Nun, da der erspannte Druck ausblieb, blähte es ihn gleichsam auseinander, den mächtigen Imel und machte seine Überlegung dünn. Was nun sollte er denen das groß herzeigen, was er um sich zusammengerafft? Würde es nicht merklich nach Ängstlichkeit riechen, daß er sich so mit Getöse umgab? Würde da nicht das abfällig durchschauende Grinsen berechtigter oberhalb der sauberen Ratskrausen Platz finden? Auf einmal deuchte es ihm unsinnig, die hansischen Füße an den Ufersteg zu lassen, die gierigen Sohlen, daran leichtlieh ein Stück Freiheit und Würde des lieben Landes hängenbleiben könne, wer weiß durch welchen gelehrten Zauber. Auch reizte ihn die Bauart des schniegligen Schiffleins, und er hätte es gern nahebei und betreffs der inneren Spantung geprüft. Auch gedachte er Sebaldas, die zierlicher war als dieses Elbschiff, und er hätte sie gern zur Stelle gehabt, um sie als sein Glanzstück daneben herzuzeigen, den süßen Buttervogel.
Was alles ihm auch im Schädel herum summen mochte, jedenfalls holte Imel Abdena nunmehr zu seinem eigenen Niederschlag aus, und wenn er Sebaldas gedachte, so war es im Grunde weniger Eitelkeit als vielmehr die bedrückende Ahnung, daß er zum ersten Male in seinem Dasein einen klugen Zurat entbehre und eine Unterstützung seines Entschlusses. Aber das kluge Kind saß stromauf zu Emden und spann Unmut, obschon es recht gehabt hatte, wie ihm jetzt schwanen wollte, mit der kleinen Festtafel voll Leckereien. Somit stieß er seine Unsicherheit mit hartem Atem von sich und schnob einem der Söhne zu, er solle der Dockemund Nachricht geben, in Bälde das bedachte Mahl für ein halb Dutzend Gäste zu richten. Weitere Anweisung aber hinterließ er nicht. Und spiegelte sich groß zu fürstlicher Höflichkeit auf, vermeinend, die Zeit bis zum Essen fruchtbar anzuwenden, und ließ sich, nur begleitet von seinem jüngsten Sohne und zwei Ruderern, im Boot an die Schnigge bringen, die sich nicht weiter zum Ufer herantraute und vor Anker ging.
Seine silberbeschlagene Rüstung, deren sich kein Graf und Ritter zu schämen hätte brauchen, mitsamt dem federtürmigen Stechhelm ließ er sich sichtbarlich bis ans Boot nachtragen und winkte dann hoheitsvoll ab, als sähe er keinen Anlaß für eine allzu gewichtige Gala.
Er trug an Besonderheiten an diesem Tag eine Mütze aus weißem Robbenfell, ein Wams aus rotem Brokat und einen breiten Gürtel aus Dachsleder, den Sebalda mit Goldfäden bestickt hatte. Und niemand wagte, eine Warnung auszusprechen, als er ohne Waffen und Beistand hinüberfuhr. Jetzt also, da er sich innerst nach einem gelinden Einspruch sehnte, mußte er büßen, daß nach jedermanns Erfahrung es bislang unnütz gewesen war, ihm zu- oder abzureden.
Den Jüngsten aber nahm er mit, damit der rühmlich anwenden sollte, was er gelernt, falls da irgendein Punktum unter irgendeinen Wisch zu setzen sein würde.
Das Punktum wurde anders gesetzt, als ihm vorschwebte. Die Hamburger gaben sich, da er so harmlos nahte, alsbald ohne die übliche Steifheit. Sie schienen wirklich erfreut, daß er ihnen so viel Ehre antat und Zudem ihr Schiff lobte; hatten auch kein Geheimnis, ihm die ganze Bauart zu zeigen, sie kamen auch bald, schon im Hin- und Hergehen, auf die verschiedenen Strittigkeiten zu sprechen und gaben fast in allem klein bei, still überrascht und froh, den Fuchs so rasch in der Falle zu haben, zögerten auch nicht lange, ein Pergament zu entrollen, wo denn das meiste schon aufgezeichnet stand. Imel schob es zurück. Er sah die Segel seiner Helgoländer Freunde über den Vorländern hinter der Kimm auftauchen und merkte wohl, daß die Stadtherren deswegen Eile hatten. Er griff nach dem Krug Hamburger Bier, der ihm oben an Deck kredenzt ward, und trank den Segeln zu und dann den Herren, und die Herren tranken ebenfalls und lächelten gezwungen verständnisvoll, und er lachte kurz und erklärte, auch die Vitalier habe er nach Belieben im Drill, und er wünsche einen kleinen Zusatz deswegen in der Urkunde, so, als sei sie nicht nur zwischen dem Rate und ihm, sondern zugleich mit denen da geschlossen.
Die Herren Unterhändler seufzten und wollten in die Kajüte zur Beratschlagung, aber Imel ging stracks gleich mit, um es kurz zu machen; denn so unverschämt sicher fühlte er sich bis in die Haarwurzeln. Und er winkte seinen Knaben hinterher, daß er der hübschen Maßnahme beiwohne und ihm den Zusatz vorlese, sobald er geschrieben sei, und den Namen Abdena darunter füge, den stolzen Namen, der nunmehr sogar der Hanse Anordnungen gab. Der Knabe winkte vergnügt noch einmal zum Ufer zurück, wo Dirik, sein ältester Bruder, wie ein halsloser buckliger Bär am Bootssteg stand und unruhig herübersah und somit den Jungen zum letztenmal lebend erblickte.
Denn sobald die Kajütentür zuschlug, fielen sie über Imel her; aus allen Ecken und Vorhängen stürzten Bewaffnete und banden und knebelten den gewaltigen Friesländer, und man merkte, wie wenig seine Fäuste vermochten, er ließ fast willenlos das Unerhörte mit sich geschehen. Der Kleine aber, der sprachlos mit ansah, wie die ragende Esche, die sein Vater doch war, umfiel beim ersten Streich, glaubte vor Scham in den Boden versinken zu müssen, fuhr dann aber mit unversehentlicher Wildheit dazwischen. Sie hieben ihm vor die Stirn mit seinem eigenen Tintenfaß, das er sich mitgebracht.
In aller Ruhe dann setzten die Hamburger Segel, nahmen den Anker auf und glitten davon gen See, ehe sich Imels Knechte, von Dirik angelärmt, das Maul gewischt hatten, so daß es allen zu spät deuchte, hinterdrein zu knüppeln, jedermann auch hoffte, die aufkommenden Vitalier würden die Mücke schon greifen, falls da etwas faul stänke, wofür ihnen jedoch kein Anzeichen erkennbar schien. Imel in seiner Selbstherrlichkeit mochte vielleicht sogar eine Reise gen Hamburg Vorhaben, um sich mit wer weiß was an Größe und Verhandlung zu krönen. Hatte doch auch der Knabe Ate noch eben munter herübergewinkt.
Nun gut und nicht gut, es war zu spüren, daß wenige ihn von Herzen liebten, den machtvollen Imel, und jeder ihm gern überließ, nach Gewohnheit für sich selber zu sorgen.
Die Vitalier nun, das mußte man bald ersehen, waren überhaupt nicht auf den Verdacht gekommen, dem kleinen Fahrzeug Bedeutung beizumessen. Sie hatten sich auf ein saftiges Getümmel und ungewöhnliche Beute gerüstet und waren schlecht gelaunt, Reede und Hafen ohne Hansen zu finden. Dem flinken Segel aber nachzustoßen, darin sahen sie keinen Vorteil, sie wollten sich wohl auch nicht bekneifen mit der Aussichtslosigkeit, auch verlangte es keiner derer, die nun notgedrungen, wenn auch in gesetzten Formen die Mahlzeit mit ihnen teilten; denn zunächst hatte keiner die Neigung verspürt, sich auch nur der leisesten Befürchtung wegen Imels hinzugeben. Dirik aber nahm die beiden damaligen Hauptleute der Helgoländer Brattewand und Gutzkuhl mit zu Sebaldas erlesenem Tisch, dazu die Verwandten Goddert und Snelger Abdena sowie Ohm Sibert. Und gerade Ohm Sibert war es, der Sebalda mit würzigen Bemerkungen zu erheitern suchte, er, der hinterm Zaun so grimmig gegen sie gewettert, aber nun sagte ihm ein befriedigendes Gefühl, daß in diesem Hause so Krone als Übermaß schon zum Eulenloch hinausgefahren seien, und er hob den Stürzbecher zwinkernd auf gegen das Muschelhorn, das unterm Balken hing, und meinte gelassen, es erinnere ihn ein wenig an eben diesen Becher und damit an das Wappen Störtebekers. Mehr sagte er nicht darüber, aber Sebalda und Dirik spürten, daß er etwas Böses angedeutet haben wollte. Die Vitalier aber glaubten, es sei eine Verbeugung, und tranken voll und bei zurück und waren später nur mit Mühe auf ihre Hulken zurückzubringen und hätten Sebalda gern wieder mitgenommen, das war klar. Sie aber trug ihnen Grüße auf an ihre Eltern.
Als Dirik danach schwerfällig den Großonkel zur Rede stellte, was er mit der Anspielung gemeint, da verbarg der sich nicht länger und lachte heimtückisch über Dirik hinweg: So gesoffen wie geblasen! Mehr habe er nicht sagen wollen, aber auch nicht weniger.
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