Aus der Westwindkartei des Herrn Toppendrall
Roman
Saga
Dat du min Leevsten büst
dat du woll weest ...
Friesisches Volkslied
L’amour, l’amour, belle oiseau
chante, chante toujours!
Yvette Guilbert
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.
Am größten aber unter diesen ist die Liebe.
Paulus,
Erster Korintherbrief
Bis auf die bekannten Ereignisse,
Personen und Schauplätze
ist alles in diesem Roman erfunden.
Als die beiden einige Tage aneinander vorbei geschwiegen, begann Herr Toppendrall unversehens zu reden. Ob nur für sich, das mag er selber wissen, er, ein wohlhabend angesehener Exportkaufmann, über die Höhe des Lebens hinaus an jenem Abhang, den die Neigungen der erfüllten Jahre hinuntergepurzelt sind bis auf die eine, behaglich einmal Bilanz zu ziehen in der Gewißheit, trotzdem noch eine Weile liquide zu bleiben.
Auf diesem Schiff, sagte er, auf diesem soliden Untersatz die einzigen Fahrgäste zu sein, das sollte uns nicht langweilen, Mister Bit. Wie ich eben höre, haben Sie sich die gleiche Marke Rotspon bestellt, die beste, die sich aus Bordmitteln beschaffen läßt. Wenn Sie erlauben, enttanken wir erst mal meine Flasche. Zum Wohl denn! Auf das, was hinter und vor uns liegt. Was wird schon sein? Wir gleiten mitten dazwischen voran oder davon. Sind beide von der Küste, London Sie, Hamburg ich. Das Wasser lag zwischen uns. Jetzt kreist es uns ein. Der reichliche Wind hat uns früh die Hand auf den Mund gelegt. Außerdem wurde uns klar, Gesagtes ist keine Ware, die man zurücknehmen kann, und nichts ist leichter verderblich. Wir haben gelernt, entgegenzunehmen und anzuweisen ohne Geschrei. Das unterscheidet uns vom Orient. Sich darauf etwas einzubilden, hat wenig Sinn. Wir schlucken hinunter, indes andre sich erleichtern. Werden wir deswegen fett? Oder besser? Es liegt nicht daran, Mister Bit. Es liegt am Umsatz und an der Verwertung. Ja, zum Wohl denn!
Zum Wohl, das sagt man wohl,
doch meistens klingt es hohl.
Das Glas ist bald geleert,
das Gute bald verzehrt.
So denn gehen wir unsern Gedanken nach, denn hier an Deck ist nichts, dem man sonst mit Gewinn nachgehen könnte. Den Betrieb kennen wir. Und die See? Sie ist uns vertraut seit mancher Begegnung, ohne daß wir uns getrauen, ihr zu trauen. Wir lassen sie kühl, wir sind ihr weniger als nichts, wir sind Entstiegene und haben die Flossen verloren, und machen wir sie uns künstlich und Kiemen dazu, um dem mütterlichen Urschoße wieder ein bißchen näher zu rücken, so mag das dem Vergnügen dienen und der Forschung und dem Fisch-, Perlen-, Muschel- und Algenhandel und der Öl- und Erzgewinnung und der Marine und der Polizei. Mir genügt die Oberfläche; diese zu betrachten und nicht nur zu nutzen, ihre bewegten malerischen Reize, ihre Himmelsspiegelungen, ihre Spannungen, Erstarrungen und Erschütterungen, ihre Stimme, ihre Düfte, ihre Einsamkeit und ihre Gewalt zu erfahren, das war immer ein Teil meines Daseins und mehr als ein bloßer Genuß.
Schon darum hab’ ich diesen Container-Frachter gewählt. Die Musik- und Luxusdampfer sind etwas für mittlere Jahrgänge, wo man zu Anbändeleien neigt und man dem Obersteward nicht dreinredet, mit wem er einen an den Tisch setzt. Sind Sie etwa neugierig auf die wahrscheinlich letzte der Passagegigantinnen, die Queen Elizabeth II, Mister Bit? Wie jeder Verein wird sie schon als Abkürzung geführt, als Qu E two, was den üblichen Schandmäulchen wie eine halbwegs vollzogene Vergewaltigung klingt und nicht nur, weil die Docker sie ihres Inventars schon vor der Jungfernfahrt ziemlich entkleidet hatten. Und dann streikten die Turbinen, und sie lag hilflos da, dem Westwind preisgegeben, diese neueste Königin der Meere.
Das müht sich hin auf schwankem Kiel,
so schön und groß ein Wellenspiel,
so weit auf See, so fern von Land,
kaum mehr als eine Unze Sand.
Mag sein, Mister Bit, wir haben unsere neue »Hamburg«, obschon kleiner, noch solider und eleganter gebaut, ein berechtigter Ausweis und ein hübscher Schöpflöffel in der weithin duftenden Suppe westlichen Wohlstandes und üppiger Touristik.
Sehen nicht alle Seeleute aus wie ewige Hochzeiter, die nie ans Ziel gelangen? Käptn Schratt, mir gut bekannt, meinte, je älter er wurde, desto unwahrscheinlicher dünkte ihm, jemals über den Ozean gelangt zu sein. Und er war, weiß Neptun, ein Navigator von Rang. Würde es mit der Fliegerei sicherer sein? Mir liegt es nicht. Es ist mir zu eingepreßt und zu entfremdet der menschlichen Natur. Lassen Sie mir den unverbauten Horizont aus erdnaher Sicht! Gern zitiere ich etwas Nietzsche vom Bug aus, was auf Unendlichkeit endet, und falle doch alsbald gnadenlos auf mich selbst zurück. Aber es belastet mich nicht. Was denn wiegt es schon? Es ist die einzige verläßliche Heimkehr. Bei sich selber zu Haus. Wer das sagen kann, ist gefeit gegen jede Rempelei und vermag Tür und Fenster zu schließen ohne Bedauern. Und wo immer es sei. Knistert und lauert doch ein Irgendwas aus Irgendwoher, das lieber draußen zu bleiben hat. Wie behäbig doch, wie gutmütig poltert draußen der Wind, und wir sitzen gemütlich da und sprechen ihm zu: zum Wohl denn! Western Wind. Unser alter Liebling, so Themse als Elbe, und unser alter Verdruß, als wir noch unter Segel gingen outward bound und auf ein bißchen Schwenkung gen Ost warteten. Aber heimwärts war’s gut, so weidlich es blies und uns von oben und unten durchnäßte, daß wir meinten, die ganze Welt sei ein vollgesogener Schwamm, und wir blind von Salz und Nebel ins kaum noch Kompaßgewisse taumelten. Aber wir kamen voran, homeward bound. Hafenzu nach Haus. Dahin, wo wir meinten, es sei alles Ruhe, Glück und Stetigkeit, der Unendlichkeit entflohn, im Endlichen geborgen. Und war doch selten. Warum nur, Mister Bit, warum?
Das tut des Meeres Nichtunendlichkeit dir kund.
Dringst du nur tief genug,
verbirgt sich dir kein Grund.
Westwind, so ungeheuerlich er sich manchmal betrug, nur er war unter allen Winden mir zuträglich. Wie oft schon als Kind lag ich wach unter den bestürmten Dachziegeln, wenn es fauchte und röhrte wie hundert Riesenbestien und dann donnernd polterte, als rase ein Schnellzug drüber hin. Da spürte ich keine Angst, da war mir’s wohl ums Herz, sosehr ich mitschwang im Reigen der geplagten Schiffe auf See und auch ahnte, was ihnen zugemutet war. Westwind, das war die gute Luft von See, die atlantische Narrenpritsche und der sanfte Fächer, Hieb und Streicheln zugleich und ein Füllhorn voller Fernwehseufzer. Wir kennen unsere hohen Breitengrade, Mister Bit, wir haben gesiedelt, wo von Rechts wegen statt der Rosen der duftlose Farbenschiller urzeitlicher Bruchsteine wie auf der Paulsinsel vor Labrador blühen müßte. Oder wie auf der andern Seite des Nordpols zu Petropavolovs auf Kamtschatka die Mairübchen höchstens unter Glas gedeihen und die Mädchen wohl kaum je Appetit auf Minirock und Bikini bekommen. O ja, wir wissen die Gnade zu schätzen, den Golfstromatem, west hergehaucht, der uns aus Dauereis und Tundra erlöst hat, und wissen wohl, Mister Bit, daß wir hier Geborenen alle ein bißchen wie Treibhauspflanzen sind, üppig und anfällig wie die gesamte westwindbestrichene europäische Kultur.
Dieser Westwind, pendelnd zwischen Nord und Süd wie ein erregter Katerschweif. Immer war er das richtige Gebläse für Hamburgs Arbeitsturbinen, er fegte das Hirn klar und machte die Hände rege, da bewegte Hein Tüt die Sackkarre, den Kran oder Stapler ohne Gebrumm, da flutschten die Hieven wie selbstverständlich aus den Ladeluken oder hinunter in Schiffsbäuche; kein Tallymann verzählte sich. Auf den Werften packte Nieter Fiedje Kohrs muskelfroh zu, ohne von Lohnerhöhung zu träumen, und die Bürostifte lümmelten nicht herum, sondern waren auf Laufbahn bedacht.
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