Christian Janecke
MASCHEN
DER KUNST
Cover
Titel Christian Janecke MASCHEN DER KUNST
Einleitung
Amoralismus
Beiläufigkeitskultivierung
Bekunstung
Belanglosigkeitsausdifferenzierung
Bildformatrente
Dimensionsblähung
Durchschnittchen
Eleganzerzwingung
Eventualitätenplattform
Figurentheatralik
Filmhuberei
Gleichverteilungshaftigkeit
Hängungsmischmasch
Häufungshumbug
Idyllbrechung
Installativität
Irreversibilismus
Kausaldiskrepanz
Kostpröbchenkunst
Kunsthochschulkunst
Kunstmessenkunst
Mobilitätslook
Modellhaftigkeit
Neopiktorialismus
Partizipationsfolklore
Privatismus
Selbstähnlichkeit
Selbstkuratierungskunst
Skizzismus
Tontrennung
Traduktionismus
Überlagerungskunst
Umrissmanier
Verdichtungsverdichtung
Wimmelbildnerei
Wortwörtlichkeit
Danksagung
Weitere Bücher
Impressum
Wer von einer ›Masche‹ spricht, meint in der Regel wenig Schmeichelhaftes: ein probates bis abgegriffenes Mittel zu aufwandsarmer Effekterzielung. Typischerweise tauchen Maschen in konkurrenzgeprägtem, großem und traditionsreichem Umfeld auf. Nur dort entsteht Bedarf, nur dort findet sich der Nährboden. Nehmen wir zur Erläuterung das Feld des Liebeswerbens: Nicht anders als das der Kunst ist es konkurrenzgeprägt, unüberschaubar und traditionsreich. Es ist dort geradezu einschlägig von ›Maschen des Anmachens‹ die Rede. Genieren würde sich allerdings nur der just einer solchen Masche Überführte. Hingegen würde derselbe Mensch sich Jahre später – angenommen, sein einstmaliges Drängen sei von Erfolg gekrönt worden – vermutlich ganz ungeniert, ja vielmehr im Gefühl des leisen Triumphes daran zurückerinnern. Der Zweck heiligte hier längst die Mittel. Unverzeihlich würden Maschen indes überall dort, wo die Mittel vom Zweck nicht überrollt und schließlich ersetzt werden. So fühlten wir uns zumindest unbehaglich, mit einem Boot in See zu stechen, dessen Erbauern dubiose ›Maschen des Bootsbaus‹ nachzuweisen wären.
Um nun auf die Kunst zu kommen, so gehört sie zweifellos eher in die letztere Kategorie. Was daran Masche ist, wird jedenfalls nicht besser mit der Zeit. Es geht ja auch nicht um ›Maschen des Künstlers‹, irgendwelche Marotten seines Auftretens, die uns, hätten wir erst einmal ein Werk von ihm erstanden, das uns uneingeschränkt gefiele, wahrscheinlich herzlich egal sein dürften. Vielmehr geht es um Maschen, die in der Kunst bleibenden Niederschlag finden, die ein Werk von Grund auf charakterisieren. Diese Charakterisierung trifft aber nichts Individuelles, sondern etwas Allgemeines, das dieses Werk mit einer unabschließbaren Gruppe weiterer Werke teilt. Womit ein heikler Punkt angesprochen wäre: Denn dadurch gerät, wer von Maschen der Kunst (= M. d. K.) handelt, unversehens in Konflikt nicht allein mit denen, die Unrühmliches von der Kunst fernhalten wollen, sondern auch mit jener Sorte Kunstliebhaber, die in vernebelter Fortsetzung genieästhetischer Annahmen auf der Uneinholbarkeit des einzelnen künstlerischen Ansatzes oder Werkes beharren: Dem individuum ineffabile wird von ihnen kurzerhand noch ein opus ineffabile beigeordnet.
Wer von einer M. d. K. spricht, den ereilt daher schnell der Standardvorwurf gegenüber dem um Generalisierungen und mithin Kategorisierbarkeit und Prinzipien Bemühten: Da sei die Kunst wieder einmal unzulässigerweise in diese oder jene »Schublade« gepackt worden. Doch wie ist es um diesen Vorwurf bestellt? Wer ihn äußert, könnte dahinter nur seine generelle Ablehnung von Kategorien oder Hinsichten verbergen, was man ihm verübeln sollte. Oder er reagiert aversiv tatsächlich nur auf von außen an Kunst herangetragene statt aus ihr abgeleitete Hinsichten. Zeitgenossen, denen also ohne weiteres einleuchtet, dass es gegenüber Pflanzen, aber auch gegenüber Stühlen oder studentischen Klausuren nicht völlig abwegig ist, von außen gewisse Hinsichten oder Kategorisierungen an die betreffenden Dinge heranzutragen, verlangen partout, dass gegenüber der Kunst das Maß stets aus dem zu Messenden zu gewinnen sei. Wer in kunstliebhaberischem Protektionismus diesem Irrtum anhängt, wird aus dem vorliegenden Buch eher Verdruss schöpfen.
Umgekehrt, nun also an die Adresse der von jüngerer Kunst immer schon Entnervten, denen in ihrer Ablehnung zeitgenössischer Spielarten künstlerischer Kreativität jede, auch eine generalisierende, Handhabe willkommen wäre, sei gesagt: Der Buchtitel Maschen der Kunst scheint nach dem Beifall von der falschen Seite zu schielen, indem er Entlarvung verspricht, indem er angriffslustig und vielleicht sogar etwas ressentimentgeladen klingt. Was dieser Titel deckt, ist aber alles andere als kunstfeindlich. Es folgt keiner populistischen Stimmungsmache gegen zeitgenössische Kunst, es nimmt keine Rache an apologetischen Theorien der Kunst. Es wird auch nicht der notorische Einspruch des Etablierten gegenüber dem Ungesicherten erhoben. Künstlerische Originalität und Innovation werden nirgends verhöhnt. Vielmehr dürften sie eher erkennbarer werden. Indem nämlich das an den Werken einer Masche Verhaftete abziehbar wird. Der Kunst schadet es nicht, auf stete Muster, auf bestimmte Kniffe, Tricks und unterschwellige Formeln hin durchforstet zu werden – ein Unterfangen, das so kunstfern nicht sein kann, zumal, wenn es von Künstlern selbst immer wieder einmal in Angriff genommen wird, ich nenne nur: Sigmar Polke, Martin Kippenberger oder heute Christian Jankowski. Mit Wertungen wird ohnehin sparsam verfahren. Der Tonfall ist gelegentlich streitlustig. Doch es überwiegen Neugier und Staunen ob der Verbreitung und Funktionsweisen der hier versammelten und analysierten Maschen.
In älterer Zeit zehrte Kunst bekanntlich weniger von der Neuerung als von Nachahmung, Vervollkommnung und Abwandlung des bereits Erreichten. Erst mit der Neuzeit und Moderne (und nur scheinbar revidiert durch die Postmoderne) wuchsen Originalität und Innovation sich zu derartigen Forderungen, ja Gottheiten aus, dass ihnen nicht zu genügen zum Sakrileg wurde. Einem Künstler zu attestieren, er folge dieser oder jener Masche, kann daher gar nicht generell, nicht überhistorisch, sondern nur modernerweise überhaupt ein Vorwurf werden. Man könnte deshalb seit der Renaissance sogar eine zunehmende gegenseitige Verdächtigung der Künstler hinsichtlich des Profitierens von gewissen Wirkmitteln als regelrechten Gradmesser aufkeimender Modernität begreifen. Die im 18. und 19. Jahrhundert von Kritikern oder Karikaturisten, aber genauso von Künstlern gegenüber ihresgleichen vorgenommene Desavouierung gewisser als unlauter eingestufter künstlerischer Erfolgsprinzipien ist Teil einer Geschichte öffentlicher, agonaler, streitbarer Anteilnahme an der Kunst. Nur befürchte ich, dass sich diese Art von Anteilnahme weitgehend erschöpft hat. Zwar gibt es noch die Kunstkritik. Falls überhaupt, so bestraft sie aber eher durch Nichtbeachtung als durch Verriss. Doch kaum mehr verspotten Künstler ihresgleichen so triftig, dass es über den Künstlerstammtisch hinausreichte. Bedeutungslos wurde der begründete wie auch der idiosynkratische Einspruch gegenüber neuesten Setzungen der Kunst, als wunderlich oder vorgestrig erschiene, wer ihn noch ernsthaft erheben wollte. Und zwar nicht, wie uns ein an Luhmann geschultes Argument Glauben machen will, weil nur mehr kunstintern über Kunst kompetent geurteilt werden könne (und nur Ausgeschlossene ihre Entrüstung kultivieren würden).
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