Hans Leip - Begegnung zur Nacht

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Der Band umfasst zehn kürzere Erzählungen Leips. Meist stehen, wie bei Leip so häufig, Seemannsleid und Seemannsfreud im Zentrum. Geschichte um Flüsse, Häfen und Meere, von Matrosen und Küstenbewohnern, von der Liebe zwischen Wasser und Land, zwischen Seefahrer und den am Ufer wartenden Frauen. Als Ausnahmen stechen die Erzählungen «Frau Uwerkink» und «Herr Pampel» hervor, die auf ergreifende Weise das Leid und die gerade jetzt dennoch fortbestehende Mitmenschlichkeit nach den schlimmen Bombenangriffen auf Hamburg von 1943 thematisieren. In allen zehn Erzählungen erweist sich Leip als ein Meister der kleinen Form.AutorenporträtHans Leip (1893–1983) war der Sohn eines ehemaligen Seemanns und Hafenarbeiters im Hamburger Hafen. Leip wuchs in Hamburg auf. Ab Ostern 1914 war er Lehrer in Hamburg-Rothenburgsort. Im Jahre 1915 wurde er zum Militär einberufen; nach einer Verwundung im Jahre 1917 wurde er für dienstuntauglich erklärt. Leip kehrte in seinen Lehrerberuf zurück, gleichzeitig begann er, in Hamburger Zeitungen Kurzgeschichten zu veröffentlichen. 1919 fand die erste Ausstellung von Leips grafischen Arbeiten statt, der zu dieser Zeit das Leben eines Bohemiens führte. In den zwanziger Jahren unternahm Leip ausgedehnte Reisen, die ihn u. a. nach Paris, London, Algier und New York führten. Seinen literarischen Durchbruch erzielte er 1925 mit dem Seeräuberroman «Godekes Knecht». Während des Zweiten Weltkriegs lebte er ab 1940 dann vorwiegend am Bodensee und in Tirol. 1945 kehrte er für kurze Zeit nach Hamburg zurück, ließ sich jedoch dann im Schweizer Thurgau nieder. Hans Leips literarisches Werk besteht aus Romanen, Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken, Hörspielen und Filmdrehbüchern; vorherrschende Themen sind das Meer und die Seefahrt. Sein Nachruhm beruht allerdings hauptsächlich auf dem Gedicht «Lili Marleen», das Leip 1915 verfasst und 1937 in den Gedichtband «Die kleine Hafenorgel» aufgenommen hatte; in der Vertonung von Norbert Schultze, interpretiert von der Sängerin Lale Andersen und verbreitet durch den Soldatensender Belgrad erlangte das Lied während des Zweiten Weltkriegs eine ungemeine Popularität nicht nur bei den Angehörigen der deutschen Wehrmacht.-

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Hans Leip

Begegnung zur Nacht

Erzählungen

Saga

Irrlicht am Kanal

Spät gelangten wir mit unserer Jolle vor die Schleusen bei Brunsbüttelkoog. Ery hatte sich vorgenommen, schon bei Tagesanbruch in der Ostsee zu baden. Wir machten an der Südmole fest, und ich biesterte mit den Vermessungspapieren auf die Schleusenwache. Man gähnte mich an. Eine Schleppgelegenheit? Vor morgen früh kaum. Und segeln darf man nicht im Kaiser-Wilhelm-Kanal. Wir redeten dies und das. Der Wachthabende wurde munter. Er war als junger Mann in Panama gewesen. Jedoch hier sei alles größer. Ich stimmte ein in das Lob der Heimat. Wir sprachen von Seeschifffahrt und Überseehandel. Aber es nützte alles nichts.

So mußte ich denn unverrichteter Sache über die Schleusenbrücken zurück. Wo aber unlängst ein guter breiter Weg gewesen, klaffte jetzt der Schlund der Nacht. Ein russischer Dampfer war inzwischen eingelaufen und lag am Nordkai. Er sah nicht bedeutend aus in den Schluchten der Schleusenkammern, darin die »Europa« und »Bremen« und die mächtigsten Schiffe der Welt Platz haben. Doch vor den Schleusentoren sind alle gleich. Ich hatte zu warten. Uferauf und -ab die runden Lampen blühten wie die Blume Trollius in den Fischergärten hinterm Deich, gelb, rund und auf langen Stielen. Ich sah hinunter, wo sie sich zittrig spiegelten, tief unten, wo das Wasser schwärzlich schwappte, ohne daß man sein Glucksen vernahm, so tief lag es.

Endlich wurde das Schleusentor geschlossen. Es fuhr als mietskasernengroße Schiebetür von jenseits aus der Dunkelheit heran, geräuschlos; man erblickte keinen Mann Bedienung. Es war ein unheimlicher Vorgang. Und auf einmal war wieder eine bequeme, mild erleuchtete Straße, wo soeben nichts als Abgrund gelauert.

Ery war sehr enttäuscht. Sie hatte keine Lust, die Nacht im Boot zu bleiben. Sie sagte, sie wolle auf die Lotsenstation. Vielleicht wisse man dort besser Bescheid über die Möglichkeit, weiterzukommen. Wir wurden uns nicht einig, und sie verließ das Boot und entschwand die eiserne Molenleiter empor und sozusagen in den Himmel.

Sie ist erwachsen genug. Dann soll man wissen, was man tut, sagte ich mir. Schließlich wurde mir die Zeit lang. Auch vermeinte ich, oben Stimmen zu vernehmen, die mir nicht unbekannt schienen. Ich kletterte also ebenfalls die Sprossen hinauf. Ery stand oben auf den Steinen und neben ihr Lotse Prott, den wir von Hamburg-Altona-Oevelgönne kannten.

»Hallo!« sagte ich.

Aber die beiden sahen, ohne sich stören zu lassen, angestrengt nach dem fernen Ende der Mole, nach dem Signalmast dort, der die beiden Arme waagerecht ausstreckte und gegen den Westhimmel aussah wie ein riesiges Kreuz, mit einem gelben Lampenpunkt links und rechts an den Enden.

»Könnte gleichsam zum Gedenken für Skagerrak sein!« äußerte ich, näher tretend, obschon ich wußte, daß es nichts weiter bedeute als »Einfahrt wird freigemacht«. Prott warf mir einen knurrigen Blick zu, und Ery schüttelte den Kopf.

»Ein Irrlicht!« flüsterte sie aufgeregt.

»Ein Irrlicht? Nanu!« Ich vermochte nichts zu erkennen. Und nach einer Weile sagte auch Lotse Prott: »Nö, Deern, nu is es djä denn woll rein weggepust.«

Lotse Prott war ein Berg von Mensch, und sein Brösel qualmte wie ein Vulkan. Sein Benehmen war grobdrähtig und seine Seele die eines Kindes. Er war als abergläubisch verrufen. Darum nahm ich die Sache nicht weiter für ernst, und wir gingen zu dritt zur Station, um die Nachtkühle durch einen Grog aufzuheben.

Die Gaststube war voll Tabaksqualm und Rumdunst. Die roten Gesichter, die darin glommen, lachten Ery zu und gröhlten: »Mönsch, Prott, is dat dien Irrlicht?« Prott schien es für richtig zu halten, die Sache so beizudrehen, und erklärte dröhnend, das könne ein Taubstummer mit dem Stocke riechen, daß es diesem Fräulein ihr Haar gewesen sei, was da auf der Mole geleuchtet habe. Und er legte besitzergreifend eine Pranke um Erys dünne Schulter, und jedermann wollte auf der andern Seite neben ihr sitzen.

Notgedrungen wurde auch mir voll eingeschenkt.

Ich warf matt ein, sie könne nicht viel vertragen. Aber die Runde der dreizehnmal um Kap Hoorn gepökelten Salzwassermäuler lachte, daß die Glasstäbe in den Gläsern tanzten und die Segelschiffbilder an den Wänden musizierten.

Ery glühte mitten dazwischen und ließ sich den walfischgroben Hof machen. Ihr Haar stand wie eine gelbe Flamme über dem Sofa. Und sie erzählten ihr Geschichten von der Urwaldjagd auf Halmahara und von den spaßigen Sitten der Damen auf den Nengonengoinseln. Sie hörte zu, wie ein Schiffsjung so tapfer, sie, die sonst empfindlich war wie Seidenpapier; die Garne spannen hart an der Grenze zwischen Großmamas Schaukelstuhl und Störtebekers Stammtisch.

Ab und an wurde einer der Lotsen aufgerufen; dann war sein Törn da, und er mußte in die dunkle Veranda und durchs Glas nach den von See kommenden Schiffen luchsen wie eine Spinne nach Mücken. Und andere wurden dann gerufen und mußten hinaus in die Nacht und auf die Lotsenbarkasse und weit in den Strom an die Dampfer heran und die Jakobsleiter mühsam hinauf an Bord, um Mensch und Fracht sicher hinzugeleiten elbauf durch Untiefen und Leuchtfeuer zum Hamburger Hafen.

Und ehe er sich’s versah, war auch Lotse Prott an der Reihe, um auf Ausguck in die Veranda zu gehen. Er erhob sich schwer. Ich sah meine Zeit ebenfalls gekommen und wollte an Bord.

»Recht so, Jung!« meinte Prott väterlich: »Sieh nach die Boot. Anne Süd is ümmer ekligen Sog. Aberst dein Deern laß man noch’n büschen hier!«

Der Beifall der Runde übertönte jeden Einwand. Ich ging zum Boot, zog die Leinen nach, machte die Schlafplätze bereit und wartete. Es war eine windstille Nacht. Nein, wenn wir auch hätten segeln dürfen, das Morgenbad in der Ostsee war unerreichbar. Hinter der hohen Schleusentür zischte der russische Dampfer. Sein Signal heulte in die Nacht. Warum schrie er so? Warum lag er noch da? War wohl nicht alles in Ordnung? Hatte er noch jemand an Land?

Ich hatte auch noch jemand an Land. Doch sah ich keinen Grund zum Heulen. Obschon ich mir die Reise anders vorgestellt hatte. Oben auf der Mole klangen leichte rasche Schritte auf. Ach, mein Herz blies jeden Groll von dannen und sang das alte Kinderlied, ob es wollte oder nicht:

Wenn wir fahren auf der See,

wo die Fischlein springen,

freuet sich mein ganzes Herz,

lauter Heil und Singen.

Ery, Ery, wir sind hier,

die Fischlein, die Fischlein, die fangen wir.

Aber was war das? Die Schritte oben entfernten sich. Kein Zweifel. Sie konnte unser Boot nicht finden. Das kam von dem verfluchten Grog. Ich turnte die Molenleiter hinauf.

»Ery!« rief ich.

Sie wandelte schon fern und gerade auf die Schleusenbrücke zu. Sie wandte sich nicht um, hatte ihren Schal um den Kopf geschlungen. Das tat sie sonst nicht, das mußte auch vom Grog kommen. Und da! Träumte ich? Sie trug ein flackerndes Licht in der Hand, ich sah es deutlich, als sie in der Biegung des Weges den Kurs änderte, sah hell ihre andere Hand, die sie vor die Kerze hielt, den Zug abzufangen. War das ein Spuk? Hatte Lotse Protts abergläubischer Klabauterzauber einen Scherz in ihr entfesselt?

»Ery!« schrie ich.

Sie eilte unentwegt weiter.

»Ery!«

Wollte sie etwa, ich sollte hinter ihr hertürmen wie ein verliebter Affe?

»Ery! Verflixt!«

Sie lief glatt auf die Schleusenbrücke zu, die, großer Gott, im nächsten Augenblick sich katzenleise öffnen würde, um den Dampfer herauszulassen. Nun rannte ich doch hinterher.

»Ery! Ery!«

Ihre schmale Gestalt war umflossen von flackerndem Schein. Jetzt war sie am Brückeneingang. Die Aufbauten dort entzogen sie jäh meinem Blick. Dünn und schrill hörte ich das Glockensignal der Schleusenöffnung.

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