Nun hatte sie ihm das Muschelhorn gegeben, das ihres Lebens Krönung und Wappen gewesen und das Unterpfand dessen, den sie in alle Himmel hoch verehrt hatte und an ihn geglaubt. Jetzt mußte es für das nackte Leben reichen. Und ihre einzige Besorgnis war nun, daß Dirik es in seinen Pranken etwa zerbräche.
Aber Dirik hielt es ungemein behutsam. Sie mußte auf einmal lachen, da es aussah, als halte er eine Puppe oder gar einen Säugling, so täppisch zierlich versuchte er, seine Baumwurzeln von Fingern geschmeidig der Form anzupassen, damit es ihm nicht entgleite. Es war lange her, daß Sebalda gelacht hatte, dieses kleine glucksende aufzirpende Geräusch, es tanzte silbern über Diriks bekümmertem Geschnaufe hin.
Denn da er nun das merkwürdige Erbstück und Wappenbild aus dem Besitz der Familie zu geben gedachte, spürte er, wie sehr er das Muschelhorn geliebt von Kind auf, und ihm fiel ein, daß nebelhafte Geschichten über seine Herkunft, sein Schicksal und seine Verrichtungen im Hause gespukt hatten und daß Ate eben vorm Schlaf mancherlei darüber gesponnen, der seltsame weichmütige Knabe — niemand wußte, wo er das krause Zeugs her hatte — über Störtebeker selber zum Beispiel, der dieses Muschelhorn zu Granada von einem Maurenkönig als Gastgeschenk erhalten habe im Austausch gegen eine halbe Tonne Hamburger Bier, und mit dem Horn zugleich einen Mameluken dazu, der es zu blasen verstanden habe, besser als der Turmtüter auf dem Dom zu Bremen das seine, und der konnte doch sogar einen ganzen Psalm. Das Musizieren darauf aber habe den Vitalierfürsten allzu trübe gestimmt und ihn an manchen Fehlschlag erinnert, zumal daran, daß er sich für fähig gehalten, ein Weltreich Zu schaffen, darin jedermann lustig sein sollte. Darum habe er das Muschelhorn weitergeschenkt an seinen liebsten Freund, an Großvater Bojer Abdena, den Mameluken aber behalten, und den habe der Vater selber noch gesehen und sich bekreuzigt, als sei es der Leibhaftige. Da aber der Großvater hinterrücks niedergemacht worden sei, als die Vitalier sozusagen ganz friedlich ein Nonnenkloster besichtigen wollten, habe denn Störtebeker das Muschelhorn als Andenken an den Toten und als Zeichen der Treue den Abdenas mitgebracht.
Störtebeker war indes selbst längst vermodert, schuldiger als Imel Abdena, der das Geschenk übernommen hatte, und vielleicht großartiger. Und auch der Mameluk war sicherlich längst dahin. Und nun hatten sie auch Imel unschädlich gemacht. Aber das Muschelhorn war noch immer da, und noch hielt er, Dirik, es in Händen. Der Maurenherrscher, wie Ate damals zu spinnen wußte, mochte es aus unbekannten Ländern bezogen haben, über geheimnisvolle Meere jenseits der Weltscheide, über Alexandria und Ophir, von den Goldinseln Salomonis her oder von den vor Gewürzduft ganz in lilienfarbenen Nebeln gehüllten Gestaden Indiens oder Zipangus. Dort war es bei dunkelhäutigen, mit Vogelfedern, Korallen, Elfenbein und Schellen aus blauen Karfunkeln bekleideten Völkern zu festlichen Eröffnungen geblasen worden und dann, wenn die großen Kröten im Schlaf gewiegt Wurden. Die großen Kröten? Sollte es ein Stich auf ihn, auf Dirik gewesen sein, von dem der Vater selber in Wut und Enttäuschung durch das Haus schrie, wenn er genügend getrunken hatte: Ich hab eine Kröte als Stammhalter! Und es der Mutter zur Last gelegt, obschon sie ihm fünf weitere Söhne geboren hatte und alle wohlgewachsen. Aber Ate war ganz und gar ohne Falsch und und ein Kind. Und wußte viel über die großen sanften und klugen Tiere zu erzählen, die dort zu Kalikut statt der Kühe gehalten würden, wo sie nicht nur eine gelbe, nach Zimmet und Honig schmeckende Milch gäben, sondern ein Fell aus echten Dukaten hätten, die wie Haare wüchsen und ab und zu geschoren werden müßten. Darum pflege man sie dort besonders und blase ihnen Wiegenlieder vor mit solchen Muschelhörnern, mit noch hundertmal größeren als dieses.
Dieses Muschelhorn war immerhin wie zwei aneinander gelegte Männerfäuste groß. Es hatte übrigens im ganzen eine Form, die mehr einer gestreckten Öllampe glich denn der eines Horns. An seinem dickeren Ende hinter dem größten Umfang war es jählings dreifach schneckenhaft zur Spitze gewunden, sonst aber bauchig und schön gewölbt, und am andern Ende, ein wenig seitlich gedreht, schwang es schmal und gestreckt aus. An der Schnecke war ein goldenes Mundstück angesetzt, das blütenhaft aus einer Ranke hervorging, die um die Windungen verankert war. Von außen hatte der schöne Panzer, der einem sonderbaren Meerestier Wohnung gewesen war, eine hellrote, stumpfe, steinhafte Färbung mit dunkleren Riefen und rötlicher runenhafter Zeichnung, daraus die goldene Ranke vom äußersten Rande hervorzugehen schien, erst dünn und blaß, dann in unermüdlicher Windung sich bis zur Schnecke hinschraubend, wo man den Übergang zu dem aufgesetzten Metall kaum wahrnahm. Die Öffnung nun zog sich seitlich in flachem Zirkelschlag hin, auf der einen Seite scharfkantig, auf der anderen, ihr zuschwingend, eingebogen gerundet gleich einer überkämmenden Welle, wasserglatt, weißlich gesträhnt, verschäumend gleichsam in die purpurn dämmernde Höhle des Innern, die sich dem tastenden Finger als seidig glatt und kühl offenbarte.
Selbst Ate hatte allerdings nicht darauf blasen können. Er hatte aber, wie alle die Abdenaskinder zu ihrer Zeit, desto öfter das Ohr daran gelegt und sicher mehr herausgehört als nur das leise Echo der Brandung, darin das Seegeschöpf gelebt haben mochte.
Der Älteste der Schiffbauer auf dem Brooke zu Hamburg versuchte weder darauf zu blasen noch das Ohr daran zu legen, sondern hatte nur einen muffigen Blick für die ungewohnte Art der Zahlung, die Dirik ihm anbot. Eine Muschel oder Schnecke von solcher Größe hatte er zwar noch nie gesehen, aber was sollte er damit. Er bequemte sich nach einer Weile einzig, den Beschlag näher zu beäugen, ungnädig aufseufzend aus feuchtem Barte, die runzligen Lider auf Schärfe kneifend, die zackigen Brauen hissend, das ehrbare, zum Schlagfluß neigende Haupt wiegend — wie die milchgebenden Kröten zu Indien in Schlaf gewiegt wurden, dachte Dirik abwegigerweise dabei und wollte gerade davon erzählen, um das Muschelhorn leckerer zu machen. Aber den biederen Zimmermannsmeister reizte nicht Form noch Geheimnis irgendeiner Fremde. Er hatte nur entdeckt, daß Gold daran sei, und klaubte mit teerigem Daumennagel Ranke wie Mundstück herunter, murrend, er fürchte, es werde für den vorgeschriebenen Satz nicht reichen. Das kahle Gehäuse gab er Dirik zurück.
So gelangte Dirik mit Mühe wieder zu seinem Handwerk und anders als zu Hause, wo er wohl vom Putzlaputz und Puhahn auf gelernt und gewuchtet, aber durch seines Vaters Anordnung es schon bis zur Aufsicht über eine ganze Werft gebracht hatte. Er schrob sich ohne Knurren zurück, da der Hunger vor der Tür stand. Und er glaubte auch, es sei wegen seines Vaters, daß er blieb, und versuchte zu leben, ganz gleich vorläufig, wie gering oder wie üppig. Sebalda zweifelte nicht an seinen Gründen. Sie sprach selber noch lange Zeit nach ihrer Veränderung zu ihm nur von Imel, als sei der es auch für sie, der sie zu Hamburg band und binden würde bis zu seiner Befreiung. Aber sie redete Dirik nicht mehr zu, es mit Gewalt zu versuchen, sie redete allmählich davon, daß man Geduld haben müsse und nicht verzagen dürfe und sich nicht darüber kränken solle, daß ein Tag nach dem andern so hilflos verstriche. Nur ihre Augen, die auf seiner vierschrötigen Gestalt hin und her blickten, als wollten sie entrinnen und könnten doch über seine gröblichen Kanten nicht hinaus, blieben oft jäh an seinen hängen, die farblos wie die See bei drückendem Wetter in seinem hölzernen Gesichte standen. Dann wandte er sich schwerfällig ab, ging die knarrende Stiege hinunter, verließ den morschen Tauspeicher am Steckelhörn, wo er, seinen Verhältnissen entsprechend, den löcherigen Spitzboden gemietet hatte. Und er spürte den Glanz ihrer schwarzen Sterne hinter sich herwandern, als schöben sie mit Kraft ihm an Nacken und Schultern, so daß der schmutzige Weg, der in die Richtung der Zimmerplätze am Brook führte, leicht und gängig wurde, als sei er gepflastert. Ja, selbst der Gestank der Schweinekoben, da Schweine dort in Haufen gehalten wurden, und der Abfälle, die man zur Mast auf den Weg schüttete, wurde ihm erträglich. Er befürchtete einzig, ihr hingegen müsse es unerträglich sein.
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