Hans Leip - Der Widerschein

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Fünfzigjährig hält Hans Leip, einer der angesagtesten deutschen Schriftsteller der Zeit, in dieser Erzählung Rückschau auf sein Leben. In, wie er es selbst sagt, «dürftigen Verhältnissen» groß geworden, spürt man, wie wichtig Leip von Anbeginn an seine Heimatstadt Hamburg ist. Früh äußert sich aber auch sein Interesse an der Literatur, Gedichten, der Malerei, die allesamt für sein ganzes Leben bezeichnend werden. Und die Veränderungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, darunter in erster Linie die beiden Weltkriege, führen ihn hinaus in die Welt, die er mit seiner Feder porträtiert. Es folgen Paris, New York, London, am Ende aber immer wieder Hamburg.-

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Hans Leip

Der Widerschein

Eine Rückschau

1893-1943

Saga

Zusammenstellung und Zwischenbemerkungen von Kläre Buchmann. Die Zeichnungen, Gedichte und Prosastücke sind größtenteils bisher unveröffentlicht.

In den folgenden Blättern ist ein in seinem so eigenartigen wie notwendigen Verlauf fast gleichnishafter künstlerischer Weg aufgezeichnet: der Weg eines modernen Menschen mitten durch unsere Zeit, durch unsere großen Städte mit allen angenehmen und bedrängenden Errungenschaften des Jahrhunderts, vorbei an den bunten Gärten ihrer Vororte, durch die wandelbare Vielheit unserer Landschaften unter den ziehenden Wolken und den tönenden Sternen, in die Weite der Meere und die Lockung der Ferne und zurück wieder in die Innigkeit der Heimat, durch Dürftigkeit, Enge und Entbehrung, dem einen und dem anderen Beruf entlang und immer nur dem einen, dem künstlerischen getreu, durch Hunger und Auskömmlichkeit und fröhlichen Wohlstand, durch einen Krieg und die Abgründe der ihm folgenden Jahre und die wieder wachsende Sicherheit bis hinein in den neuen, durch Schwermut und Unruhe, Sehnsucht und Nüchternheit, Wirrnis und Gefährdung und alle Inbrunst zum Dasein, ein Weg, traumwandlerisch begangen aus innerem Zwang und auch wieder bewußt in gemächlichem Schreiten, abspenstig meist und den Markierungen des eigenen Herzens mehr als den vorgegebenen trauend, vielfach in fremdes Schicksal verstrickt und doch im Letzten allein, ein Bergpfad oft, umgehungsreich und kurvig und von wechselndem Gefälle, und doch wie unter höherem Zwang unabänderlich in der Richtung – aus dem Lauten in die Stille, vom Heftigen ins Milde, aus der Ebene zu jener Höhe, von der aus Rückschau und Umschau möglich, ja nötig ist.

Denn sie erst macht bewußt, daß jener Werdegang mehr ist als ein, wenngleich belangvoller Einzelfall, mehr als ein aufschlußreicher Beitrag zu der verworrenen Geschichte des menschlichen Herzens und der durchsichtigeren der deutschen Literatur, daß vielmehr in seiner Sonderbarkeit Gesetz waltet und sein schicksalhafter Verlauf etwas von dem offenbart, was uns nottut.

Hans Leip kommt so ursprünglich und unmittelbar aus dem Reinkünstlerischen, wie es seltsamerweise selbst bei Dichtern nicht häufig ist: ohne Programm, ohne Anspruch, kein Empörer, kein Ankläger, kein Erzieher, kein Rufer und Mahner, ein Verkünder schon eher und ein überaus empfindliches Instrument, auf dem alle guten und bedrohlichen Geister der Zeit und gelegentlich der liebe Gott selber musizieren. So ist sein Anfang: ganz aus dem sinnlich Anschaulichen und dem Empfindungshaften, aus der naturhaften und schwermütigen Nähe zum Dasein, ohne die Hemmungen und Müdigkeiten und freilich auch ohne die Sicherungen einer langen geistigen Tradition.

So ist sein Weiterweg, der eine Zeitlang sich mit dem heftigen Gefälle des Expressionismus, jenem in seiner Bedeutung durchaus noch nicht klargelegten Sturm und Drang des 20. Jahrhunderts, vereinigt: ekstatisch ausbrechend, verirrt in die Wildnis der Zeit, in ihr Dickicht verwildert und sich doch schon aus ihm lösend zu einem Lobpreis des Daseins, wie er trunkener selten gelang, vorgestoßen zu der Weise, wie man leben müsse, dem Innigsten anheimgegeben, vom Hauch der Mystik überweht und in scheinbar fernen Gesichten das Gegenwärtigste offenbarend.

Und dann der Umweg: in die Weite der Welt und die abenteuerliche Vielfalt des Lebens, in den Anreiz des Äußeren, in Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen und in die vor dem unheimlich Tieferströmenden bewahrenden Bereiche einer handwerklich sicheren Gebrauchsliteratur.

Schließlich jene Gegenwart (von der aus neue Sichten und Wege sich auftun, ohne Zahl): die Verbindung der ins Intuitive und Visionäre gesteigerten Anschauung mit der sicheren Kenntnis des äußeren Gefüges der Welt, die bewußte Rückkehr in die Heimat der Seele im heiteren Bewußtsein, daß es kein Entrinnen gebe vor der innersten Weisung und daß alle betörende Vielgestalt des Außen nur ein Gleichnis sein könne für die geheimnisvolle Unendlichkeit des Innen, die gereifte und helle Erkenntnis des früh Erahnten und dunkel Gefürchteten, daß es keine künstlerische Verantwortung gibt ohne menschliche, und die unerschrockene Bereitschaft, sie schlicht und ehrfürchtig auf sich zu nehmen im Angesicht der ungeheuerlichen Zeit.

Kläre Buchmann

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