Unter der grammatischen Auslegungversteht man eine Auslegung, die sich am Wortlaut des Gesetzesorientiert. Entscheidend ist die Heranziehung des natürlichen – aber auch des juristischen – Sprachgebrauchs.
Bsp.: Natürlicher Sprachgebrauch:Wenn beim Diebstahl, § 242 StGB, von einer Sache (Definition: „körperlicher Gegenstand i. S. des § 90 BGB“) die Rede ist, so wird hiervon nach dem natürlichen Sprachgebrauch ein Buch sicherlich erfasst, die Elektrizität, die „aus der Steckdose kommt“, hingegen nicht. Bei einer Batterie, die ja auch Elektrizität verkörpert, ist dies allerdings schon wieder anders.
Bsp.: Juristischer Sprachgebrauch:Wenn beim Diebstahl, § 242 StGB, von einer „fremden Sache“ die Rede ist, dann wird hier letztlich auf den juristischen Begriff des Eigentums – und somit auf die Eigentumsordnung des Zivilrechts – verwiesen.
Die natürliche Wortlautgrenze ist dabei sowohl erster Anhaltspunktals auch Grenzeder zulässigen Auslegung. Eine Auslegung, die die Wortlautgrenze des jeweiligen Tatbestandes überschreitet, wäre in jedem Fall unzulässig.
b) Historische Auslegung.
101
Definition
Unter der historischen Auslegungversteht man eine Auslegung, die sich an der Intention des Gesetzgebersorientiert.
Bei der historischen Auslegung ist also zu prüfen, was sich der Gesetzgeberbei der Abfassung der jeweiligen Vorschrift gedacht hat. Oftmals finden sich umfangreiche schriftliche Aufzeichnungen über das Gesetzgebungsverfahren, Protokolle und Beschlüsse, aus denen sich ergibt, warum der Gesetzgeber eine bestimmte Vorschrift ins Gesetz aufgenommen hat und wie er diese verstanden haben wollte. Diese können allerdings nur einen ersten Anhaltspunkt geben, denn einerseits haben sich vielfach die Verhältnisse seit Erlass des Gesetzes weiterentwickelt, andererseits ist es aber auch möglich, dass der Gesetzgeber fehlerhafte Begriffe verwendet hat, d. h. Begriffe, die letztlich einen ganz anderen Sinn ergeben. Dies kann nur dadurch korrigiert werden, dass der Gesetzgeber das Gesetz ändert, nicht aber dadurch, dass der Richter dem Gesetz entgegen seinem klaren Wortlaut einen anderen Sinn unterlegt. Insoweit ist nicht vom subjektiven, sondern vom objektivierten Willen des Gesetzgebers auszugehen.
c) Systematische Auslegung.
102
Definition
Unter der systematischen Auslegungversteht man eine Auslegung, die sich an der systematischen Stellungeiner Vorschrift im Gesetz orientiert.
Zu fragen ist hier also stets, in welchem Normzusammenhang die jeweilige Vorschrift steht. Insoweit wäre es z. B. unzulässig, eine Vorschrift, die sich im Abschnitt der Vermögensdelikte befindet und auch vom Wortlaut her auf diese zugeschnitten ist, auf Verhaltensweisen anzuwenden, die nichtvermögensrechtliche Bereiche betreffen. Insoweit kann als „Nachteil“ im Rahmen der Untreue, § 266 StGB, nur ein Vermögensnachteil verstanden werden, da sich die Vorschrift in einem Abschnitt des StGB befindet, der die Straftaten gegen das Vermögen regelt.
d) Teleologische Auslegung.
103
Definition
Unter der teleologischen Auslegungversteht man eine Auslegung, die sich am Sinn und Zweckeiner bestimmten Vorschrift orientiert.
In der teleologischen Variante liegt – insbesondere im Strafrecht – der Schwerpunkt der Auslegung. Dabei muss gefragt werden, wozu die jeweilige Strafbestimmung dient, welche Rechtsgüter sie schützen will, auf welche Weise der Schutz dieser Rechtsgüter am effektivsten erfolgen kann, was für Konsequenzen eine bestimmte Auslegung im Hinblick auf andere Tatbestände nach sich ziehen könnte und welche Auswirkungen dies im Hinblick auf die Gesamtrechtsordnung hätte. So wäre z. B. eine Auslegung unzulässig, die ein Verhalten gestattet, welches durch eine andere Vorschrift gerade verboten wird. Ebenso wäre eine Auslegung unzulässig, die gegen geltendes Verfassungsrecht oder auch gegen Vorschriften des internationalen Rechts verstößt (hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die „verfassungskonforme“ und die „europarechtskonforme“ Auslegung von vielen als eigenständige Auslegungsmethoden angesehen werden).
V.Überblick über verschiedene strafrechtliche Grundbegriffe
104Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über verschiedene strafrechtliche Grundbegriffe gegeben werden. Dieser dient lediglich der groben Orientierung. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Begriffen findet an späterer Stelle statt.
1.Verbrechen und Vergehen
105Im Hinblick auf die Schwere der Strafandrohung, d. h. die in der jeweiligen Vorschrift angedrohte Rechtsfolge, werden die Delikte in Verbrechen und Vergehen eingeteilt.
106
Definition
Unter einem Verbrechenversteht man nach § 12 Abs. 1 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.
Bsp.:So wird Totschlag, § 212 StGB, mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, der Raub, § 249 StGB, mit einer solchen nicht unter einem Jahr bestraft.
Definition
Unter einem Vergehenversteht man nach § 12 Abs. 2 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe unter einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht sind.
Bsp.:So wird der Diebstahl, § 242 StGB, oder der Betrug, § 263 StGB, mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Da hier also auch eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder auch lediglich eine Geldstrafe verhängt werden kann, liegt das „Mindestmaß“ der zu verhängenden Strafe unter einem Jahr Freiheitsstrafe.
Maßgeblich für die Einordnung als Verbrechen oder Vergehen ist die abstrakt im Gesetz angedrohte Strafe, nicht diejenige, die vom Richter im Einzelfall tatsächlich verhängt wurde (der Diebstahl bleibt also stets Vergehen, wird also auch dann nicht zum Verbrechen, wenn der Richter im Einzelfall eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder mehr verhängt). Eine entscheidende Rolle spielt die Differenzierung insbesondere für die Versuchsstrafbarkeit (vgl. § 23 Abs. 1 StGB) 41sowie im Rahmen des Versuchs der Beteiligung nach § 30 StGB 42. Zudem ist zu beachten, dass eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a StPO nur bei Vergehen möglich ist.
2.Erfolgsunwert, Handlungsunwert, Gesinnungsunwert
107Während die Begriffe „Erfolgsunwert“ und „Handlungsunwert“ das Unrechteiner Tat betreffen, spielt der „Gesinnungsunwert“ erst im Rahmen der Schuldeine Rolle.
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