Dann prasselte alles auf ihn ein.
Er sah hinab auf seine nackte Brust, als ihn die Scham überkam. Fuck. Genau dieser Mist hatte dafür gesorgt, dass er die Armee verlassen hatte. Er hatte keine Kontrolle über seine Emotionen und das Adrenalin rauschte durch seine Adern, als wäre er wieder genau dort, zurück in Afghanistan. Es gab keine Entschuldigung dafür, vor allem nicht bei dem unschuldigen Joshua. Darius war keine hirnlose Bestie.
Aber es gab nichts, was er mehr hasste, als dass jemand seine Narben sah. Die ständige Erinnerung daran, wie er versagt und was er verloren hatte. Warum durfte er noch hier sein, wenn andere es nicht waren?
Wenn Richard nicht mehr da war?
Darius kniff die Augen zusammen und zwang sich, ein paarmal tief einzuatmen, ehe er sich anzog. Er wollte das zerbrochene Glas nicht wegräumen, bevor er Schuhe anhatte. Schuldgefühle überkamen ihn, während er sich anzog. Was zur Hölle musste Joshua von ihm denken, nachdem er ihn so angeschrien hatte? Joshua hatte nicht wirklich etwas Schlimmes getan. Trotzdem hatte Darius den Verstand verloren.
Kaum, dass er Schuhe anhatte, verspürte er einen weiteren Stich, als er den Bilderrahmen aufhob. Es war eines seiner Lieblingsfotos seiner verstorbenen Mutter. Sie war gestorben, als er ein Teenager gewesen war, also vor fast zwanzig Jahren. Das Foto war ein Abzug. Es gab keine weitere Datei im Internet. Er hatte es einscannen wollen, war aber nie dazu gekommen. Zumindest schien es durch seinen unentschuldbaren Ausbruch nicht zerstört worden zu sein.
Er berührte das Bild ihres lächelnden Gesichts. Ihre hellen Haare waren zu einem Zopf geflochten, wie sie sie immer getragen hatte. Sie war damals so jung und voller Leben gewesen, bevor sich der Krebs ausgebreitet hatte. Bevor sich Darius' Leben für immer verändert hatte.
Er räusperte sich und stellte den Rahmen ohne Glas wieder auf, ehe er schnell das weitere Chaos beseitigte, das er angerichtet hatte. Er würde sich schämen, falls Bartholomew sah, was er getan hatte, aber er würde sich noch mehr schämen, wenn jemand he-rausfand, wie er seinen zugewiesenen Ehemann behandelt hatte.
Er musste die Sache mit Joshua bereinigen. Sofort.
Ja, Darius hatte ihm deutlich gemacht, dass er nicht ungebeten in seine Räumlichkeiten spazieren sollte. Aber Joshua hatte auch recht. Das war jetzt auch sein Zuhause und Darius musste aufhören, sich wie ein Hund auf dem Schrottplatz zu benehmen, der sein Territorium verteidigte. Ihre letzte Begegnung und Joshuas Fragen darüber, ob sie Sex haben würden, hatten ihn so durchei-nandergebracht, dass er nicht wirklich in Erwägung gezogen hatte, dass es zwischen ihnen noch schlimmer werden konnte. Aber offensichtlich war genau das passiert.
Erst nachträglich legte er sich eine Hand auf den Mund und erkannte, dass ein Teil seines Ausbruchs mit diesem Gespräch zu tun hatte. Scheiße. Darius war so damit beschäftigt gewesen, all seine kurzzeitigen, lüsternen Gedanken für sich zu behalten und vor der Vorstellung zurückzuschrecken, dass Joshua sich verpflichtet fühlte, mit ihm zu schlafen, dass er zweifellos noch schlechter darauf reagiert hatte, dass Joshua seinen vernarbten und verzerrten Körper gesehen hatte.
»Fuck«, knurrte Darius in dem leeren Raum, und schämte sich ganz schön. In seinem Versuch, diese vollkommen unpassende Anziehung zu unterdrücken, hatte er die Situation verschlimmert.
Seine Kehle wurde eng und er wünschte sich, ein Shirt angezogen zu haben, wünschte sich, länger im Bad gebraucht zu haben, wünschte sich, so ziemlich irgendwo anders zu sein, aber nicht, von Joshua halb nackt erwischt zu werden.
Er hatte genug Zeit damit verschwendet, herumzustehen und das Glas aufzusammeln. Er musste Joshua suchen.
Verlegen machte sich Darius die Mühe, zur Abwechslung seine Haare zu kämmen. Wenn er sich Joshua wieder stellen musste, konnte er zumindest versuchen, nicht auszusehen, als wäre er rückwärts durch eine Hecke gezogen worden. Nachdem er ein letztes Mal nach irgendwelchen übrig gebliebenen Glassplittern gesehen hatte, ging er hinaus ins Schloss.
Joshua schien ihm eine Spur aus Brotkrumen hinterlassen zu haben. Darius konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so viel Licht gesehen hatte. Er entschied, es nicht auszuschalten, als er an den Schaltern vorbeiging. Es gefiel ihm nicht, an Joshua in der Dunkelheit zu denken. Vielleicht war es Zeit, das Schloss öfter zu beleuchten?
Er erwartete, zu Joshuas Schlafzimmer und dem Rest seiner Räumlichkeiten zu kommen. Darius hatte Joshua nicht besucht, während er dort gewesen war, aber er wusste, in welchem Bereich sie sich befanden. Allerdings wurde ihm der Weg versperrt, bevor er weitergehen konnte.
Mrs. Weatherby richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter sechzig auf und stemmte die Hände in ihre üppigen Hüften. Normalerweise waren ihre hellbraunen Wangen rosig, aber in diesem Moment waren sie tiefrot und fleckig und sie hatte das Gesicht zu einer finsteren Miene verzogen.
»Genug!«
Darius zuckte zusammen. »Entschuldigen Sie, Mrs. Weatherby«, sagte er aufrichtig, obwohl er nicht sicher war, was genau sie meinte.
Allerdings konnte er es sich denken.
Sie war jenseits der Fünfzig, aber ihre Finger krümmten sich schon ein wenig durch ihre Arthritis. Es wurde besonders offensichtlich, als sie mit der Hand in die Richtung von Joshuas Zimmern deutete. »Dieser arme Junge ist allein und verängstigt! Und was haben Sie getan? Sich verhalten, als wäre es seine Schuld. Haben ihn ganz allein gelassen. Er ist hier das Opfer! Ich dachte, dass Sie darum zur Armee gegangen wären, um auf die Menschen aufzupassen!«
Darius seufzte bedrückt. »Sie haben recht.«
»Ich weiß, dass ich recht habe«, schnaubte Mrs. Weatherby. Sie verschränkte die Arme und sah ihn mit hochgezogener Braue an. »Also ziehen Sie den Kopf aus dem Arsch und verhalten Sie sich wie ein zivilisierter Mensch. Ich weiß, dass Sie es können, also tun Sie es.«
Darius nickte, eifrig darauf bedacht, ihr zu beweisen, dass er genau das vorgehabt hatte. »Ich wollte ihn gerade suchen. Ich… ich weiß, dass ich mich schlecht verhalten habe.«
Mrs. Weatherby schnaubte und sah ihn betont fest an. »Sie meinen diese charmante Darstellung gerade in Ihrem Zimmer? Ihre Mutter wäre wirklich enttäuscht, Mr. Legrand.«
Es überraschte ihn überhaupt nicht, dass jemand ihren Streit mit angehört hatte. Diese Wände hatten Ohren. Aber Mrs. Weatherby war gewitzt. Sie würde seine Mutter niemals erwähnen, wenn es nicht sein musste. Sie wusste, dass allein die Vorstellung, sie würde sein Verhalten missbilligen, ihn zermalmen würde, und so war es auch. Es war immer ihr letzter Ausweg, Darius zu sagen, was er bereits wusste.
Dass er es gründlich vermasselt hatte.
Aber sie hatte vollkommen recht. Wenn das nötig war, um Darius dazu zu bringen, sich zu benehmen, verdiente er diesen Schlag unter die Gürtellinie. Seine Mum wäre gerade entsetzt. Joshua verdiente es nicht, so schändlich behandelt zu werden.
Es war an der Zeit, dass Darius die Dinge richtigstellte. Nicht nur nach dem Streit, sondern er musste auch aufhören, so zu tun, als wäre Joshua ein Eindringling in seinem Leben.
Ob es ihm gefiel oder nicht, Joshua war nun ein Teil seines Lebens. Es lag an Darius, wie sich das entwickelte. Aber er war es nicht gewohnt, Menschen in seiner Nähe zu haben und ganz ehrlich, es machte ihm Angst, was mit jemandem in seinem Leben passieren würde, sollte sein Vater wieder zu dem Schluss kommen, grausam zu sein. Aber seine und Joshuas Ehe war das direkte Ergebnis von Victors letztem Spielchen und es war Darius, der in den vergangenen Wochen grausam gewesen war.
Er musste aufhören, sich davor zu fürchten, was Joshua passieren könnte, sollten sie Freunde werden und sich eher darüber Gedanken machen, was dank seiner Vernachlässigung bereits passierte.
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