Keine der Frauen hatte den geringsten Verdacht, wer ihnen diese üblen Streiche spielen könnte. Sofia Ynger, eine der Geschiedenen, glaubte zunächst, es wäre ihr Exmann, der kindische Rache übte, aber die Theorie musste sie fallen lassen, als er seine Unschuld beweisen konnte. Sie hatte selbst Kontakt mit ihm aufgenommen und ihn zur Rede gestellt, wobei die alte Wut bei ihm hell aufgeflammt war. Sie hatten sich eine ganze Weile lang angeschrien, aber Sofia hatte auf jeden Fall bestätigt bekommen, dass er nicht hinter den Anrufen steckte.
»Okay«, sagte Wall. »Lasst uns zu Schlussfolgerungen kommen. Mit wie vielen Tätern haben wir es zu tun? Nur mit einem? Oder mit mehreren?«
»Das ist immer die gleiche verdrehte Psyche, die da herumspukt«, erklärte Dalman kategorisch. »Darauf weist die Vorgehensweise hin.«
»Ich stimme dir im Prinzip zu, bin mir aber nicht hundertprozentig sicher«, sagte Wall, während Castelbo im Hintergrund dazu nickte.
Der Kommissar ergriff wieder das Wort: »Lasst uns weitergehen. Eine fremde Person oder jemand, den die Opfer persönlich kennen?«
»Ein Fremder. Es deutet jedenfalls alles darauf hin. Keines der Opfer weiß ja offenbar, wer der Verrückte ist. Aber er wohnt höchstwahrscheinlich hier in der Stadt. Vermutlich tritt er im Alltag ganz normal auf, nach außen hin, meine ich. Solche Verrückten brüsten sich ja nicht gerade mit ihren Abnormitäten.«
»Weiter?«
»Er interessiert sich nicht für junge Mädchen.«
»Auch nicht für alte Frauen. Das Durchschnittsalter der acht liegt bei neununddreißig Jahren und ist mit Margareta Andersson und in gewisser Weise auch Eva-Louise heute deutlich erhöht worden.«
»Ein Teil der Frauen lebt in Einfamilienhäusern, ein Teil in Wohnungen. Was noch?«
»Er bewegt sich nicht außerhalb der Stadtgrenze. Die Frauen wohnen alle nur wenige Kilometer voneinander entfernt.«
»Was darauf hindeuten kann, dass er keinen Führerschein hat.«
»Oder kein Auto.«
»Oder weder Führerschein noch Auto.«
»Zu einem Telefon hat er jedenfalls Zugang.«
»Eigenes oder Telefonzelle?«
»Er ruft von außerhalb an, aus Angst, seine richtige Nummer könnte entdeckt werden. Davon können wir ausgehen.«
»Aber keines der Opfer hat Geld fallen hören. Ich meine, wenn er an einem Münztelefon ist, dann müsste man das doch merken, oder?«
»Da gibt’s ja heutzutage andere Möglichkeiten. Man braucht die Automaten schließlich nicht mehr mit Ein-Kronen-Stücken zu füttern. Er kann eine Telefonkarte oder Kreditkarte haben oder sich heimlich ein Telefon ausleihen, vielleicht am Arbeitsplatz, wer weiß?«
»Und die Telefongespräche enthalten immer die gleichen unappetitlichen Zutaten?«
»Ja. Keuchen, Schnauben, unanständige Worte, die Drohung mit einem baldigen Beischlaf, manchmal präzisiert bis zur Vergewaltigung hin.«
»Na, Beischlaf und Vergewaltigung sind für so ein Schwein wohl Synonyme.«
»Dialekt?«
»Rau, lokale Sprache. Offenbar bewusst überzogen, um sich zu tarnen.«
»Dolly Nilsson hat gestern berichtet, dass er sich als Mitarbeiter einer Organisation für wohltätige Zwecke ausgegeben hat. Sie ist ihm in die Falle gegangen, und dann hat er zugeschlagen, ist ganz plötzlich wieder in sein übliches Ich zurückgefallen. Sie war schockiert. Sie meinte, es wäre nicht so widerwärtig gewesen, wenn er sie von Anfang an belästigt hätte. So aber hat sie deutlich gemerkt, wie verwundbar sie ist. Sie vertraut niemandem mehr, wie sie sagte.«
»Wie hat er denn anfangs geredet, als er als Bittsteller aufgetreten ist?«
»Mit finnlandschwedischem Akzent.«
»Also ein Talent, Dialekte zu imitieren?«
Carl-Henrik Dalman schnaubte hörbar.
»Na, finnlandschwedisch singen kann doch wohl jeder.«
»Hat sie noch mehr über ihn sagen können?«
»Laut Terje nicht. Er hat ihre Anzeige am Telefon aufgenommen.«
»Dann hat sie keinen Verdacht, wer es sein könnte?«
»Offenbar nicht.«
»Wie hieß sie noch?«, fragte Castelbo.
»Dolly Nilsson.«
»Dolly? Kann man so heißen?«
»Scheint so. Warum auch nicht? Dolly – der Name wird doch sogar schon beim Klonen benutzt, oder?«
»Aber in Schweden«, beharrte Castelbo. »Das klingt irgendwie so nach Busen. So amerikanisch. So nach Country and Western.«
»Man kann doch die ungewöhnlichsten Namen haben«, warf Wall ein. »Irgendwo in Hailand, in der Nähe von Varberg, da wohnt ein Mann, der heißt Furzer.«
»Du machst Scherze!«
»Nein, wirklich nicht. Das ist die Wahrheit. Der Typ heißt Furzer. Ganz offiziell. Ich habe darüber einen Artikel in der Zeitung gelesen.«
»Ich kenne einen, der heißt Hütte«, sagte Castelbo nachdenklich. »Aber vielleicht hat er sich auch nur so genannt.«
»Furzer hat sich nicht Furzer genannt. Er heißt so.«
»Furzer?«
»Ja.«
»Und du behauptest, man kann die ungewöhnlichsten Namen haben?«, fragte Dalman.
Wall nickte, aber ihm war klar, dass der Kollege nur darauf wartete, zu widersprechen.
»Kannst du mir dann bitte erklären, warum jemandem vor einiger Zeit nicht erlaubt wurde, seinen Sohn Holunder zu nennen?«
»Nun lasst uns mal weitermachen«, sagte Wall irritiert. »Dieser Quatsch hier führt doch zu nichts.«
Die Männer konzentrierten sich wieder und beschlossen, die Ermittlungen am Montag zu intensivieren, indem bekannte Sexualverbrecher, verdächtige Pädophile, Spanner und Geistesgestörte überprüft werden sollten.
»Und ich denke, wir sollten Maggie Larsson bitten, jede einzelne der belästigten Frauen persönlich aufzusuchen, um aus ihnen so viel herauszuholen ...«
Wall unterbrach sich und schaute Castelbo an.
»Ja, mit Eva-Louise muss sie natürlich nicht reden.«
»Gute Idee, das mit Maggie Larsson«, entgegnete Castelbo.
»Es ist sicher einfacher für die Opfer, sich einer Frau anzuvertrauen als einem Mann.«
»Das wissen die Götter. Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass die Opfer sich möglicherweise schämen, obwohl ja überhaupt kein Grund dazu besteht. Was da passiert, daran tragen sie schließlich keine Schuld. Aber sie fühlen sich gedemütigt und fragen sich, was sie falsch gemacht haben. Sie klagen sich ohne jeden Grund selbst an.« »Das stimmt in Eva-Louises Fall. Sie war die letzten Tage vollkommen außer sich und ich habe mir schrecklich Sorgen um sie gemacht. Mir war klar, dass etwas nicht stimmte, ich wollte mich ihr aber nicht aufdrängen. Und dann, heute Morgen beim Frühstück, hat sie dann alles gebeichtet ...« Der grobschlächtige Kriminalbeamte verlor sich für einige Sekunden in Gedanken, schluckte ein paar Mal und fuhr dann fort: »Sie fühlt sich, als hätte jemand bei ihr eingebrochen, ihr Zuhause geschändet.«
»Natürlich, es ist eine Verletzung ihrer Intimsphäre«, nickte Wall.
»Und wenn Eva-Louise schon so heftig auf diese Telefonanrufe reagiert, dann muss man sich fragen, wie ein Vergewaltigungsopfer sich erst fühlt. Aber wisst ihr, was Eva-Louise noch gesagt hat? Dass sie sich nie wieder rein fühlen kann, wie oft sie auch badet und duscht. Dass sie glaubt, alles sei ihre Schuld, obwohl sie natürlich vom Verstand her weiß, dass sie keinerlei Schuld daran trägt. Aber ich fürchte, das kann noch nachhaltige Folgen haben ...«
Seine Stimme brach, und zum ersten Mal sah Wall Thure Castelbos Augen feucht werden. Der Anblick erschreckte ihn und machte ihn gleichzeitig verlegen. Der schweigsame Kripobeamte war immer ein solider Fels in der Abteilung gewesen, ein sicherer Punkt, an dem man sich in allen Situationen festhalten konnte. Es war nicht leicht, ihn jetzt so geknickt zu sehen.
Wall suchte nach aufmunternden Worten, war sich aber nicht sicher, ob er den richtigen Ton treffen würde.
Читать дальше