KD Pratz ist ein Künstler der alten Schule, der sich jeglicher Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb verweigert hat. Seine Bilder werden hoch gehandelt, er ist weltberühmt, hat sich aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Mit der Welt, verlogen wie sie ist, will er nichts zu tun haben, der eigene Nachruhm aber liegt ihm am Herzen, und so sagt er zu, den Förderverein eines Museums zu empfangen, der den geplanten Neubau ausschließlich seinen Werken widmen will. Die Mitglieder des Museums-Fördervereins sind nicht alle einer Meinung über die Bedeutung von KD Pratz, fühlen sich aber hoch geehrt, als ihnen ein exklusives Treffen mit dem Maler und ein Besuch auf seiner fast schon legendären Burg am Rhein in Aussicht gestellt wird – und tatsächlich stattfindet. Wie die Kunstfreunde bei dieser Begegnung mit ihrem Idol nach und nach die Contenance verlieren, als der Meister ihnen die Unvollkommenheit der Welt und ihre eigene um die Ohren haut, dabei subtil die eigene Größe inszeniert, den Kunstbetrieb niedermacht und gleichzeitig behauptet – davon erzählt Kristof Magnusson mit großer Meisterschaft und leuchtet die Untiefen unseres Kulturbetriebs aus.
Kristof Magnusson, geboren 1976 in Hamburg, machte eine Ausbildung zum Kirchenmusiker, arbeitete in der Obdachlosenhilfe in New York, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er schreibt Romane, Theaterstücke und übersetzt aus dem Isländischen. Er lebt in Berlin. Bei Kunstmann sind von Kristof Magnusson erschienen Das war ich nicht und Arztroman.
KRISTOF MAGNUSSON
Roman
Verlag Antje Kunstmann
Für Gunnar
ICH WILL MICH NICHT BEKLAGEN. Ich werde gut bezahlt, nicht gemobbt, auch Überstunden gibt es kaum. Dafür, dass ich in einer Branche arbeite, in der es von Platzhirschen, Zampanos und Cholerikern nur so wimmelt, habe ich es ganz gut getroffen.
Doch als ich an diesem Montagmorgen aus unserem Firmen-Passat stieg, fiel es mir schwerer als sonst, so zu denken. Ich wünschte mir, ich wäre Tierpfleger geworden oder Werbezeppelinpilot, doch ich war nun einmal hier, auf unserer Baustelle in Preungesheim bei Frankfurt, und verspürte eine deutliche Unzufriedenheit mit meiner beruflichen Situation.
Ich war mit der Überwachung der Leistungsphasen sechs bis acht bei dem Bau des Firmensitzes eines zu Geld gekommenen Start-up-Unternehmens betraut, das in nur drei Jahren von einer Hinterhofklitsche zu einem führenden Anbieter von E-Zigaretten unter dem Namen Dampferando geworden war und unter autoora Carsharing-Lösungen anbot.
Als Architekt arbeitete ich in einer Branche, in der Dinge aus Prinzip nicht klappten. Im Moment war das Problem das Dach. Es hatte vor einigen Wochen damit angefangen, dass der Gerüstbauer das Gerüst nicht aufbauen konnte, weil es zu viel regnete, und solange das Gerüst nicht stand, konnte kein Dachdecker arbeiten. Als der Gerüstbauer das Wetter für gut genug befunden hatte, um das Gerüst aufzubauen, fiel der Baufirma auf, dass sie vergessen hatten, einen Müllcontainer zu bestellen. Und ohne einen solchen durfte laut Grünflächenamt wiederum kein Dachdecker arbeiten, weil die sonst dazu neigten, Teerpappe einfach so auf den Rasen zu werfen.
Letzte Woche wurde endlich der Container geliefert und alles schien zu laufen. Es regnete nicht mehr, sodass die Dachdecker endlich alles für einen Event vorbereiten konnten, auf den die Marketingabteilung unseres Bauherrn schon lange hinarbeitete: Unser Entwurf für den Neubau dieses Firmensitzes beinhaltete zwei Pavillons, die wie kleine Penthäuser oben auf der Dachplatte stehen und einen Zugang zu einer begrünten Terrasse haben sollten. Und nun, wo mit sämtlichen ausführenden Firmen, Meistern und Polieren verbindliche Termine für die Fertigstellung und Montage der Stahlteile für die Dachpavillons festgelegt waren, hatte unser Bauherr unter dem Motto friends and family seine wichtigsten Geschäftskontakte eingeladen und eine weltweit gefragte Architekturfotografin gebucht, die social-media-wirksame Fotos davon machen sollte, wie ein Kran die vorgefertigten Stahlteile auf das Dach bringen würde und die Stahlbauer sie dort montierten. Der Termin war nächste Woche.
Doch als ich heute Morgen um halb neun in unser Büro gekommen war, mir gerade einen Kaffee gemacht und eine super Idee für einen neuen Wettbewerb bekommen hatte, an dem wir uns beteiligen wollten, rief mich der Metallbauer an, der die Stahlbauteile für die Dachkonstruktion liefern sollte, und sagte, es gebe ein Problem. Aufgrund der Verzögerungen habe er die Aufmaß-Zeichnungen von dem Dachdecker eben erst bekommen, und nun habe die Verzinkungswerkstatt keine Termine mehr frei.
Ich in unseren Firmen-Passat und zur Baustelle. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass sich solche Sachen am Telefon nie verbindlich klären ließen – wenn man den Leuten gegenüberstand, hatte man zumindest eine gewisse Chance.
Ich ging über die Baustelle zu dem Rohbau, wo der Metallbauer bereits an dem auf Böcke gelegten Türblatt stand, das wir seit einigen Wochen während unserer Baubesprechungen als Tisch benutzten, um die Pläne auszulegen. Jetzt lag das Türblatt leer da, wie ein Symbol dafür, dass alle Pläne hinfällig geworden waren.
Der Metallbauer nutzte unsere Besprechungen eher als Rauchpausen. Auch jetzt stand er mit einer Kippe da und begrüßte mich mit einem »Guten Morgen«, das für meinen Geschmack etwas schuldbewusster hätte klingen können.
»Ich kann da auch nichts für, wenn die mir das Aufmaß so spät geben«, sagte er.
»Gibt es gar keine Chance?«, fragte ich.
»Schwierig«, sagte er.
»Wann können die von der Verzinkungswerkstatt denn dann fertig sein?«, fragte ich, woraufhin er lange auf sein Telefon sah und dann antwortete:
»In vier Wochen.«
Ich wusste, dass ich ruhig bleiben musste. Sauer zu werden half nichts, wenngleich ich jetzt schon ahnte, dass ich in den nächsten Tagen viele Anrufe von Menschen bekommen würde, die ebenfalls wussten, dass es nichts brachte, sauer zu werden, mich aber trotzdem anschreien würden. Der Bauherr würde an die Decke gehen, weil er auf Facebook und Instagram bereits den Termin für seinen Event angekündigt hatte und für die eingeladenen Geschäftskontakte, eine nicht besonders flexible Slow-Food-Cateringfirma und eine schweineteure, international gebuchte Fotografin einen neuen Termin finden musste.
»Es geht auch in einer Woche«, sagte da der Metallbauer. »Aber dann müssen die eine Sonderschicht machen, das kostet mehr.«
»Wie viel mehr?«
»Das Doppelte.«
Ich unterdrückte ein Seufzen und dachte an die Bauherren, die von der ersten Besprechung an verdächtig oft die Formulierung »klein aber fein« benutzt hatten, was nach meiner Erfahrung meist bedeutete, dass unsere Leistung fein sein sollte, der Preis hingegen klein. So hatte es sich auch dieses Mal bewahrheitet. Wenn im Laufe des Bauprozesses Unvorhersehbarkeiten aufgetreten waren, mauerten die Bauherren sofort. Bereitschaft, noch etwas Geld draufzulegen, gab es nie. Man sei schließlich nicht der Berliner Flughafen, sagten sie dann gern.
Ich sah mich in dem Rohbau um. Die Wände aus Kalksandstein standen genau da, wo wir sie hingezeichnet hatten. Überall Löcher für Kabel und Rohre. Werkzeug lag herum, ein Zementmischer, Pappbecher, Thermoskannen. Ich versuchte mir bewusst zu machen, was das für ein tolles Gebäude sein würde, wenn es einmal fertig war. Noch sah es aus wie ein Schrotthaufen.
Ich dachte an meine Studienzeit. Ich hatte mich bewusst dafür entschieden, an einer Kunsthochschule Architektur zu studieren, nicht an einer technischen Universität. Wie viele Nächte hatten wir uns mit Entwürfen und Modellen um die Ohren geschlagen, wie oft hatten wir uns über Materialien, Raumkonzepte und die gesellschaftliche Verantwortung der Baukunst die Köpfe heißgeredet? Baukunst! Darum war es mir einmal gegangen. Jetzt bettelte ich um Verzinkungs-Termine.
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