Ulrich Hildebrandt - Der Gesundheitsminister

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Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist längst zur Selbstbedienung verkommen. Jeder Akteur bedient sich nach Belieben: die Ärzte, die Physiotherapeuten, die Krankenkassen, die Krankenhäuser, die Industrie. Gigantische 340 Milliarden Euro werden in der Gesundheitswirtschaft bewegt. Der Staat versucht krampfhaft das System zu kontrollieren. Es ist Wahljahr. Fünf Freunde aus Internatszeiten wollen das Gesundheitswesen auf einen neuen Weg bringen. Einer von ihnen, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, soll der neue Gesundheitsminister werden. Die Freunde coachen ihn. In der Talkshow seiner Freundin Isabell überzeugt Jakob mit völlig neuen Konzepten. Die Online Medien applaudieren. Der potentiell neue Gesundheitsminister ist gekürt. Seine Freundin hat Jakob schon vorher verloren. An Lara.

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Ulrich Hildebrandt

Der Gesundheitsminister

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Inhaltsverzeichnis Titel Ulrich Hildebrandt Der Gesundheitsminister Dieses - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Das Treffen der Freunde

Das Bundesministerium für Gesundheit

Der Unbekannte

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)

Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV)

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG)

Mit Krankenhäusern Geld verdienen

Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Die Private Krankenversicherung (PKV)

Ambulante Notfallversorgung

Die Ostsee

Vertrauen in die Medizin und die Krankenhäuser?

Der Versuchsballon

Im Kreuzverhör

Wiedersehen

Die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ)

Das Interview und der schlechte Tag

Die Offenbarung

Der Talk mit Isabell

Impressum neobooks

Das Treffen der Freunde

„Du machst es!“

Jakob legt den Hörer auf und lehnt sich zurück. Lange, ohne nachzudenken, mit leerem Kopf und ohne sich auf dem Bürostuhl zu bewegen. Das saß, das hatten seine Freunde so entschieden und einer hat es ihm mitgeteilt. Mitgeteilt, angetragen? Befohlen, schlicht befohlen. Eine Bitte klingt anders.

Sie kennen sich seit der Internatszeit. Während der gemeinsamen Jahre an der Schlei hatten sie erfahren, was Freundschaft ist. Die stellte sich einfach so ein. Keiner hatte den anderen gesucht. Später haben sie oft darüber gelacht, wenn einer aus der Gruppe darüber sinnierte, wie es so kommen konnte. Sie wissen es bis heute nicht. War es das Alleinsein in der Abgeschiedenheit des Internates, die Entfernung von Familie und Freunden aus der Vorinternatszeit? Sie kamen zu dem Schluss, dass sich die Richtigen getroffen haben. Dabei waren sie so anders, so verschieden. Im Punkt Sympathie aber einig. Jeder war für sich ein Unikum, das empfanden sie damals so. Jeder hatte etwas Eigenes. Spezielle Interessen, Kenntnisse, die die anderen nicht hatten, oder besondere Erlebnisse, weil ihre Eltern, oder eine Hälfte davon, beruflich durch die Welt tingelten.

In einem weiteren Punkt waren sie sich sehr ähnlich. Jeder hatte bereits ziemlich klare Vorstellungen, wohin das Leben ihn führen sollte. Jakob wollte in die Politik. Näher konnte er sein Ziel damals nicht beschreiben. Für die Freunde war das Ziel unübersehbar. Erst war er Klassensprecher, schließlich Schulsprecher. Das ganze Internat hatte das unausgesprochene Gefühl, dass für diese Position nur einer in Frage kam. Jakobs bester Freund, sah das auch so. Weil er ähnliche Ambitionen hatte. Nur den Weg stellte er sich anders vor. Erst wollte er ein Wirtschaftsstudium absolvieren, dann sollte es in die Politik gehen. Jakob wollte beides in einem Zug angehen.

Mit den Mädchen des Internates hatten sie es nicht besonders dicke. Jakob pflegte eine lockere Beziehung zu Isabell. Die zwei trafen sich hin und wieder außerhalb des Freundeskreises. Aus politischen Gründen, wie Jakob zu erklären versuchte. Seine Freunde sahen das anders. Nur für politische Ambitionen war Isabell viel zu hübsch. Das glaubte ihm keiner. Isabell wollte Journalistin werden. Das sollte Jakobs Nähe zu Isabell erklären.

Tatsächlich wurde Isabell Journalistin. Nicht nur das. Sie bekam auch eine eigene Talkshow im Fernsehen. Eine für politische Themen. Und tatsächlich wurde Isabell die Freundin von Jakob. Nicht ausschließlich aus politischen Gründen.

Das Ende der Internatszeit hatten die Freunde ausgiebig in Südfrankreich gefeiert. In dem Feriendomizil, das die Eltern eines Freundes zur Verfügung gestellt hatten. Auch Isabell war dabei und noch zwei andere Mädchen aus dem Internat. Politik stand nicht im Vordergrund.

Jakob trat in eine konservative Partei ein und stürzte sich in die politische Tagesarbeit. So, wie es Hunderte vor ihm taten und wie es Hunderte nach ihm tun werden. Mit Basisarbeit, mit Anwesenheit, mit Überzeugung. Aber auch mit Frustration am Info Stand. Mit dem Verteilen von Fähnchen und Prospekten. Mit Präsenz in den sozialen Medien. Mit Einmischen, mit Mitreden und mit Einstecken. Mit Anerkennung, mit Missgunst, mit Intrige und Kumpanei. Die ganze Palette.

Er hielt durch und wurde schließlich in seinem Wahlkreis für einen Sitz im Bundestag nominiert. Den er auch errang und den er antrat. So ganz nebenbei absolvierte er sein Wirtschaftsstudium und lernte Politik und Wirtschaft auf einen Nenner zu bringen. Das machte ihn bei seinen Parteifreunden bekannt und begehrt. Ob es immer Freunde waren, das sei dahingestellt. Jakob hatte längst erkannt, dass die Luft nach oben dünner wurde. Für den nötigen Auftrieb schmiedete er Allianzen, die ihn weitertrugen. Bis er schließlich den Posten eines Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium ergattern konnte.

„Du machst es!“, lautet die Aufforderung seiner Freunde aus den Internatstagen. Es ist die Zeit der politischen Entscheidungen. Seine Partei stand schon einmal besser da. Es sieht so aus, als könnte sie die stärkste Fraktion werden. Wenn auch mit erheblichen Abstrichen, gemessen am letzten Abschneiden. Die Demoskopen liefern fortwährend neue Wasserstände. Intern werden bereits, wie eigentlich immer, verschiedene Koalitionsszenarien durchgespielt. Die Koalition mit dem bisherigen Partner ist ausgelutscht. Es muss neuer Wind her. Das kann nur in einer Dreiergemeinschaft gelingen. Die aufzustellen ist wieder so ein Ding. Die Identitäten der drei liegen weit auseinander. Aber der Versuch, es zu dritt zu wagen, ist für die drei mehr als ein Abenteuer. Sollte es gelingen, wären die drei in der Regierung. Allein schon der Gedanke, nicht auf der Oppositionsbank sitzen zu müssen, macht flügge. Lässt so manches Prinzip davonfliegen. Was vorher galt, bekommt ein neues Profil. Mit Rundungen, wo keine waren und mit Kanten, wo früher alles glatt war.

Bevor die Entscheidung der Wähler fällt, ist der eine und der andere Ministerposten virtuell schon besetzt. Jakobs Partei spielt das Spiel mit. Als Staatssekretär ist er nicht involviert, aber gut informiert. Die gedanklichen Winkelzüge gehen in alle Richtungen und Jakob wundert sich darüber, welche Namen genannt werden. Und mit wem, welcher Posten besetzt werden soll.

Dass seine Freunde ihn ins Spiel bringen, empfindet er als einen Scherz. Ehrgeiz allein erklimmt keine Berge. Und der Anstieg muss gut vorbereitet sein. Die Ausrüstung für den Anstieg fehlt ihm vollkommen. Es sollte hoch hinauf gehen.

In Sherpa Manier haben die Freunde entschieden, Jakob auf den Posten des Gesundheitsministers zu hieven. Harry bekommt den Auftrag mit Jakob zu telefonieren.

„Von Gesundheit verstehe ich nichts, rein gar nichts“, entgegnet Jakob. „Ihr seid verrückt, einfach nur verrückt. Das könnt ihr mit mir nicht machen.“

„Das siehst du völlig falsch. Du verstehst die Wirtschaft, das zählt. Die Gesundheit ist nur Beiwerk. Wenn wir von über 300 Milliarden Euro in der Gesundheitswirtschaft reden, dann reden wir von Geld und nicht von Fieber.“ Das sagt einer, der es wissen könnte. Harry, eigentlich Harald, ist CEO einer gesetzlichen Krankenversicherung.

„Für mich ist Gesundheit nicht Wirtschaft“, entgegnet Jakob. „Gesundheit hat was mit Medizin zu tun. Und die Medizin ist Sache der Ärzte. Die Wirtschaft bietet eine Plattform. Ohne die geht es nicht, zugegeben. Auf der wirtschaftlichen Plattform bewegt sich die Medizin. Aber sie dominiert. Sie steht über der Wirtschaft.“

„Das war einmal“, entgegnet Harry.

„Wir brauchen nicht weiter zu reden.“ Jakob hat nicht die geringste Lust, das Thema zu vertiefen.

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