Ole Engelhardt - Der Mann, der einmal einen Wal gewann

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"Was ist man, wenn man nichts mehr ist?", fragt sie.
"Weiss nicht", zuckt er mit den Achseln ."Eigentlich hat sich nichts geändert. Auch ein gewählter Mensch ist nur ein Mensch."
Ein ehemaliger Kanzler macht sich auf den Weg, um das wahre Leben, das er über Jahre regiert hat, kennen zu lernen.

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Ole Engelhardt

Der Mann, der einmal einen Wal gewann

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Inhaltsverzeichnis Titel Ole Engelhardt Der Mann der einmal einen Wal gewann - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Ole Engelhardt Der Mann, der einmal einen Wal gewann Dieses ebook wurde erstellt bei

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S 五

B 二

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D 二

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Impressum neobooks

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Ob ich mir das gut überlegt hätte? Ja, ich denke schon irgendwie. Was soll das denn überhaupt heißen, gut überlegt? Kann man sich etwas schlecht überlegen, meint das nicht einfach das Ausbleiben jeglicher Überlegungen? Und ist damit Überlegen nicht per se immer wertfrei? Überlegt euch eure Fragen erstmal gut! Was erhoffen Sie sich davon? Ich … Wollen Sie das wirklich alles weggeben? Mh … Die Ungebundenheit? Ja … Die Anonymität? Die Freiheit? Ich weiß nicht, hab ich mir das überlegt? 81:19! Eigentlich habe ich mir gar nichts überlegt und eigentlich hab ich klamm heimlich auch gehofft damit einfach so durchzukommen. Das jetzt einfach unter dem allgemeinen Glauben, dass der schon wisse, was er tue, anfangen zu können, ohne dass man nach irgendwelchen tiefenpsychologischen Beweggründen gefragt wird. Ohne dass ich hier, so kurz vor dem Ziel, da vorne ist doch schon die Tür, ich kann sie doch schon riechen, doch noch abgefangen werde. Doch noch auf die Couch zu müssen und Bericht zu erstatten.

- So Herr Patient, jetzt erzählen Sie mal!

- Was denn jetzt?

- Das wissen Sie doch genau Herr Kanzler, Herr a.D.? Warum, das brennt uns doch allen auf unseren süßen Fingerchen, warum einer wie Sie, der es doch beileibe nicht mehr nötig hätte, finanziell, personell, aktuell, noch einmal in die rüde Berufswelt eintritt. Und dann auch noch, Herr Kanzler, Herr a.D. ich möchte Sie wirklich fragen, ob es ihnen noch gut geht, in so einen tristen Mittelklassejob, wie jenen, den Sie gewählt haben. Mh?

Psychiater haben eine Gabe allen Taten einen Anschein von Perversion zu verleihen. Als sei das, was ich hier gerade mache, zutiefst abstoßend, ein Schritt in den menschlichen Abgrund, gleichzusetzen nur mit Kannibalen, Vergewaltigern oder Charles Manson. So schlimm ist es doch gar nicht Leute. So schwer ist es doch gar nicht zu kapieren. Wenn man Jahre lang da oben auf dem demokratischen Thron thront und seinen Mitbürgern und Mitbürgerinnen täglich erzählen muss, dass sie der Unterbau der deutschen Gesellschaft sind. Dass sie, der berühmte Bauchnabel der Gesellschaft, der Mittelstand sind, der quasi das Abendbrot für die Haute Couture er-malocht, dann ist es doch ganz logisch, dass man vielleicht Interesse daran hat irgendwann mal zu erfahren, was das denn eigentlich ist, diese „Mittelklasse“. Das wünscht sich doch im Grunde jeder. Das, was er macht, wirklich mal greifen zu können. Wie gerne hätte ich als dummer Matheschüler in der siebten Klasse mal die Bekanntschaft mit dem fiesen „Herrn Lineare Algebra“ gemacht. Nach Händeschütteln und nettem Smalltalk wäre dann sicherlich alles viel einfacher gewesen. Und genau deshalb mach ich das jetzt auch, glaube ich.

- Aber ist es nicht verrückt, Herr Kanzler, Herr a.D., die Freiheit, die Sie haben, und damit haben Sie doch nun zweifelsohne das Maximalziel, das es in diesem Leben zu erreichen gilt, erreicht, einfach so hinzuschmeißen ? Und das alles für so einen Nine to Five , unterfordert dies nicht Ihren Intellekt ?

- Zugegeben, es war nicht einfach alles aufzugeben, die schöne gestellte Wohnung, das Büro, den Fahrer. Vor allem den Fahrer. Ich werde Igor vermissen. Jemanden zu feuern ist nie wirklich schön, wahrscheinlich nennen wir es deshalb auch feuern und nicht plantschen oder so. Aber dennoch, bei Igor war es dann irgendwie doch noch ein wenig mehr als man das vielleicht so generell erwarten würde. Obwohl man das bei ihm noch gesetzeskonform als „Außer Dienst stellen“ nennen könnte. Doch manchmal sind Gesetze noch wesentlich schlimmer als Feuer.

Wir haben ja immerhin fast 6 Jahre miteinander gearbeitet. Mein Part bei dieser Arbeit sah so aus, dass ich saß, um dann irgendwann aufzustehen und mich woanders hinzusetzen. Seine Aufgabe war es alles zu organisieren, um mir erstgenanntes Verhalten zu ermöglichen. Wenn man 6 Jahre miteinander verbringt und sich dabei weder mehr anschreit als nicht anschreit noch versucht sich gegenseitig umzubringen, dann schwingt in dieser Feststellung auch immer die emotionalisierte Annahme mit, dass man sich mag, dass man gar eine Freundschaft pflegt. Ich weiß nicht, Igor war eben mein autofahrender Kalender und viel mehr war da eigentlich auch nicht. Ich kenne ihn eigentlich auch gar nicht wirklich. Kann nicht einmal sagen, ob er eher aus Sibirien oder eher aus Moskau kommt. Oder ob er überhaupt aus Russland und nicht viel mehr aus einem dieser Länder kommt, die allgemein noch unter „Russland“ laufen, in Wirklichkeit aber eher „XYZ-stan“ heißen. Er hat es mir nie erzählt. Ich habe nie gefragt. Genau genommen gibt es gemessen an der geringen Menge, die ich von Igor weiß, überproportional viel, was ich nicht an ihm mag. Als da wäre sein Fahrstil, seine morgendliche Fahne, was Ersteres in der Regel noch verstärkt, sein Beharren auf Fahren nach seinem nicht sehr berlinkundigen russischen Navi, was uns jeden Morgen einen 20-minutigen Umweg über das Banlieue Berlins bescherte, seine nie alt werdende Ausrede dafür ( „Tschuldigung Chef, ich bin nicht von hier, muss Navi folgen“ ) und dass er mich jeden Morgen mit „guten Morgen mein Führer“ begrüßte, nachdem er einmal ein Prosawerk über das dritte Reich gelesen hatte, bei dem das Buchcover von irgendwelchen mir nicht sonderlich gut gesinnten Protestwählern mit meinem Konterfrei getauscht wurde. Aber all das war nicht wirklich schlimm. Das sind alles eher so Sachen, die man nur schlimm findet, wenn es draußen gerade regnet und nichts im Fernsehen läuft. Alles ertragbar.

Wir haben noch einen Schnaps getrunken zusammen und dann fuhr er weg. Beziehungsweise nicht bevor er noch 3 weitere Schnäpse getrunken hatte. Ich werde seine Fahne vermissen.

Doch ich konnte ihm diese Monotonisierung meines Alltags, der vorher niemals unter „Alltag“ firmieren durfte, sondern eher unter „Immer-Anders-Tag“ lief, nicht antun. Sahen meine Tage vorher noch exemplarisch so aus:

(P) 4:30 ( dt. Zeit ), Aufstehen, Berlin

(P) 5:00 ( dt. Zeit ), Briefing, Kanzleramt

(P) 5:20 ( dt. Zeit ), Flugzeugstart, Flughafen

(P) 14:20 ( lokale Zeit ), Verhandlung über neues Rüstungsabkommen, Regierungssitz Riad

(P) 16:00 ( lokale Zeit ), Pressekonferenz, Hotel Riad

(P) 17:00 ( lokale Zeit ), Flugzeugstart, Flughafen Riad

(P) 18:30 ( lokale Zeit ), Vorbereitung Konferenz, Doha

(P) 21:30 ( lokale Zeit ), gemeinsames Abendessen, Hotel Doha

(W) 02:30 ( lokale Zeit ), Schlafen, Hotel

(P)4:30 ( lokale Zeit ) , Aufstehen

So ähnelten meine Tage nun dem Werk eines Fotografen, der so stolz ist auf sein geschossenes Bild, dass er es niemals durch ein anderes ergänzen möchte:

(W) 10:00 Aufstehen, Zuhause

(W) 23:59 Hinlegen, Zuhause

Meiner finanziellen Abgesichertheit geschuldet, entfiel sogar der Wechsel von (W) Wahl und (P) Pflicht, denn mit einem fünfstelligen Einkommen wird alles zur Wahl. Der größte Unsicherheitsfaktor momentan ist, ob ich vor dem Fernseher, am Küchentisch oder tatsächlich im Bett einschlafe.

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