Werner Siegert - Cyril oder die Spuren der Liebe

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Cyril Ronikoff hat als Diplomatenkind eine ruhelose Kindheit erlebt. Er wuchs in vielen Ländern auf, blieb in allen Schulen Exot. «Überall ergatterte ich ein Puzzlestück an Wissen und Erkenntnis, aber leider jeweils aus einem anderen Karton. Dass ich die Teile dennoch einigermaßen zusammenfügen konnte, verdanke ich meiner Mama!» sagt er. Sie, eine schwarzhaarige Schönheit, war seine liebste Lehrerin – in die er sich so intensiv verliebte, dass er später jeden Kontakt zu Frauen als Treuebruch empfand und scheiterte. Von diesen Spuren der Liebe will er sich durch die Niederschrift seiner Lebensgeschichte befreien. Dazu mietet er ein Ferienhaus im Voralpenland. Bei der Besichtigung des versteckt an einem Waldrand stehenden Häuschens zusammen mit der Vermieterin Carola Pfänder will er fast wieder fliehen: Alle Wände sind voll mit Ölgemälden. Das Wohnzimmer gefüllt mit riesigen Möbeln aus dunklen Edelhölzern, wie sie in eine repräsentative Stadtvilla passen würden. Es sind Relikte von Carolas geliebtem Vater, der aus zunächst rätselhaften Gründen in die USA geflohen ist und seither als verschollen gilt. Carola glaubt fest an seine Rückkehr. Cyrils Mutterliebe und Carolas Vaterliebe verheddern sich zu einem geradezu unheimlichen Geflecht, in das auch die Familie des Bauernhofes verstrickt ist, insbesondere die Theres, die sich um das Wohlergehen des Gastes kümmern soll. Alsbald taucht Sabine, Carolas «missratene» Tochter mit ihrer lesbischen Freundin im «Vögelhaus» auf, wie sie das Häuschen ihrer Mutter bezeichnet. Sie klärt Cyril über einige Familien-Katastrophen auf. Remigius Pfänder war begnadeter Kunstmaler und Professor an der Münchner Kunstakademie, verheiratet mit der attraktiven Jüdin Natalie Simon, von der er sich scheiden lassen muss, um seine Professur während der Nazizeit nicht zu verlieren. Um seine Tochter, die halbjüdische Carola vor den Nazis zu schützen, versteckt er sie und wendet sich der Blut- und Boden-Malerei für den Führer zu.

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Werner Siegert

Cyril oder die Spuren der Liebe

Schicksalsroman

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Inhaltsverzeichnis Titel Werner Siegert Cyril oder die Spuren der Liebe - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Werner Siegert Cyril oder die Spuren der Liebe Schicksalsroman Dieses ebook wurde erstellt bei

Grüß Gott !

Es dämmert zweimal

Poltergeister

Besuch

Intermezzo

Locker vom Hocker

Theres

Nacht

Versteckspiele

Sabine

Irritationen

In Sehnsucht nach Octo

Remigius

Die Heimkehr

Bei Nacht und Nebel

Kitsch, Kunst und Kostbarkeiten

Carola

Zum Autor:

Vom selben Autor erschienen u.v.a.

Impressum neobooks

Grüß Gott !

Ich hatte nicht gedacht, dass es so schnell klappen würde. Heute erst war meine Anzeige in der Zeitung erschienen, ganz klein, unter "Vermischtes", und nun sollte es schon in einer knappen Stunde losgehen.

Aber am besten stelle ich mich erst einmal vor: Cyril Ronikoff. Sie tippen auf Russland oder Bulgarien? Nicht auf Kanada? Frankreich? Oder Österreich? Also, von dort überall kommen meine Vorfahren. Ich verlebte meine frühe Kindheit als Handgepäck, schaukelnd, bis ich irgendwo, in einem Auto, Flugzeug oder Zug abgestellt wurde. Eigentlich ist damit schon alles über mich gesagt. Mein Vater opferte sein Leben dem diplomatischen Dienst, meine Mutter dem Kisten- und Kofferpacken, dem Umziehen, dem Ein- und Ausschulen. Und meiner Edukation. Außerdem musste sie ständig mit anderen Münzen umgehen lernen und das Wichtigste in verschiedenen Sprachen einkaufen können, sofern ihr nicht eine Paola oder Carenne - an die beiden erinnere ich mich am allerliebsten - diese Alltäglichkeiten abnahm.

Das "Handgepäck" musste immer mit, blieb in allen Schulen Exot, lernte von all diesem gescheiten Kram nur Bruchstücke. Überall ergatterte ich ein Puzzlestück an Wissen und Erkenntnis, aber leider jeweils aus einem anderen Karton. Dass ich die Teile aus Indien, Singapur, Sydney, Washington und Wien dennoch einigermaßen zusammenzufügen lernte, verdanke ich meiner Mama. Sie war meine liebste Lehrerin. Zunächst, weil ich gar zu gern auf ihrem Schoß saß und meinen Kopf an ihren Busen schmiegte. Später habe ich mich ganz und gar in sie verliebt. Sie war das, was man ein rassiges Weib nennen mochte. Aus dem slawischen Völkerverschnitt war eine schwarzhaarige Schönheit erblüht, die ich mir früh zur Geliebten erkor, zumal sie in meinen Augen mit ewiger Jugend gesegnet schien. Mochten Paola und Carenne dem kaum Vierzehnjährigen unvergessliche Lektionen in wollüstigen Umarmungen gewähren und so den Biologieunterricht auf sehr angenehme Weise ersetzt haben, zwischen ihren Schenkeln und Brüsten übte ich Verrat, denn mein Sinnen und die Sinnlichkeit - mag man mich schelten und der Hölle überantworten - galt nur Mama.

Nun ja, das alles sind bereits zuviel der Worte über mich. Wen wundert es, dass aus dem früh verführten Herum-Zögling kein sonderlich normaler Bürger wurde, mit einem normalen Beruf und normalen Tageslauf. Unstet, wie ich Kindheit und Jugend verbrachte, blieben meine Exkursionen in das Erwerbsleben. Zwar geizte Fortuna nicht mit Erfolgen, doch lockte stets das Neue, das Andere. Routine strangulierte mich. In meinen "crazy forties", der Manneskrise in der Lebensmitte, erlag ich der Versuchung, Romanschriftsteller zu werden, ein höchst erfolgreicher, versteht sich. Und mein Erstling stapelte sich bald schon zu vielen hundert Zetteln, mühsam gebändigt durch Gummiringe und alte Briefumschläge.

Doch der Versuch, die Story zügig und aus einem Guss ins Reine zu tippen, war wochenlang gescheitert. Meine Bude war ganz allmählich, aber offensichtlich in den Allgemeinbesitz von Freunden und Freundesfreunden, dito Freundinnen und diskutierwütigen Kaffee-, Tee- und Whisky-Schmarotzern übergegangen. Die einzige Arbeit, die ich völlig ungestört verrichten konnte, war das Spülen des Geschirrs. Hätte ich nur mehr davon gehabt, so wäre es mir durch anhaltendes Geklapper vielleicht sogar gelungen, die Besucher zu vertreiben, jedenfalls jene, die es mit einem Restbestand von Gewissen nicht vereinbaren konnten, mir so lange zuzuschauen.

Da kam mir der Gedanke zu entfliehen. Per Inserat fragte ich in der ABENDZEITUNG, wer wohl einem Schriftsteller für die Dauer der Reinschrift eines Romans ein möglichst ruhiges Ferienhaus im Alpenvorland bei geringen Kosten vermieten würde.

Und schon am Vormittag meldete sich eine Frau unbestimmbaren Alters. Sie stutzte zwar bei "Cyril Ronikoff" und fragte dreimal zurück, doch als ich ihr versprach, auch den Rasen zu mähen, Laub zusammenzuharken und auf den Komposthaufen zu schichten, die erfrorenen Dahlien abzuschneiden und den Zaun zu reparieren, verlor sie ihre Angst, in die Hände des russischen Geheimdienstes zu fallen. Im übrigen müsse sie schon heute am Nachmittag hinausfahren, da passe es ihr gut, wenn ich mir das Häuschen gleich einmal ansehen könnte.

In aller Eile warf ich, was man so für vierzehn Tage, drei Wochen braucht, in einen Koffer. Besorgte Papier, eine Toner-Kassette, falls die alte schwächeln sollte, und packte meinen IT-Kram zusammen. Informierte eine Freundin, die aufgrund ihres unendlichen Mitteilungsdranges für rasche und weite Verbreitung sorgen würde, über eine plötzliche Reise und brachte ein paar Blumenstöcke zur Erholung in die Nachbarschaft.

Carola Pfänder hieß die Dame. Das Telefonbuch erwies sich als diskret. Zwar gab es viele Pfänders, aber keine Carola. Auch unter Fender oder Fänder suchte ich vergebens. So blieb alles offen. Ob sie Rechtsanwaltsgattin oder die Frau eines Diplomkaufmanns war, einem Tierarzt vermählt oder "nur so etwas" war, ich konnte es vorher nicht enträtseln. Aber pünktlich war sie - auf die Minute.

Frau Pfänder musterte mich mit unverhohlener, immerhin aber auch verständnisvoller Neugier. Hatte sie doch zumindest gegenüber meiner Telefonstimme den Mut bewiesen, diesem Ronikoff ihr Häuschen in den Voralpen anzubieten. Trotz oder gerade wegen ihrer schon auffällig schlichten Erscheinung konnte ich mir dieses Häuschen nicht als gammelige Bruchbude vorstellen, sondern blieb nach unserm ersten Händedruck bei meiner Traumvision "Chalet".

Carolas Stimme war viel sanfter, ausdrucksvoller, als ich sie vom Telefon her in Erinnerung behalten hatte. Ihr Alter schätzte ich auf Mitte bis Ende 40. Silberfäden in ihrem schlicht nach hinten gekämmten, langen dunklen Haar, kleine Falten und eine fast durchscheinende weiße Haut konnten gut und gern auch eine "jugendliche Fünfzigerin" verraten. Stirn und Nase verliehen ihrem Gesicht ein ausgeprägtes, interessantes Profil, von dem ich spontan auf Malerin oder Bildhauerin tippte. Sie trug nicht eine Spur von Make-up, einen schlichten, trachtengrünen Rock und einen hellgrauen, kaum gewölbten Pullover. Lebhafte, fast schwarze Augen trafen sich mit meinen Blicken.

Schon damals, in den ersten Sekunden unserer Begegnung, hätte ich ihr aus vollem Herzen sagen können: "Ich liebe Dich". Viele andere Frauen, die mir in meinem Leben begegnet waren, mussten lange oder gar vergebens auf diesen wahrscheinlich lang ersehnten Satz warten. Indes, ich liebte nur meine Mutter. Das Bild, das sich mir tief eingeprägt hatte, als sie - schöner denn je - schon Ende 30 an Krebs verstarb, verließ mich nie. Und der Verrat im Lotterbett Paolas, die gespielte Leidenschaft, mit der ich Carenne ihre hitzige Lust vergalt, diese Unaufrichtigkeit blieb seit je her mein Problem. Und nicht nur meins.

Carola lächelte, als sie meinen Hausstand besichtigte. Diese Mischung von Wohnkultur und Chaos, von dekorativer Strenge und hingeworfener Lässigkeit, so gestand sie mir später, habe in ihr spontan den Wunsch geweckt zu bleiben. Yin und Yang seien die ersten Worte gewesen, die sich auf ihrer Zunge formten.

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