Die Hansen mühten sich indes nämlich weidlich, die neu ermunterten Auslieger und Kaperer in der Nordsee auszuheben, wo nur immer sie ihnen günstig und in Unterzahl vor den Bug gerieten. Es fehlte ihnen auch nicht an Mannschaft, Macht und Geschütz. Sie hatten auch viel Erfolg in Holstein und Dänemark gegen Ritter und Grafen und Könige gehabt, selbst gegen den von England. Aber soviel sie auch dem Seeraub an den Hals gingen — jener Ausgeburt nordischer Kriegsläufte und eines ungegorenen Glaubens an allgemeine Freiheit des Meeres, an brüderliche Gleichheit aller Menschen und dementsprechende Verteilung der irdischen Güter — und so viele sie auch der störrischen Köpfe, die ihnen die Reisen gen Brabant und London besteuern wollten, auf die Richtpfähle am Brook steckten, es wuchsen ihrer immer frisch und gierig nach im freien Wind der See. Und waren auch die wildesten dieser Seewölfe, Klaas Störtebeker, Godeke Michels und Magister Wikbold, längst vor die Würmer gegangen, so lebte doch deren Andenken gefährlich weiter, unterstützt und gehegt von eben den Friesen, die vom Zwischenhandel mit der Beute reich wurden und es keineswegs Hehlerei nannten, sich vielmehr, Imel Abdena voran, hergebrachter Rechte priesen und weniger aus der morgenrötlichen Stimmung umarmender Brüderlichkeit, als offen aus krasser Selbstsucht ihren Anteil am englischen wie flandrischen Tuchgeschäft forderten, das die Hanse sich als eigenste und gottgewollte Ausschließlichkeit anmaßte.
Verhandlungen nützten da nicht viel, das hatte man erfahren. Gern hätten die Hamburger die friesischen Dickköpfe dem blutigen Rosenkranz auf dem Richtbrook eingefügt, aber eine Landung in den unwegsamen Emsmarschen, eine Hatz über Schlick und Gräben in endloser Weite gegen die wohlbewehrten Wasserhöfe hatte sich bisher immer als verlustreich und langatmig erwiesen, obschon die Hehler und Hetzer nur zu Land zu fangen waren, seit sie nach Bojer Abdenas Tod selber nicht mehr auf die Schiffe gingen, sondern sie nur bauten und ausrüsteten und offenen Hafen dafür hielten und offene Stapel und Tauschplätze jederzeit. Ja, selber blieben sie an Land und überließen den heißen Teil des Betriebs anderen, den Hansen zum Abbruch.
Die Hansen mochten auch einwandfreie Angaben über die neue Wasserfeste Imels besitzen.
Jedenfalls machten die Hamburger, obschon sie sich kräftiger entwickelten als die übrigen Städte des gewichtigen Hansabundes, im Jahre 1431 plötzlich gute Mienen und schickten den Friesen Botschaft, daß sie gedächten, auf gütlichem Wege über die Anteile zu verhandeln. Da lachte Imel Abdena nicht schlecht und berief die Versammlung. Sein gelber Karolus-Magnus-Bart tanzte ihm unter der Nase, er schlug sich mit der flachen Hand lustig auf das breite Kinn, ja, das war sein Tag, sein höchster Glanz und Stern, daß die Hansen, die oberfeinen Stadtmännlein, die Würgekrämer, die Protzbeutel ihm vor die Schuhe kröchen und liebreiche Verklarung suchten. Die übrigen Obleute nun sahen die Gelegenheit, daß er sich die Finger verbrennen könne, und baten ihn, doch die Angelegenheit für sie alle zu führen.
Das war es, was Imel gewollt, und es schwoll ihm der Kamm, so daß er richtig gesprächig wurde.
Dickwanstige Biertonnen, drei Pampslöffel drauf, daran muffige Bettlaken als Segel, so schilderte er da die Hamburger Schiffe, die berühmten Koggen und Hulken, denen vor drei Jahrzehnten die Vitalierhelden aus reiner Gutmütigkeit und Dusselei zum Opfer gefallen seien. Wie wollten sie sie doch empfangen! Mit einem Grinsen von einem Ohr zum andern. Kein anderer Gruß nimmt es mit solchem Friesenlächeln an durchdringend unziemlicher Erbötigkeit auf.
Haben wir übrigens die Ohren der Abdenas erwähnt? Sie hatten unverkennbare Ohren, gegen die grellste Sonne wußte man, das mußte ein Abdena sein, selbst bei Ate, so mondsichelförmig bogen sich deren Ohren ab, oben spitz, unten spitz, wohlgemerkt, von vorn oder von hinten betrachtet, wie abgespalten wirkten sie an den Haublockschädeln und zumal bei dem ducknackigen Dirik. Jedoch von der Seite gesehen war der Eindruck kaum anders als bei gewöhnlichen Ohren.
Sebalda nun, da er ihr alles zu Hause haarklein berichtete, damit ihr Stolz sich mit seinem mische, sie meinte, ein Grinsen wäre zu wenig fürstlich und sei es so lang und geschmeidig wie ein Regenwurm und gleich ekelhaft. Aber Imel wollte den verwöhnten Schlünden keine Atzung gönnen, bevor nicht etwas Urkundliches über seine Berechtigungen ausgefertigt sei. Die Herren sollten nicht glauben, daß er nötig habe, deren Gemüt mit Imbiß und Umtrunk rosig zu kitzeln. Mochten sie gerne erkennen, wie trefflich es sich lebe hier an der Unterems, mochten sie sein festes Schloß gern von außen bestaunen, mochten sie von ferne sich daran laben, wie er seinen Knechten an dem Tage auftischen ließ, daß die offenen Speicherschuppen krachten von Schinken, Würsten, Lachsfladen, Rosinenklöben, echtem Eimbekker Bier und girondischem Rotspon. Man dürfe die Hansen nicht zu nahe lassen, sagte er, die seien von der gierigen Sorte; lädt man sie zum Sitzen ein, so nehmen sie alsbald Besitz. Derweilen habe er für alle Fälle gründlich vorgesorgt, ihnen die Krallen zu bestoßen.
Sebalda wäre gern mit Imel in allen Teilen eins gewesen, flögen seine Pläne noch so hoch und sei es zur Herrschaft der Welt. Aber gar zu gern doch hätte sie den Ratsherren ihre Kochkunst gewiesen. Und wenn sie den Stadtmenschen auch nicht traute und schon zu Amsterdam allesamt für Drachen auf Filzsohlen gehalten, so war sie sich dennoch der eigenen Wirkung zu bewußt, um nicht für Imel dadurch einen anmutigeren und rascheren Sieg zu erhoffen als durch das bloße Gerede unter Männern. Als sie aber merkte, wie Imel eine Menge Volks zusammenzog und mit Waffen versorgte und einen regelrechten Hinterhalt zu Marienhave anlegte, da erboste sie sich und katzte ihn fauchend an. Und wenn sie auch gleich danach wieder schmeichelte und sich selber schalt, weil sie von Kind her Mord und Brand in allzu schrecklicher Erinnerung habe, es verdroß Imel doch, der bis dahin ernsthafte Einwände, zumal von Frauen, nicht erlebt hatte, ja, es ärgerte ihn kläglich, daß er solcher Heftigkeit überhaupt so lange zugehört. Er fuhr die Ungestüme barsch an, und das in dem Augenblick, da ihm im Innern aufging, wie recht sie wahrscheinlich habe. Aber solche jähe unbekannte, unbequeme Unsicherheit ärgerte ihn noch mehr, so daß er der benommen Verstummten verbot, sich beim Empfang der Gäste blicken zu lassen.
Mochten die Hansen kommen, so dick sie wollten, er war gerüstet. Aber diesmal schickten die Hamburger keine Großmaster in die Emsmündung, keine herausfordernde Flotte mit bemalten Segeln und prächtigen Flaggen und nichts von kriegerischer Musik und Gespieße, Panzerblitzen und prangenden Kugelrohren. Ganz bescheiden fand sich nichts als eine kleine friedliche Schnigge ein, keine Schnecke allerdings, sondern ein ranker Schnellsegler, ein rechtes flinkes Botschaftsboot mit ein paar Ratsherren und Matrosen darauf, soviel man sah.
Das war alles? Imel Abdena zog die Wangen zusammen, so daß sein schmaler Mund spitzfindig klein wurde, als wolle er sich diesem unerwartet spärlichen Maße der hansischen Gesandtschaft anpassen. Und dann winkte er seinen gaffenden Söhnen und den Knechten zu, sie sollten sich umdrehen, damit niemand ihr Grinsen sehe, da es der Gelegenheit nach allzu dumm geraten sei, und er knurrte belustigt, sie sollten ihre Messer wieder aus den Hosen entlassen und die Morgensterne hinterm Rücken beiseite legen und die Kugelbüchsen hinter den Lagerhäusern mit Kuhhäuten vermummeln und weiter frühstücken. Ja, wären Hunderte und Tausende gekommen, so hätte er sie alle grinsend an Land steigen heißen zu lauerndem Willkomm und ihnen, so sie nicht gutmütig geblieben, einen eisernen Schmaus und in den nassen Wiesen ein Bett für die Ewigkeit richten lassen. Volks hatte er hinreichend zur Hand.
Читать дальше