Wer hat heute noch Angst vor dem Tatzelwurm? Früher war das anders: Zahlreich sind die Erzählungen, wie sich das Reptil auf Menschen stürzte und sie mit seinem giftigen Atem anspie!
Autor Ulrich Magin hat über 430 Augenzeugenberichte aus dem gesamten Alpenraum gesammelt und untersucht. Was haben diese Menschen wohl gesehen? Ein bisher unentdecktes Tier? Oder ist der Tatzelwurm etwa nur ein Mythos?
Die Klärung dieser Fragen ist eine aufregende zoologische Schnitzeljagd und zugleich eine spannende Traditionsgeschichte, die bis ins Heute reicht.
» Spannend, amüsant und lehrreich
» Zahlreiche seltene und historische Abbildungen
Vorbemerkung
Sagen und Legenden: der Tatzelwurm in Frühgeschichte, Antike und Mittelalter
Die klassische Antike
Was die Sagen sagen …
Erste Beweise?
Urgewalt und Ungetüm: vom Mittelalter bis zur Renaissance
Der Tatzelwurm nimmt Gestalt an: das 17. und 18. Jahrhundert
Vom Tatzelwurm verfolgt: erste Meldungen aus Österreich
Nur vereinzelte Sichtungen: die anderen Alpenländer
Die Eroberung des Alpenraums: die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts
Bergstutzen in Österreich
Lindwürmer in der Schweiz
Rieseneidechsen in Italien
Riesenschlangen in Frankreich
Nur wenige Sichtungen in Deutschland
Sichtungen und Skepsis: die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts
Ungetüme zu Wasser und zu Berge in Österreich
Niedliche und grausliche Exemplare in der Schweiz
Tatzelwürmer in allen Farben im südlichen Tirol
Schlangen mit „unerwarteten Köpfen“ in Frankreich
Der Ruhpoldinger Molch in Deutschland
Erste wissenschaftliche Annäherungen
Respektiert und gesucht: der Anfang des 20. Jahrhunderts
Beißwürmer und Krokodile in Österreich
Luziferartige Sichtungen in Italien
Ungeheuer in der Schweiz, in Deutschland und Frankreich
Die große Zeit des Tatzelwurms: die 1930er-Jahre
Die Debatte im „Schlern“
Das einzige Foto und eine Expedition zum Aufnahmeort
Schwerpunkt Italien: der Tatzelwurm ab 1935
Der kleine Bruder von Nessie in Südtirol
Seltsame Skelette in Venetien und im Friaul
Katzenschlangen im Piemont
Weitere Serpentegatti in der Lombardei
Ausgesetzte Exoten in Österreich
Die letzten Drachen der Schweiz
Zooflüchtlinge in Deutschland
Schlangennest Frankreich
Heutige Deutungsversuche
Annäherungen an ein Alpenphantom
Von Fußabdrücken und anderen Spuren
Von Kopfgeldern und Prämien
Vom Tatzelwurm als Ware
Von Verwechslungen
Von Scherzen und Schwindeleien
Von verschwundenen Beweisen
Vom fehlenden wissenschaftlichen Interesse
Von trügerischen Erinnerungen
Von mehrdeutigen Bezeichnungen
Unbekannte Spezies?
Gemeldete Skelettfunde
Wie viel Beine hat der Tatzelwurm? Eine Analyse der Sichtungsmeldungen
Füße, Tatzen, Pratzel, Beine
Kopf, Kamm, Mähne, Schwanz
Haut, Fell, Borsten, Schuppen
Lang, länger, am längsten
Des Tatzelwurms Liebe zum Wasser
Kein Phantombild möglich
Vom Krustentier zum Fabelwesen: mögliche Erklärungen für das Phänomen
Bekannte und unbekannte Reptilien als Tatzelwürmer
Handelt es sich möglicherweise um unterschiedliche Tierarten?
Weitere Tierarten als Tatzelwürmer
Wirkmächtiger Mythos
Die multikausale Herkunft des Tatzelwurms
Anmerkungen
Literatur
Bildnachweis
Der Autor
Impressum
Der Wurmfortsatz
Wurm bedeutet Schlange, ein Tatzelwurm ist demnach eine Schlange mit Beinen, die in den Alpen seit mindestens 500 Jahren gesehen wird – und zwar im gesamten Alpenraum, von den französischen Seealpen im Westen bis Slowenien im Osten. Heute ist er, zumindest im deutschsprachigen Raum, kaum mehr als eine folkloristische Reminiszenz, und doch war der Tatzelwurm in früheren Zeiten eine echte Gefahr für Bergbauern und Wanderer – und bedrohte sogar Seefahrer auf ihren Schiffen. Das große Reptil stürzte sich mit einem kühnen Sprung auf Menschen und spie sie mit seinem giftigen Atem an, gegen den es kein Mittel gab.
Vom Tatzelwurm – oder, je nach Region, Springwurm, Schmeckwurm, Stollenwurm (von den winzigen, stollenartigen Füßen), Haselwurm, Beißwurm, Bergstutz oder Bergstutzen, von Bisamkatze und Murbl, im Ennstal Büffel, in Kärnten Kuschka oder Kuschker, in Italien Serpentegatto bzw. Serpengatto, Aspide, Basilisco oder Aspidosordo und im Slawischen, wie die Hornnatter auch, Poskok (Springer) – wird oft erzählt.
Kryptozoologen, die sich mit unentdeckten Tieren befassen, sehen in ihm einen sogenannten Kryptiden, ein wissenschaftlich noch nicht erfasstes und bestimmtes, aber reales Tier. Mehrere dieser Forscher haben ein Phantombild des Alpendrachen erstellt: Er soll, so Gerhard Venzmer 1930, „etwa einen halben bis einen Meter lang sein, mit rundlichem Kopf, abgestutztem Schwanz und kurzen Füßen, so dick wie etwa ein Mannesarm oder Mannesschenkel, die Haut silbergrau glänzend oder scheckig, bald beschuppt, bald mit spärlichen Haaren bedeckt. [Es] wird von allen, die den ‚Springwurm‘ gesehen haben wollen, einmütig von dem Vermögen des Tieres, durchdringend zu pfeifen, berichtet.“ 1
Man schildere, meint der Jurist und Schriftsteller Albert von Drasenovich 1927, ihn immer gleich: „dicker, schlangenrunder, grünlicher bis schwarzbrauner, mit Schuppen und spärlichen Borsten besetzter Leib, zwei oder vier kurze Füße (Stollen), kurzer Stummelschwanz, breiter Kopf, großes Maul, feurige Augen, angriffslustiges oder doch wehrhaftes Benehmen.“ 2
Und Dr. Karl Meusburger, einer der eifrigsten Sammler von Begegnungen mit Tatzelwürmern, stellte 1931 im „Schlern“ fest, die „je nach der Gegend verschiedenen Namen für ein und dasselbe Tier besagen uns, daß die Kunde vom Tatzelwurm weit verbreitet ist und daß unsere […] Gewährsmänner nicht die ersten waren, die ein solches Tier zu Gesicht bekamen, oder wenigstens behaupten, es gesehen zu haben“. 3
Grundlage dieses Buches sind rund 430 Augenzeugenberichte, der letzte aus dem Jahr 2015. Bei ihrer Lektüre wird klar, dass nicht immer dasselbe Tier beschrieben ist – mal hat der Tatzelwurm den Kopf einer Schlange, mal den einer Katze, mal zwei, dann mehr Füße, mal ist die Haut glatt, dann wieder schuppig. Mal ist er scheu, mal aggressiv, mal giftig, mal wird sein Genuss empfohlen. Er ist eine Eidechse, eine Schlange, hat Flügel, acht Beine – kurz: Er zeigt sich in mancherlei Form.
Da der Tatzelwurm viele Namen trägt und viele Formen hat, gelten in diesem Buch alle nicht als einheimische Schlangen und Eidechsen identifizierbaren, in den Alpen beobachteten Reptilien als Tatzelwürmer – und natürlich all jene Tiere, die von ihren Beobachtern selbst als Tatzelwurm erkannt und bezeichnet wurden.
Das Wort Tatzelwurm ruft leicht ein Lächeln hervor, der grausige Tatzelwurm ist eher ein Scherz denn eine Realität, und doch begleitet die Suche nach dem Wurm die Geschichte der Erforschung und Erschließung der Alpen – und sie ist noch nicht vorbei. Ähnlich wie beim Yeti, dem Schneemenschen des Himalaya, dem Bigfoot im nordamerikanischen Kaskadengebirge und Nessie, dem Ungeheuer von Loch Ness, hat man es mit einem Tier zu tun, das zwar gesehen, nicht aber wissenschaftlich belegt werden kann. Liest man die Berichte der Augenzeugen, meint man, der Tatzelwurm sei ein noch unerforschtes Tier, aber der Mangel an Beweisen macht aus ihm – vorerst zumindest noch – ein Tier der Sage.
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