft. Da auf einmal bedrohte ihn eine übermenschliche Müdigkeit. Wie ein Ertrinkender griff er nach den Zweigen des Strauches, unter dem er hingesunken war; einige Blätter blieben in seiner Hand, er schob sie in den Mund, sich durch Kauen wachzuhalten, und siehe da, seine Schwachheit verflog, und weiterkauend von dem Wunderstrauch, vermochte er sein Vorhaben zu vollenden.
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