Das klang auf Platt nicht weniger umständlich und ablehnend. Und wie sollten wohl die beiden dafür gerade stehen, daß die Wölfe zu Friesland zu Lämmern würden. Hatte man dort anfangs auch den Hansen die Finger geleckt, kam doch bald der alte Reißezahn wieder zum Vorschein, der den Saft des Kaperhandels nicht entbehren mochte.
Sibold Papinga übrigens war es, Imels Stiefvetter, der das gute Schloß an der Ems gegen ein Lächerliches übernommen hatte und nun seinerseits den großen Herrn spielen wollte, als stäke der Übermut in den Mauern, und er taufte es um auf Siboldsburg und tat bald, als sei er der Zwingherr über ganz Friesland, ärgerte auch die Bremer und Hamburger weidlich, indem er deren Tuche, die er den Ausliegern in Bausch und Bogen abnahm, zu halbem Preis ins Westfälische hinein verkaufte. Als die Hansen endlich mit Kriegsvolk über Norden her ins Land fielen, brachte auch er seinerseits genug Knechte auf, es lag deren noch von Imel Abdenas Glanz her mancherlei unnütz und lungernd um Emden und Delmenhorst herum, und er wäre der Stadtspieße auch Sieger geblieben, hätten nicht seine eigenen Brüder und Vettern, in Gemeinschaft mit Enno Cirksena und Onkel Sibert, voll Sorge, Sibold möge höher steigen als sie, und in Gedenken an Imels Anmaßungen, sich den Hansen angeschlossen. So ging auch Sibold dahin und wurde auf den Wiesen erschlagen, hatte es derart also vielleicht besser getroffen als Imel.
Danach zogen sie, Hansen wie Friesen, über die Emsfeste her und zerstörten fast alles, was da prächtig geragt hatte, mitsamt den beiden Türmen. Als solle alles vertilgt werden, was an Imels Überschwang erinnerte. Auch seine Besitzungen zu Emden nahmen sie, wo Embke sich eingenistet hatte, behauptend, seine Urahnen seien allda schon als Stedinger und lange vor den Abdenas seßhaft gewesen, aber er wehrte sich nicht lange, von seinen eignen Leuten im Stich gelassen. Cirksena hatte Recht gehabt, einen Bund aller anzustreben, da Einigkeit und Mut selten geworden waren, indem nunmehr jeder lieber für sich leben wollte als für alle sterben, ein Standpunkt, der nur gut ist für solche, deren Leben schwer ersetzlich ist für die Allgemeinheit, und davon gibt es nicht viele.
Die Hansen jedenfalls maßen keinem der Friesen solch überragende Bedeutung zu außer eben Imel Abdena, sie nahmen auch an, daß seine Landsleute ihn gleich hoch einschätzten, und das war ein Grund mehr, ihn nicht sofort umzubringen, sondern ihn als Pfand, ja, geradezu als Lockmittel und letzten Trumpf für schwierige Verhandlungen aufzusparen. Die Mitglieder der Hanse konnten sich solche Verfahren nach Gutdünken leisten, sie hatten um die Zeit fast soviel Macht wie in vormaligen Jahrhunderten der Papst, sie, die Gemeinschaft der Kaufherren aller großen Städte Deutschlands, die den Umsatz mit den sichtbaren irdischen Gütern betrieb, wie die Kirche den mit den unsichtbaren himmlischen, und man sah, beider Geschäft war geeignet, die Herrschaft über die Welt auszuüben, denn nicht darum geht es, wie wichtig dasjenige sei, was man der Begier des Menschen, seine Unvollkommenheit zu bedecken, hinreicht, ob es sich nun um die Vergebung der Sünden oder um die Ankreidung von Wolle handelt, sondern es kommt auf das Geschick an, denen, die darauf festgelegt werden sollen, die Unentbehrlichkeit des betreffenden Gutes beizubringen. Und ganz entschieden kam derzeit eine Strömung auf, dem Geiste der Hanse dienlich, die heiteren irdischen Güter höher einzuschätzen als die zumeist bedrückenden himmlischen.
Störenfriede, Zweifler und Eigenbrötler sind schlechte Abnehmer von Massengütern. Um sie auszumerzen, wird kein Unrecht gescheut, aber die Macht der Verteiler, die so Preise als Stempel verwalten, stempelt Unrecht um zu Recht. Die Stempelgläubigen sind damit zufrieden und glauben, nun wahrhaft des rechten Rechtes teilhaftig zu sein. Andere finden sich klüglich damit ab, und nur, wer das Verhängnis hat, Neigung zu eigenen Stempeln zu besitzen, macht sich das Dasein unbequem und läuft Gefahr, niedergestempelt zu werden. Denn nur wenigen gelingt es, selber die alten Stempel durch neue zu ersetzen und altes Recht durch neues, indem sie behaupten, altes Unrecht in neues Recht zu verwandeln, und wirklich die Macht dazu erreichen. Man muß sie bewundern. Und sind sie nicht die großen Erfüller uralter Gesetze? Die Umpflüger der Welt, die Landwirte des Höchsten? Die da aufbauen, indem sie zerstören, die da erhalten, indem sie vernichten. Denn das Korn muß geköpft und geprügelt werden, damit es seines Ballastes ledig werde, und muß fortgeworfen und eingescharrt werden, damit es auferstehe, und muß zerrüttelt zermalmt zerschunden ertränkt gewalkt und in den Ofen geschoben werden, damit aus seiner Marter und Vernichtung das Brot des Lebens werde.
So ergeht es allem, das hoch und fruchtbar auf dem Felde des Schicksals wächst, und so auch vollendete sich das Walten der Hanse in einer Zeit, da manches sich umwerten sollte, und die neuen Stempel, sie abzulösen, wurden schon geschnitten. Vorläufig aber war es noch ihr Recht, diejenigen, die ihrem Wachstum im Wege waren, auszurotten. Dirik und Sebalda jedoch machten sich keine erklärenden Gedanken über den Sinn von Imels Unglück, sie wollten, daß er lebe, und wollten selber leben. Darum warfen sie allen Besitz bedenkenlos in die hamburgische Waage, obschon die Gegenschale, darin das Leben Imels lag, von den Krämerfingern niedergehalten wurde. Wog denen der Friese auch mehr mit als ohne Kopf, und hätte es also kaum der beiderseitigen Anstrengungen bedurft, so konnte doch der Kaufmannsgeist nicht umhin, den Preis zu nehmen, der geboten wurde für etwas, das man auch billiger hätte liefern können. Das war jedoch kein Grund, nun etwa eine Zugabe zu gewähren, wie etwa das elfte Stück bei einer Abnahme von zehn, was auch erst später Sitte wurde, als nämlich die hansischen Stempel durch allgemeineren Wettbewerb wertlos wurden und der Städtehändler mächtiges Gefüge, proper und vor Reife raschelnd, in den natürlichen Mahlgang aller Dinge entschwand.
Es verfing aus solchen Gründen also weder bei den hohen Herren noch bei den Wächtern, die zu Hamburg seit je sich nicht schlechter als ihre Herren erachtet, daß Sebalda bald hier bald dort in Innigkeit selber ihre Bitten vorbrachte, den Häftling zu sehen. Nicht einmal das, was sie und Dirik an Zubrot und Getränk hintrugen, kam in seine Hände, auch nicht die warme Decke, als es kalt wurde. Dirik, von Anfang an mißtrauisch und ohne Hoffnung, kam dahinter, daß die Wächter alles für sich gebrauchten. Er beschwerte sich bei deren Hauptmann. Der erwiderte kühl, es komme dem Gefangenen auch so zunutze, indem die Wächter ihm geneigter seien dadurch, daß mittelbar sie Vorteile durch ihn erfahren hätten.
Man wird müde, Wasser in einen Topf zu füllen, wenn man nicht länger leugnen kann, daß der Topf ein Sieb sei. Außerdem sah Dirik sich nach Jahresfrist gezwungen, sich nach bezahlter Arbeit umzusehen. Er ließ sich, weil er nichts anderes gelernt hatte, in die Brüderschaft der Schiffbauer eintragen. Die zu hinterlegende Gebühr besaß er zwar nicht mehr, aber Sebalda hatte noch das Muschelhorn. Sie hatte es damals mitgenommen, als sie heimlich aus Friesland entschwand, und hatte es wie das Gebein eines Heiligen bewahrt. Nur zögernd rückte sie es heraus, wollte aber keinesfalls auch noch den Rosenkranz aus Korallen hergeben.
Dirik ließ es bei dem Muschelhorn bewenden, denn er ahnte schon, daß selbst das kleine Kreuz aus Ebenholz kein gängiger Wert für eine weltliche Einzahlung sei. Wie er nun das Muschelhorn in den groben Händen hielt und abschätzend die wässerigen vorstehenden Augen darauf richtete und finster schnaufend der entschwundenen üppigen Zeiten gedachte, sowie des Jammers um den Vater, und, den Kopf zwischen den mächtigen Schultern, hilflos und stotternd, selber als ein Bild des Jammers dastand, da drehte sich in Sebalda das niedergehaltene, seit langem ungespeiste Gefühl, so, wie die Ebbe umkentert in die junge Flut, und von da an begann Imels Gestalt und Glorie sich hinter Dirik zu verbergen, und sie empfand es vorläufig als Mitleid mit Dirik und seiner benachteiligten Körperlichkeit, wie es schon immer etwas Mitleid gewesen war und etwas Grauen vor ihm, der ein viereckiger Klobenstapel von Mensch war, dreimal so breit aber kaum größer als sie, und der häßlich war und krötenähnlich und von schweren Füßen und schwerer Zunge. Auch hatte er keineswegs die zarten Hände des Vaters. Aber er war gutmütig. Er war nicht einmal zu bewegen gewesen, die beiden Wächter am Teufelsturm umzubringen, ja nicht einmal einen, indem Sebalda sich wohl zugetraut hätte, den andern selber zu erledigen. Dirik war ein biederer Handwerker, ein guter Sohn und Bruder. Ja, wie ein Bruder hatte er sich ihr gegenüber benommen. Und wenn die Nachbarsfrauen, von denen sie Bohnen und Rüben kaufte, neugierig sie auszufragen gedachten, dann nickte sie abweisend, wenn die Vermutung auftauchte, sie sei nichts als die Schwester des armen Buckligen.
Читать дальше