Mir war das egal. Ich machte diesen Job nicht, weil ich bewundert werden wollte. Es war Arbeit, und ich brauchte Arbeit. Ich modelte weiter, weil es mir Spaß machte. Es war gut für mein Aussehen, und ich kam immer wieder aus dem Büro heraus und lernte andere Städte und neue Leute kennen. In dieser Zeit musste man mich drei Wochen im Voraus buchen, damit ich das Ganze mit meiner Ernährungspraxis koordinieren konnte. Ich modelte nie mehr als vier Tage im Monat, verdiente damit aber genauso viel wie mit der Praxis, die mir mein Grundeinkommen sicherte. Sie finanzierte mir meine Lebenshaltungskosten, Miete, Busfahrkarten, Schuluniformen, Benzin und Autoreparaturen, und das wollte ich auf keinen Fall gefährden. Mit dem Modeln verdiente ich mir das Geld für billige Flüge, um meine Familie zu besuchen, für Kleidung und für Dinge, die wir für die Wohnung brauchten. Manchmal leistete ich mir auch ein neues Kleid. Das Modeln war für die kleinen Extras.
Meinen Klienten erzählte ich gar nicht, dass ich nebenbei als Model arbeitete. Und weil es damals noch keine sozialen Medien gab, wusste es auch niemand.
Manchmal fragte jemand: »Sind Sie das in dieser Zeitschrift?«
Und ich sagte: »Ja, das bin ich. Die Morgenmantelkönigin von Sears.«
Das war mein Job. Wenn Sears einen Morgenmantel verkaufen wollte, riefen sie mich an, damit er auf dem Foto gut aussah.
Als ich dann über fünfzig war und in New York lebte, wurde ich für ein paar wirklich tolle Kampagnen gebucht, woraufhin ich bei einer größeren Agentur unterschrieb. Ich dachte, dort hätte ich mehr Publicity, aber das Gegenteil war der Fall. Anstatt ab und an zu modeln, modelte ich kaum noch.
Ich schickte eine E-Mail, in der ich erklärte, dass ich nicht unterschrieben hätte, weil ich keine Aufträge mehr wollte. Aber sie antworteten, dass sie keine Jobs für mich hätten.
Ich rief an. »Die Kunden wollen Sie einfach nicht buchen«, sagten sie. »Sie ziehen andere, bekanntere Models vor.«
So bekannt sind die anderen nun auch wieder nicht, dachte ich bei mir.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum wollten die Kunden mich plötzlich nicht mehr buchen? Ich modelte seit Jahrzehnten. Vielleicht war es Zeit aufzuhören. Die Agentur meinte, mein Look käme bei niemandem mehr an.
Dann traf ich auf der Straße und in Restaurants zufällig Leute, die in der Branche arbeiteten und mich ansprachen: »Wir haben versucht, Sie zu buchen, aber Sie sind nie frei.«
Ich marschierte zu meiner Agentur. »Man hat versucht, mich zu buchen«, beschwerte ich mich.
»Das kann nicht sein«, entgegnete man mir. »Die müssen Sie mit jemand anderem verwechseln.«
Damals entschied ich mich, meine Haare nicht mehr zu färben. Ich dachte mir: »Wenn mit dem Modeln ohnehin Schluss ist, kann ich auch ausprobieren, wie ich mit meiner eigenen Haarfarbe aussehe.«
Als die Farbe anfing herauszuwachsen, sah ich schrecklich aus. Oben auf dem Kopf war mein Haar weiß, über den Schultern blond. Aber solange du als Ernährungsberaterin gut bist, spielt es keine Rolle, welche Farbe deine Haare haben oder wie sie aussehen. Ich folgte dem Rat meiner besten Freundin Julia Perry und ließ mir die Haare sehr kurz schneiden. Der Kurzhaarschnitt verlieh mir einen ausgefallenen, aufregenden Look, wie ich ihn an mir noch nicht kannte.
Nachdem ich ergraut war, verschaffte mir die Agentur sechs Monate lang keinen einzigen Auftrag, eine ziemlich schmerzhafte Zeit. Es sah ganz so aus, als ob es für mich tatsächlich keine Jobs mehr gab. Vielleicht war das Ende meiner Modelkarriere gekommen.
Dann geschah etwas sehr Interessantes. Eine Castingchefin rief meine Agentur an, um mich für das Cover des Time Magazine zu buchen, und dieses Mal konnten sie nicht behaupten, dass ich nicht frei wäre. Das Büro der Castingchefin lag nur einen Block von meiner Wohnung entfernt, und sie sah mich jeden Morgen mit dem Hund spazieren gehen.
Sie mussten mir den Job vermitteln, und ich landete auf dem Time Magazine . Auf der Titelseite des Gesundheitsteils.
Damit war klar, dass es da draußen durchaus Arbeit für mich gab. Die fehlenden Aufträge hatten nichts mit meinem Aussehen zu tun, der Fehler lag bei meiner Agentur.
Ich brauchte einen Plan.
Jeder hat seine eigenen Karrierevorstellungen, und ich wollte jede Arbeitsmöglichkeit, die sich mir bot, nutzen. Meine Agenten hätten meine Karriere als Model voranbringen sollen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund taten sie es nicht. Als ich das einmal begriffen hatte, musste ich etwas unternehmen. Ich konnte nicht einfach nur dasitzen und zusehen, wie man mir Jobs vorenthielt.
Ich ging zu meiner Agentur, um ihnen zu sagen, was ich von der ganzen Sache hielt. Wer etwas will, muss es einfordern.
Meine Agentin reagierte erbost.
»Wie kommen Sie dazu, zu glauben, wir würden uns nicht mit allen Kräften für Sie einsetzen!«
Sie log. Das wussten wir beide. Zu einem Casting zu gehen und den Job nicht zu bekommen, war eine Sache. Das war mir schon tausend Mal passiert. Man geht hin, stellt sich mit zwanzig anderen Frauen in die Reihe und bekommt den Job am Ende doch nicht. Das gehört zum Leben eines Models dazu. Aber von seinen Agenten gar nicht erst zu Castings geschickt zu werden, ist übel.
Meine Agentur weigerte sich, das zuzugeben, und beharrte weiterhin darauf, dass es keine Arbeit für mich gab. Ich steckte in einer Sackgasse, schließlich hatte ich einen Vertrag.
Wenn es bei der Arbeit schlecht läuft, ohne Aussicht auf Besserung, und man aus einer Situation nur noch rauswill, weiß man meist nicht, was als Nächstes kommt. Das ist beängstigend. Die Arbeit wird zur täglichen Qual, und man verbringt seine Tage freudlos. Da wir die meiste Zeit unseres Lebens arbeitend verbringen, ist es extrem wichtig, dass wir unseren Job gerne machen und uns auf die Arbeit freuen. Ich hatte in meiner Ernährungspraxis öfter mal Anwältinnen, die zwar ihre Arbeit liebten, aber mit ihren Chefs nicht zurechtkamen. Diese Frauen waren sehr unglücklich, und deshalb ernährten sie sich ungesund. Ich riet ihnen, ihre Arbeitssituation zu verändern, woraufhin sie den Arbeitsplatz wechselten oder eine eigene Kanzlei gründeten. Danach waren sie glücklicher und ernährten sich auch wieder besser. Meine Klientinnen sagten immer zu mir, ich sei billiger als eine Psychotherapeutin.
Ich sah mir meinen Modelvertrag noch einmal genauer an und stellte fest, dass er nur für New York galt. Also kontaktierte ich Agenturen in Philadelphia, den Hamptons, Connecticut, New Jersey, Los Angeles, Hamburg, München, Paris und London. Nachdem ich bei diversen Agenturen unterschrieben hatte, bekam ich auch wieder Jobs und fing an, für Katalogoder Magazinaufnahmen oder auch für Werbeanzeigen für Haarpflegeprodukte oder Pharmazeutika sogar nach Europa zu fliegen. Ich wurde für meine Verhältnisse ganz gut bezahlt, flog aber immer Economy und versuchte, möglichst billig zu reisen.
In meiner näheren Umgebung machte ich hauptsächlich Kataloge, Werbefilme oder Modevorführungen. Das war zwar nicht besonders glamourös, aber es war Arbeit. Wenn ich beispielsweise den Kunden preiswerter Kaufhäuser Kleidung präsentierte, hatte ich zum Umziehen eine winzige Kabine aus Karton, aus der ich dann heraustrat und den dreißig Leuten, die da saßen, die Kleidermodelle vorführte. Wenn ich zwischen den einzelnen Outfits zurück in meine Box ging, nahm ich jedes Mal einen Bissen von einem Bagel mit Frischkäse, den ich da liegen hatte. Um ihn ganz aufzuessen, war die Zeit zu knapp.
Die meisten Jobs gab es in New York, aber die wurden mir nach wie vor von meiner Agentur vorenthalten. Ich wusste, dass ich besser war. Ich wusste, dass es weder mein Aussehen noch mein Alter war, was mir im Weg stand. Es lag an denen, dass ich nicht gebucht wurde, nicht an mir!
Ich musste eine Möglichkeit finden, aus diesem Vertrag herauszukommen. Ich ging ins Agenturbüro, setzte mich ins Wartezimmer und saß dort eine halbe Ewigkeit, bis sie mich endlich zur Chefin vorließen.
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