Die erdmännchenhafte Frau fixierte mich. Mit dem Karohemd, den hellen Timberland-Schuhen und der Jeans, die ich zu dem Baustellentermin getragen hatte, musste ich aussehen wie jemand, der eine Schanklizenz für seinen Craft-Bier-Shop beantragen wollte und sich in der Tür geirrt hatte. Da erkannte Michael Neuhuber mich endlich.
»Ich vertrete Ingeborg, sie ist verhindert«, sagte ich.
Er nickte hektisch.
»Dann halten wir für das Protokoll fest, dass gemäß der Förderrichtlinie nun alle maßgeblichen Institutionen vertreten sind. Der Förderverein des Museums Wendevogel wird vertreten von Constantin Marx«, sagte er, woraufhin der neben der erdmännchenhaften Frau sitzende Mann eifrig mit der Tastatur seines Laptops klapperte.
Die Frau hingegen hatte in dem Moment, wo das Wort Förderverein gefallen war, jegliches Interesse an mir verloren. Sie nickte mir kaum mehr zu, als Michael sie als Dr. Sibylle Höllinger vorstellte, die von der Staatsministerin für Kultur und Medien aus Berlin nach Frankfurt geschickt worden war. Die Namen ihrer zwei Referenten wusste Michael offenbar nicht, auch Frau Dr. Höllinger stellte sie nicht vor.
Der Mann auf der anderen Seite des Tisches stand auf, schüttelte lange meine Hand und stellte sich als Nikolai Gurdulic vor, Referatsleiter in der Abteilung IV im Hessischen Finanzministerium:
»Und meine Referenten Knettenbrech und Henning.«
»Dann können wir ja jetzt richtig anfangen«, sagte Michael. »Ich habe den Damen und Herren schon unser Museum präsentiert, da hast du ja nichts verpasst, Constantin.« Ich wollte eine Entschuldigung vorbringen, Stau, sorry, doch das schien niemanden zu interessieren. Keiner nahm mehr Notiz von mir.
»Erst einmal freut es mich sehr, dass Frau Dr. Höllinger extra den weiten Weg aus Berlin nach Frankfurt auf sich genommen hat«, sagte Michael Neuhuber.
»Das muss ich natürlich auch an mein Team weitergeben, die sind ja auch mitgekommen«, sagte Dr. Höllinger und schickte ein schmales Lächeln in Richtung ihrer Referenten, die sofort versuchten, die Mimik ihrer Chefin zu lesen, um zu wissen, wie sie reagieren sollten. Sobald sie sahen, dass ihre Chefin lächelte, taten sie es auch. Frau Dr. Höllinger trug das Haar mädchenhaft nach hinten zu einem Zopf gebunden und einen gerade geschnittenen Pony, der sich nun, wo sie lächelte, kaum merklich hob.
»Das nächste Treffen machen wir in Berlin, dann können Sie sich revanchieren, Herr Dr. Neuhuber«, sagte sie dann, woraufhin Michael freundlich nickte und Herr Gurdulic sagte:
»Dann fahren wir da mal hin und sehen sie uns an – die dunkle Seite der Macht.«
Überrascht von diesem scharfen Satz sah ich in die Runde, doch weder Michael noch Sibylle Höllinger gingen darauf ein, und ihre Referenten blieben nach einem kurzen Seitenblick auf die unbewegte Miene ihrer Chefin erst recht stumm.
»Herr Marx kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe Ihnen ja eben einen Überblick darüber gegeben, was das Museum Wendevogel heute ist, wo wir stehen, nun kommen wir zu dem eigentlichen Grund unseres Treffens. Dem geplanten Neubau.«
»Sie haben ein Grundstück geerbt«, sagte Herr Gurdulic.
»Das Museum Wendevogel hat endlich die Möglichkeit, seine Ausstellungsfläche zu vergrößern und mit den stetig steigenden Besucherzahlen organisch mitzuwachsen. Allerdings sieht es das Vermächtnis der Erblasserin vor, dass das Grundstück innerhalb von fünf Jahren zu bebauen ist, sonst erlischt das Vermächtnis und das Grundstück geht an die anderen Erben. Es besteht also ein gewisser Grund zur Eile.«
»Wir in Frankfurt bauen in der Zeit ganze Flughäfen«, sagte Herr Gurdulic und lehnte sich leise knarrend in seinem Drehstuhl zurück. Auch auf diese Worte des offenbar auf Krawall gebürsteten Herrn Gurdulic gab es von der anderen Seite des Tisches keine Reaktion, nicht einmal der protokollführende Referent schrieb etwas. Wollte sich hier jemand vom Land Hessen gegenüber der großen Berliner Bundespolitik beweisen? Der kleinere Fisch musste offenbar seine Unabhängigkeit beweisen, der größere so tun, als wäre ihm das egal.
Eine der Kaffeekannen entließ mit einem knarzenden Geräusch etwas heiße Luft in den Raum. Da sich eh niemand für mich interessierte, sah ich mich um. Der Saal war gänzlich mit Materialien in gedeckten Farbtönen gestaltet: braun das Fußbodenparkett, grau lackiert die Tür- und Fensterrahmen aus Metall. Das Licht der in die Decke eingelassenen Halogenspots verlieh dem Ganzen eine fast festliche Atmosphäre – auf jeden Fall war es meilenweit von der Stimmung entfernt, die Neonröhren in Amtsstuben verbreiteten. Von der Piefigkeit einer Behörde war hier nichts zu spüren.
Auch Michael Neuhuber ignorierte die spitzen Bemerkungen: »Ein solcher Anbau ist eine einmalige Chance für das kulturelle Gepräge der Stadt Frankfurt und ihr Profil als internationaler Kulturstandort.«
»Und da gibt es ja einigen Nachholbedarf«, sagte Frau Höllinger.
»Wir haben das mal ausrechnen lassen«, sagte Michael. »Das Bauvolumen würde ungefähr 20 Millionen umfassen. Da haben wir natürlich sofort an das Leuchtturm-Projekt-Programm von Staatsministerin Grütters zur Verbesserung der kulturellen Infrastruktur gedacht.«
Herr Gurdulic blätterte in seinen Unterlagen. Seine Referenten waren mit Telefon beziehungsweise iPad beschäftigt, an ihren Mienen war nicht abzulesen, ob sie konzentriert mitdachten oder Candy Crush spielten. Auch der Gesichtsausdruck von Dr. Höllinger war schwer zu lesen, zumindest sah ich keinen Anhaltspunkt dafür, ob sie Michaels Idee gut fand oder schlecht, ich ahnte nur, dass sie es genoss, dass jemand ihr Geld wollte.
»Die Details haben Sie ja dem Antrag entnommen, den ich Ihnen geschickt habe. Ich möchte nur noch einmal besonders darauf hinweisen, dass wir vorhaben, diesen Anbau einem einzigen Künstler zu widmen, der die internationale Kunst der letzten Jahrzehnte geprägt hat wie kein anderer vor ihm und nach ihm.«
»Und jetzt«, fuhr Michael Neuhuber nach einer kleinen Pause fort, »kann ich Ihnen auch endlich mitteilen, für welchen Künstler wir uns entschieden haben. Das musste lange Zeit geheim bleiben, weil wir im Hintergrund die Vorbereitungen treffen mussten, die so etwas natürlich erfordert. Es handelt sich um KD Pratz.«
Da hellte Frau Höllingers Miene sich schlagartig auf.
»Das ist der mit dem Gewehr, oder?«, sagte Herr Gurdulic. »Der die Drohnen abschießt.«
»Ja«, sagte ich und merkte, dass es das erste Mal war, dass ich überhaupt etwas sagte.
»Ein Museum für einen einzigen, noch lebenden Künstler wäre in dieser Form in Deutschland einmalig!«, sagte Michael. »Das hat nicht einmal Beuys gehabt.«
»Der ist ja auch recht flott gestorben«, meinte Frau Höllinger, woraufhin Herr Gurdulic sagte:
»1986, im Alter von 65 Jahren.«
»Ich weiß aus sicherer Quelle, dass KD Pratz seit Jahren nichts tut als arbeiten, ohne jemandem etwas gezeigt zu haben. Es wäre also Kunst von Weltrang, die gar nicht weit von hier auf seiner Burg im Rheingau entsteht. Weltkunst aus der Region.«
»Handkäs, aber global«, sagte Herr Gurdulic.
»Die Burg muss voll sein von Werken, und nachdem es mir endlich gelungen ist, den Künstler zu erreichen, kann ich Ihnen heute sagen: Er hat Interesse.«
»Ich finde das eine sehr gute Idee. Das gibt Ihnen ein ganz besonderes Profil, ohne das Image des Museums Wendevogel als besonders sorgfältig kuratiertes Museum zu verwässern«, sagte Frau Höllinger, begleitet von hektischem Tastaturklappern ihres protokollführenden Referenten. »Sie sehen, Ihre Arbeit wird in Berlin durchaus wahrgenommen, und zwar sehr wohlwollend, sowohl von mir als auch von der Staatsministerin für Kultur und Medien.«
»Also, das Bundesland Hessen ist mit fünf Millionen dabei«, sagte Herr Gurdulic.
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