»Ich hatte seit sechs Monaten kein Casting mehr«, sagte ich. »Sie müssen mich aus dem Vertrag entlassen.«
Ich war fest entschlossen, nicht wieder zu gehen, bevor ich nicht hatte, was ich wollte. Und schließlich willigte sie tatsächlich ein. Ich hätte das schon viel früher tun sollen.
Ich hoffe, Sie lernen schneller als ich und ersparen sich solch unnötige Leidenszeiten. Wenn Ihre Arbeitssituation extrem unbefriedigend ist und sich auch keine Veränderung abzeichnet, müssen Sie zusehen, dass Sie da so schnell wie möglich rauskommen. Auch dann, wenn Sie erst einmal vor dem Nichts stehen oder glauben, vor dem Nichts zu stehen. Oder wenn dieser Schritt eine finanzielle Einschränkung für Sie bedeutet.
Danach unterschrieb ich bei einer Boutique-Agentur, für die ich schon früher gemodelt hatte und die sich freute, wieder mit mir zusammenzuarbeiten. Sie liebten meinen neuen Look und schickten mich zu einem Editorial Shooting nach Toronto. Das war wirklich bemerkenswert, denn je älter man wird, umso seltener wird man für Zeitschriften gebucht. Editorial Shootings waren cool. Aber ich war nicht cool. Ich hatte keine Ahnung, wie man für Editorials posierte!
Bei meinem bis dahin einzigen Editorial war ich bereits fünfundvierzig und nur Staffage für das Supermodel, das sie ablichteten.
Bei Katalogaufnahmen ist man entspannt und glücklich und achtet darauf, dass man keine Falten in die Klamotten macht oder sie in einem komischen Winkel verzieht. Bei einem Editorial hat man plötzlich die Erlaubnis, hochzuspringen, zu tanzen, sich zu strecken und verrückte Dinge zu tun. Ich musste das noch lernen, also sah ich mir davor verschiedene Zeitschriften an.
Ich flog nach Toronto und war dort allein für das Shooting. »Wo sind all die anderen Models?«, wollte ich wissen.
»Sie sind die Einzige«, sagten sie.
Und dann tauchte ich in die kreative Welt der Designer, Haute Couture und schönen Kleider ein. Sie fotografierten eine Bildstrecke in Weiß, acht Seiten in weißen Outfits. Es war wunderschön. Jedes Mal ein anderer Hairstyle, sogar mit den kurzen Haaren.
Als ich es am Ende sah, fiel mir nichts anderes ein als »Wow«.
Danach wurde ich unablässig gebucht. Nachdem ich nach New York gezogen war, besuchten Kimbal und ich den Times Square. Wir blickten zu den riesigen Werbeflächen hinauf, und ich sagte zu ihm: »Eines Tages werde ich da oben zu sehen sein.« Damals kicherten wir. Aber genau dorthin schaffte ich es nun: auf eine fünf Meter hohe Werbetafel am Times Square.
Gemeinsam mit dreihundert anderen Frauen war ich bei einem Casting für die Fluggesellschaft Virgin America, und sie hatten mich tatsächlich gebucht. Es waren auch noch ein Mädchen und ein junger Mann bei diesem Fotoshooting, sehr junge Models, die zu berühmt waren, um überhaupt mit mir zu sprechen. Trotzdem war am Ende ich das Gesicht der Werbekampagne. Mit siebenundsechzig sah man mich plötzlich überall: am Times Square, auf U-Bahnen und an jedem amerikanischen Flughafen. Man konnte aus keinem Flugzeug oder Zug steigen, ohne mein Gesicht zu sehen.
Wer hätte je geglaubt, dass ich erst mit weißen Haaren so richtig durchstarte? Mit fünfzehn hatte man mir gesagt, mit achtzehn wäre es vorbei mit dem Modeln, und heute mit einundsiebzig bin ich berühmter denn je. Aus all diesen Erfahrungen habe ich vor allem eines gelernt: Es gibt immer einen Weg, und wenn etwas nicht funktioniert, kann man jederzeit neue Pläne machen. Es hat seine Zeit gebraucht, bis ich das begriffen habe, und ich lerne immer noch dazu!
Aber im Lauf der Zeit ist noch etwas anderes passiert, das für viele überraschende Wendungen in meiner Karriere sorgte: das Aufkommen der sozialen Medien! Dank meiner Posts liebten die Leute meine weißen Haare plötzlich, und ich bekam meine Modeljobs nicht trotz, sondern wegen meiner Haarfarbe. Wenn ich heute einen Raum betrete und feststelle, dass ich die Einzige mit weißen Haaren bin, freut es mich. Und wenn noch eine Frau mit weißen Haaren da ist, lächle ich ihr zu und sage: »Tolle Haarfarbe.«
Eines ist jedenfalls sicher: Meine Modelkarriere geht steil bergauf. Wenn ich montagmorgens aufstehe, freue ich mich jede Woche ein wenig mehr auf die aufregenden Jobs, die die nächsten Tage bringen könnten. Und wenn einmal nichts reinkommt, freue ich mich, dass ich Zeit habe, in den sozialen Medien und auf meiner Website Dinge zu posten, die neue Jobangebote bringen. Ich finde es großartig, einundsiebzig zu sein. Gedanken über das Alter mache ich mir keine. Dafür bin ich viel zu sehr damit beschäftigt, Spaß zu haben.
Interessant zu sein ist besser als schön
Mit Mitte fünfzig war ich einmal bei einem Casting für Pflegeproduktwerbung, und die Castingchefin meinte zu mir: »Oh, Sie sind ja wunderschön.«
Ich entgegnete: »Ist das nicht Voraussetzung?«
Immerhin stellte ich mich für eine Beauty-Kampagne vor. Ich dachte, meine Bemerkung wäre witzig. Als Südafrikanerin war ich es gewohnt, selbstironisch zu sein.
Aber die Leute bei dem Casting fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Sie fanden mich überhaupt nicht witzig, und man zog mich für den Job erst gar nicht in Betracht, weil ich zu vorlaut war.
Ich hatte meine Lektion gelernt. Von da an sagte ich nur noch höflich »Danke«.
Ich habe nie verstanden, warum sich in Amerika immer alles darum dreht, schön zu sein. In Südafrika werden Frauen für ihre Intelligenz geschätzt oder für ihren Sinn für Humor. Interessant zu sein zählt mehr, als gut auszusehen. Die Leute haben dort oft zu mir gesagt: »Sie sind witzig.« Und das dachte ich selbst auch. Denke ich bis heute. Man interessierte sich mehr für meine Arbeit als Ernährungsexpertin als für mein Äußeres, weil ich immer auf dem neuesten Forschungsstand war und Vorträge hielt. Ich leistete Öffentlichkeitsarbeit. Ich hatte eine Praxis. Kurz, die Leute interessierten sich in erster Linie für meinen Beruf und meine Arbeitsmoral.
Als ich frisch nach Amerika kam, rief ich als Erstes meine Zwillingsschwester Kaye an, um ihr von dem Tick der Amerikaner zu erzählen, ständig über Schönheit zu reden.
Meine Schwester Kaye ist einer meiner liebsten Menschen. Wir sprechen jeden Abend miteinander, und sie ist immer ehrlich zu mir. Wenn ich einen Rat brauche, wende ich mich zuerst an sie, egal ob es um Investitionen geht oder darum, ob ich mir die Zähne verblenden lassen soll (Kaye meinte, nein). Sie war immer für mich da und hat mich unterstützt.
Das Beste an meiner Zwillingsschwester ist, dass sie immer geradeheraus ist und sich nichts gefallen lässt. Sie sagt, was sie denkt.
Das heißt aber nicht, dass sie ein ernster Mensch ist. Kaye ist immer am Lachen. Von uns beiden ist sie die Witzigere. In der Regel will sie jedoch nicht andere, sondern nur sich selbst amüsieren. Die Leute lieben sie abgöttisch und umringen sie, sobald sie den Mund aufmacht. Ich bin sicher, Sie würden sie auch lieben, wenn Sie ihr begegneten. Sobald Kaye auf der Bildfläche erscheint, kann ich mich genauso gut in eine Ecke setzen und stricken. Aber sie führt das Leben einer Einsiedlerin, daher werden Sie sie wohl leider nie persönlich kennenlernen.
Kaye sagte: »Die Leute fanden dich schon immer schön, auch wenn sie es nicht gesagt haben. Sobald du einen Raum betreten hast, hat dich jeder angesehen.«
Ich hatte das nie bemerkt, weil ich selbst nie jemanden ansah, sondern nur darauf achtete, wohin ich ging. Ich erinnere mich an Männerbekanntschaften, die mich, bevor wir ein Restaurant besuchten, fragten: »Maye, würde es dir etwas ausmachen, vor mir da reinzugehen?«
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