Hans Leip - Das Muschelhorn

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Leips Roman erzählt über mehrere Generationen hinweg die Geschichte des Niedergangs der Familie Abdena aus Friesland. Der wohlhabende Kaufmann Imel Abdena, mit dessen Schicksal der Roman beginnt, hat es aufgegeben, wie sein Vater zur See zu fahren, sondern handelt jetzt mit Piratengütern. Doch als er sich an Bord eines Hamburger Schiffs begibt, wird er in die Hansestadt entführt und lange Jahre dort festgehalten. Sein Sohn Dirik begibt sich nach Hamburg, um ihn freizukaufen. Doch bald ist vom Reichtum der Abdenas nur noch ein Muschelhorn geblieben … Leibs 1940 erschienener Roman vom Untergang einer Familie ist ein Meisterwerk der Inneren Emigration, das den Vergleich mit Thomas Manns «Buddenbrooks» nicht zu scheuen braucht.AutorenporträtHans Leip (1893–1983) war der Sohn eines ehemaligen Seemanns und Hafenarbeiters im Hamburger Hafen. Leip wuchs in Hamburg auf. Ab Ostern 1914 war er Lehrer in Hamburg-Rothenburgsort. Im Jahre 1915 wurde er zum Militär einberufen; nach einer Verwundung im Jahre 1917 wurde er für dienstuntauglich erklärt. Leip kehrte in seinen Lehrerberuf zurück, gleichzeitig begann er, in Hamburger Zeitungen Kurzgeschichten zu veröffentlichen. 1919 fand die erste Ausstellung von Leips grafischen Arbeiten statt, der zu dieser Zeit das Leben eines Bohemiens führte. In den zwanziger Jahren unternahm Leip ausgedehnte Reisen, die ihn u. a. nach Paris, London, Algier und New York führten. Seinen literarischen Durchbruch erzielte er 1925 mit dem Seeräuberroman «Godekes Knecht». Während des Zweiten Weltkriegs lebte er ab 1940 dann vorwiegend am Bodensee und in Tirol. 1945 kehrte er für kurze Zeit nach Hamburg zurück, ließ sich jedoch dann im Schweizer Thurgau nieder. Hans Leips literarisches Werk besteht aus Romanen, Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken, Hörspielen und Filmdrehbüchern; vorherrschende Themen sind das Meer und die Seefahrt. Sein Nachruhm beruht allerdings hauptsächlich auf dem Gedicht «Lili Marleen», das Leip 1915 verfasst und 1937 in den Gedichtband «Die kleine Hafenorgel» aufgenommen hatte; in der Vertonung von Norbert Schultze, interpretiert von der Sängerin Lale Andersen und verbreitet durch den Soldatensender Belgrad erlangte das Lied während des Zweiten Weltkriegs eine ungemeine Popularität nicht nur bei den Angehörigen der deutschen Wehrmacht.-

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Hans Leip

Das Muschelhorn

Schicksal und vollendung der abdenas Roman

Saga

Das äußere Glück ist die Schwester des Mondes, morgen sieht es anders aus als heute, und bei den Abdenas schien es eines Tages gänzlich dahin zu sein.

Die Abdenas zu Marienhave und Emden an der Nordsee hatten in glückhaften Geschäften manches zusammengebracht, fette Höfe, Vieh, volle Truhen, bar Geld, Schmuck, teures Gerät, Speicher, Schiffe und Schiffswerften, hatten auch tüchtige und schöne Frauen und viele Kinder, dazu Mägde und Knechte und Bootsleute in gehöriger Menge.

Obmann der weitverzweigten Familie war damals Imel Abdena, damals, als das Schicksal sich wandte, und er war überdies fast ein König in den sieben freien Seelanden, ein wahrer Friese von der großen Sorte, blond wie trockenes Reet, mit einem Schädel platt wie ein Haublock, darin Augen und Mund eingekerbt saßen, als sei es von Beilhieben, und beilscharf zinkte sein Nasenrücken, und es schien gemeinhin alles geruhsam und stur an ihm. Aber wenn er in Bewegung kam und die schmalen Kerben aufriß, dann blitzte es unter den gelben Wolken der Augenbrauen schneidend kühl wie die See im März, und aus den jäh dunkelrot aufschwellenden Lippen polterten die Worte grob und keines Widerspruchs gewohnt. Seine Hände waren allerdings unverhältnismäßig zart.

Vielleicht war es wegen dieser Hände, denen seiner Mutter ähnlich, daß er von Jugend auf selber nicht gern zupackte, weder bei der Arbeit noch im Zorn, und je älter er wurde, desto weniger auch hatte er es nötig; denn seine großmächtige Gestalt und Haltung, seine Schlauheit, sein Glück, sein Reichtum und die Erinnerung an seinen Vater, das alles verschaffte ihm genügend Achtung.

Seinem Vater, Bojer Abdena, hatten Faust und Messer lockerer gesessen. Aus purer Lust war der bei einigen Untaten gewisser Schnapphähne dabei gewesen, hatte sich schließlich sogar an einer langen Reise nach Spanien beteiligt, war aber davon nicht mehr heimgekehrt; ein asturischer Bolzenschuß hatte seinem Leben frühzeitig ein Ende bereitet. Imel, sein Ältester, war eben erst zwanzig, als ihm damit das Häuptlingserbe zufiel, genau in der Jahrhundertwende, vierzehnhundert Jahre nach der Geburt des immer noch unvergessenen Mannes aus dem Morgenlande, der gelehrt hatte: Liebet eure Feinde! Ein Spruch, der den Friesen nun schon lange gepredigt wurde, ohne daß ihnen je in den Sinn gekommen wäre, danach zu handeln, genau so wenig wie denen, die es sie gelehrt.

Zumal Imel Abdena fand das, was die Pröpste in den Kirchen verzapften, gemeinhin heilsam für Frauen und Knechte, um derlei in Zucht zu halten. Er für sein Teil jedoch erkannte keine Obrigkeit an außer der, die er selber darstellte, und keine Gesetze außer denen, die von Karolus Magnus her zu Friesland aufgezeichnet waren. Und als die Hansen von Hamburg auch ihm Vorschriften machen wollten, mit wem und was er seinen Vorteil zu suchen hätte, da hustete er ihnen was und war den Freibeutern auf Helgoland noch gewogener als bisher, hing auch das Muschelhorn, das von denen stammte, auf der Diele auf, damit jeder es sehen konnte, der hereintrat.

Die unter den Sippenältesten der Seelande, die vorsichtiger waren und ihren Namen und ihren Errungenschaften nach wohl ein ähnliches Ansehen beanspruchen konnten wie Imel Abdena, trugen untereinander Bedenken und sahen keine gute Zukunft, falls der Hochstrebende etwa wahr machen würde, was seinem Vater schon vorgeschwebt und was er seiner Wirkung nach schon fast erreicht hatte, nämlich sich zum Statthalter über ganz Friesland einzusetzen, sei es von eigener Macht und Gnade, sei es in Liebedienerei zu den Oldenburgern oder gar zu den umliegenden Erzstiften. Gewiß ging er allen denen und auch keinem sonst mit Worten und Gehabe um den Zahn, er hielt sich vielmehr karg mit Äußerungen, Gastgebereien und Besuchen, als habe er es schon nicht mehr nötig, der große Imel. Aber unzweifelhaft stand er sichtbar da, und jeder unter den einfachen Leuten hielt ihn für einen Hauptkerl und hätte auf leisen Wink hin Weg und Steg entlang gejubelt und Vivat gegröhlt, wenn er plötzlich sich hätte einfallen lassen, in Krone und Hermelin auf seinem Rapphengst daher zu sprengen, und ihm zur Seite — und das müßte den Sack zum Platzen bringen — womöglich die landfremde Magd, das schwarzhaarige kleine Untier, das allzu jung und allzu kühn sich ihm angeschlängelt hatte und ihn aufhetzte zu seinem Übermaß, das war kein Geheimnis. Ihm selber aber wagten sie von dieser Meinung nichts zu sagen, das war auch nicht Sitte an der See, einem andern den Weg mit Mäkeleien zu queren, es mußte jedweder selbst wissen, wie hoch er steigen konnte, ohne sich das Genick zu brechen.

Sebalda Dockemund, die er zur Großmagd auf seinem Herrenhof erhoben hatte, war von hinter den Mooren hergekommen, aus Amsterdam. Aber ihr Blut und ihre Schlankheit waren nicht von der holländischen Schwere, ihre Eltern waren rheinabwärts zugewandert, als sie in ihrem friedlichen Weinberg bei Trier das Unglück gehabt, in der Fehde zweier adliger Raufbolde auf der falschen Seite zu wohnen, so daß ihnen Hütte, Kelter und Habe vom roten Hahn gefressen wurden. In Amsterdam danach hatten sie nicht recht Fuß fassen können in den flachen feuchten bierfrohen Straßen, hatten also, nun einmal entwurzelt, weiter gewollt. Und da sie hörten, es sei im Wendischen an der Ostsee kostenlos Siedlungsland abzugeben, hatten sie sich gegen die letzten Schillinge auf eine Danziger Hulk eingeschifft mit leichtem Gepäck und einem Haufen Kinder und der Großmutter dazu und waren so den Stoßvögeln vor Helgoland in die Fänge geraten, den Nachfahren der Vitalier, die sich unbelehrbar der gleichteilerischen Gesetze erinnerten und den Seeraub als zur Freude des Höchsten ausübten, ansonst aber wenig mehr vom hochfliegenden Geiste ihrer einstigen Herrlichkeit besaßen und mehr und mehr zu schlichten Wegelagerern an den Fahrstraßen der Hanse wurden.

Hönris, der alte narbengespickte Unterführer einer glorreichen Zeit, nun glatsköpfig, gichtig und kurzluftig, hatte verklemmte Neigungen, fromm zu werden, und hielt seit kurzem Ausschau nach einer stillen Zuflucht abseits des unruhigen Gewerbes, er begann Mord und Totschlag zu verabscheuen; er, der doch der Roheste von allen gewesen war und in seiner Maienblüte weder Gott noch Teufel gefürchtet hatte, fürchtete sich nun vor beiden, da die Zeit naherückte, wo sich entscheiden mußte, ob die gepriesene Tilgung aller Sündenschuld durch das Lamm Gottes auch für ihn mitreiche. Er zweifelte billig daran und gedachte durch einen frommen Wandel zu mildernden Umständen zu gelangen, wobei er sich naturgemäß vor seinen Spießgesellen schämte. Es hatte eine wahre List erfordert, um solche Anfechtung gerade bei dem frommen Weinbauern Dockemund zu überwinden, so daß der am Leben blieb samt der Familie. Hönris kam nämlich der rettende Einfall, die zaubrische Erzeugung gegorenen Rebensaftes auf Helgoland versuchen zu lassen, allwo an der Kreideklippe, die derzeit noch Insel und Düne verband, ein geeigneter Südhang und ein leicht zu bereitender Boden sich günstig anließen. Es wurden Reben von weither besorgt, burgundische sowohl als Traminer und Muskateller, und es mühte sich der Winzer manches Jahr und hatte vollauf mit seiner ganzen Sippschaft zu tun, und sie kämpften in Gemeinsamkeit mit den Weinstöcken gegen den ewigen Salzwind und das mit einigem Erfolg, was die Trauben betraf, die, obwohl sie klein blieben, nach den einbrennenden Sommern in der ungehinderten Sonne zu gewisser Würze gediehen, jedoch nur einen herben, stark köpfenden Wein hergaben. Die Kinder aber gediehen nicht und verkränkelten eines nach dem andern in der Schärfe der Luft, und auch die Altmutter starb. Die Eltern jedoch hatten vor Arbeit keine Zeit zum Sterben und blickten mit Sorge auf das letzte ihrer Kinder, das älteste zudem, das Mädchen Sebalda, und baten Hönris eines Tages, das Kind zu guten Leuten aufs Festland Zu geben, damit es sich dort erhole.

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