1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 „Ich kann nich kochen“, sagte Mine ängstlich.
Die Tante warf ihr einen bitterbösen Blick zu. Aber ihre Stimme schmeichelte: „Jott, jnäd’je Frau, da sehen Se’s, wie bescheiden! Bescheiden sein is jut, ick sage alle Tage zu meine Kinder: ‚Seid bescheiden, in euren Stand muß man bescheiden sein!‘ Aber die Mine übertreibt det reine —“.
In diesem Augenblick kam Bertha. Das Schnapsfläschchen trug sie unter der weißen Schürze verborgen, die rosa Bluse, die sie am Nachmittag angelegt, um den Käuferinnen zu imponieren, saß zierlich auf der hübschen Gestalt. Ihre Wangen waren noch rosiger als sonst, sie war freudig erregt. Hatte doch eben, als sie die Destillation verlassen, die Kaufmannsfrau von der anderen Ecke sie angerufen, die behäbige Dame mit der goldenen Uhrkette und der durch einen hohen Schildpattkamm aufgestellten Flechtenkrone. Auch sie hatte gehört, daß drüben bei Reschkes zwei Mädchen, frisch vom Lande, zugezogen seien. Sie forderte Bertha auf, in den Laden zu treten, in dem Zuckerhüte und große Blocks Schokolade aufgestellt waren, und auf einem Ständer an der Türe verschiedene hohe Gläser mit Bonbons in allen möglichen Farben und Formen lockten. Da hatte sie ihr den Vorschlag gemacht, am ersten Oktober mit sechzig Reichstalern Lohn und dreißig Mark Weihnachtsgeld zu ihr zu ziehen. Es schwindelte Bertha, aber sie bat sich Bedenkzeit aus; es war doch immerhin nur im Kaufmannsladen! Und sie sah lächelnd an sich herunter und zog den Gürtel mit der blanken Schnalle noch ein wenig fester um die Taille zusammen — mußte sie ein Mädchen sein, daß man sich so um sie riß!
Mit einer strahlenden Freundlichkeit glänzten ihre Augen die fremde Dame an, als sie sich jetzt im Keller geschmeidig durch die Obstkörbe an ihr vorbei wand.
Die Hauptmännin hielt sich die Lorgnette vor die Augen, dann faßte sie sich ein Herz: „Entschuldigen Sie, Frau Reschke, das scheint mir doch viel eher das Mädchen zu sein, von dem unser Bursche mit mir gesprochen hat. Suchen Sie nicht auch Stellung?“ wandte sie sich an Bertha.
„Jawohl, gnädige Frau!“ Bertha hatte ein kindliches, offenes Lächeln, das sofort für sie einnahm.
„Verstehen Sie Küche und Hausarbeit?“
„Ich hab meiner Mutter den Haushalt geführt, wir hatten sehr viel zu tun. Ich habe alles alleine gemacht, de Mutter brauchte sich um nischt zu kümmern.“
Frau Reschke war ganz starr — die wußte sich aber anzubringen! Eine leise Bewunderung stieg in ihr auf, zugleich aber auch ein tüchtiger Ärger; daß das dreiste Ding ihre Hilfe gar nicht zu gebrauchen schien. „Bertha“, sagte sie scharf, „die jnäd’je Frau Hauptmann von Saldern will unsere Mine mieten.“
„Ach, ich weiß doch nicht — ich möchte doch lieber nicht“, sagte die junge Frau zögernd und betrachtete unentschlossen Mine, die mit ihren linkischen Manieren und der verdrossenen Miene gewaltig gegen Bertha abstach.
Von Saldern — Hauptmann von Saldern! Das war was Feines! Berthas Lächeln wurde immer gewinnender.
„Diese ist so freundlich“, sagte Frau von Saldern, gleichsam entschuldigend zur Reschke. „Ich habe so gern freundliche Leute um mich; es ist auch so gut für die Kinder.“ Und dann mit einer plötzlichen Entschlossenheit zu Berha: „Ich gebe Ihnen sechzig Taler.“
Die Reschke wurde dunkelrot. Nur mit Mühe behielt sie Biederton und Biedermiene bei. Noch schöner! Die Mine, die so schwer zu vermieten war — nicht mal die Hauptmannsche wollte sie — blieb ihr auf dem Halse, und der Racker da brachte sich gleich selber an! Aber sie gönnte es der kleinen Kröte, wenn sie auf den hungerleidrigen Haushalt reinfiel. Und so bestärkte sie in geheimer Schadenfreude die junge Frau eifrig in ihrer günstigen Meinung über Bertha.
Der Lohn schien allerdings noch ein Hindernis. Bertha verlangte in aller Bescheidenheit siebzig Taler und ließ einfließen, daß der Destillateur drüben ihr eben das gleiche geboten, und die Kaufmannsfrau, an der anderen Ecke der Kirchbachstraße, sogar noch fünf Taler mehr.
Frau Reschke zitterte vor verhaltener Wut — die Bande! Also nicht bloß, daß sie einem die Kunden wegschnappten, auch den Nebenverdienst, durch den man mal ein paar Mark erübrigte, ruinierten sie einem. Der Polizei müßte man’s anzeigen, so’ne Gemeinheit. Einem die Mädchen hinterrücks wegzumieten!
Aber jetzt wollte sie zu ihrem Gelde kommen. So schwadronierte sie denn los: „Jeben Sie siebzig, jnäd’je Frau. Sie finden kein Mädchen, det mehr for Ihnen paßte. Ja die Bertha, det is en Mächen, wie aus der Lade genommen! Und so fix — ne, einfach jroßartig! Bertha, haben Sie’n Jlücke, bei so’ne Herrschaft! Da kommen immer die Mächens jelaufen: ‚Noch keene Aussicht, bei die Frau Hauptmann anzukommen?‘ Aber von den’n wirde ik Ihnen ja jar keene rekommandieren, jnäd’je Frau! I wo, man sieht doch, wen man vor sich hat; det jinge mir jejent Jewissen. Nanu, sag ich immer zu de Mächens, ‚ihr wollt über de Herrschaft klagen? Schämt euch. Is det ne Manier, sich so uffzuplundern? Ponnis gebrannt, alle vierzehn Tage uff’n Ball? Un ’n großes Maul haben, und faul bei de Arbeit. Und Ansprüche — da is das Ende von weg!‘ “
„Ach ja“, seufzte die junge Frau, „ich hab auch schon böse Erfahrungen gemacht.“
„Na, wie war’s denn mit die Mathilde?“ forschte die Reschke neugierig.
„Die ist eine sehr ordentliche Person. Ich hätte ihr sicher nicht gekündigt; aber sie heiratet ja.“
„Sieh eener den Racker an!“ Frau Reschke schlug schallend die Hände zusammen. „Die un heiraten! Ne, jnäd’je Frau, det Sie so wat jlauben! Vermieten will se sich anderswo. Siebzig Taler, dafor dient se nicht mehr; hundert will se haben. Und denn vier Treppen! I du meine Jüte, Belletasche muß es sind und in’n Tierjartenviertel! Die Zuchten kennt man schon!“
Frau Reschke hatte sich in Eifer geschwatzt; sie unterbrach den Fluß ihrer Rede nicht eher, als bis Frau von Saldern, ganz klein gemacht durch die Niedertracht ihrer Mathilde, Bertha siebzig Taler zusagte.
Als die Dame gegangen war, fing Mine, die bis dahin in mürrischem Schweigen in einer Ecke gestanden hatte, an zu weinen. Alles, was sich an diesem Tage von Ärger und Erbitterung in ihr aufgespeichert hatte, floß in diesen Tränen zutage; Heimweh war auch dabei. Sie machte der Tante Vorwürfe in einer groben Art, so daß diese, über so viel Undankbarkeit ganz entrüstet, etwas von „unjehobelte Bauerndirne“ schrie, für die sie keinen Finger mehr rühren würde, und beleidigt die Glastür hinter sich zuschmetterte.
Im dunklen Laden hockte Mine auf der umgestülpten Tonne und hielt sich die Hände vor die Augen. Bertha stand vor ihr; der letzte Schimmer von Licht, der in den Keller fiel, weilte auf ihrem lieblichen Gesicht.
„Weene nich, Mine“, sagte sie schmeichelnd und strich der Schluchzenden übers Haar. „Daß de der drum so hast! Laß doch den alten Drachen! Weeßte, ich hab ’ne sehr scheene, ’ne gutte Stelle for dir, drüben bei’n Herrn im Restorang!“
„Siebzig Taler, sagste, gibt der?“ Mine hörte auf zu weinen.
„Ne!“ Bertha lachte hell. „Wo denkste hin? Das war nur so zu die Dame gesagt. Aber vierzig wird er der schon geben. Geh doch mal rüber bei ihn!“
„Geh du mit“, bat Mine und faßte ihre Hand.
„Na, denn komm!“ Bertha wollte sie emporziehen, aber, wie sich besinnend, schrie Mine: „Jesses, all die Wäsch! Die muß ich erscht fertig machen!“
Bertha sah ihr kopfschüttelnd nach, wie sie durch das nun vollends hereingebrochene Dunkel nach der Küche rannte. Ein mitleidig-geringschätziges Lächeln spielte um ihren hübschen Mund.
Alle Abend nach neun war ein großer Kongreß in dem von Heringen, Zwiebeln und faulendem Obst durchdufteten, nach Moder und Schimmel riechenden Raum.
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