Björn Hellberg
Mauerblümchen - Schweden-Krimi
Saga
Mauerblümchen - Schweden-Krimi Übersetzt Christel Hildebrandt
Coverbild / Illustration: Shutterstock
Copyright © 2004, 2020 Björn Hellberg und SAGA Egmont
All rights reserved
ISBN: 9788726445060
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
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Seine Augen schimmerten in diffuser Schwärze direkt über ihr, so nah war er, als er sich fest auf sie presste. Sein Gewicht erschreckte sie. Dann lockerte der Druck sich ein wenig, und sie spürte, wie er sich zwischen ihren Beinen zurechtschob, um eine bequemere Position zu finden.
Im nächsten Augenblick pustete er ihr direkt ins Gesicht. Sein Atem roch nach altem Tabak, roher Leidenschaft und Salzlakritz. Sie erschauderte.
Die Frau spürte, dass sie kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Sie zappelte verzweifelt, um sich aus dem immer fester werdenden Griff zu befreien.
Sie bekam kaum noch Luft. Angst bohrte sich in sie.
Ihre Panik wurde vollkommen, als er plötzlich hart ihre Nasenflügel zudrückte und sie über dem zunehmenden Rauschen des Bluts in ihren Ohren seine heisere Stimme hörte:
»Wenn ich jetzt meine Hand auf deinen Mund lege, wird dein Herz in fünf Minuten aufhören zu schlagen, wusstest du das? Aber dann wirst du natürlich schon weit weg sein.«
Als er den Griff um ihre Nase lockerte, schnappte sie gierig nach Luft.
»Schrei nur, hier hört dich sowieso keiner. Schrei doch. Schrei!«
Dann drückte er wieder zu, noch brutaler dieses Mal, und als sie um Gnade flehte, klang das nur wie ein jämmerliches Piepsen.
»Ich sterbe, lass mich los, sonst sterbe ich.«
Er war ihr jetzt so nahe, dass sein Kinn ihres berührte. Die Bartstoppeln kratzten sie. Sie konnte sein höhnisches Grinsen eher ahnen als erkennen.
»Du stirbst? Wie schön.«
Und dann drückte er mit unbändiger Kraft zu.
Ihre geballte linke Hand begann auf den Tisch zu trommeln. Die Bewegung wurde mit der Zeit langsamer, die Finger spreizten sich, bewegten sich wie im Krampf und blieben dann ruhig liegen.
Beim ersten Anruf war sie überzeugt davon, dass es sich nur um ein Missverständnis handeln konnte. Telefonterror war etwas, das andere betraf, wovon sie gehört hatte, was sie aber niemals mit sich selbst in Verbindung bringen würde. Es war ungefähr so, wie ermordet zu werden, ein durchgehendes Pferd mit einem Esel im Sattel zu sehen oder sieben Millionen im Lotto zu gewinnen: Etwas derart Unbegreifliches stieß fremden Leuten zu, namenlosen Menschen, es passierte nie jemandem, den man persönlich kannte.
Und am allerwenigsten einem selbst.
Und dennoch war genau das eingetreten: Von allen Frauen hatte er ausgerechnet sie ausgewählt.
Zuerst hatte sie geglaubt, es handele sich um eine falsche Verbindung. Das unangenehme Gespräch hatte höchstens ein paar Sekunden gedauert.
Keuchender Atem. Sie hatte den Hörer wieder aufgelegt. Falsch verbunden. So etwas kam vor. Schwamm drüber und weiter.
Natürlich war das Gespräch einer anderen armen Person zugedacht gewesen.
Auch beim zweiten Anruf hatte sie anfangs noch gehofft, dass es sich trotz allem um eine irgendwie geartete unglückliche Verwechslung handelte.
Denn wer könnte größeres Interesse an ihr haben, einer allein stehenden Dreiunddreißigjährigen mit ganz alltäglichem Aussehen, etwas zu dicken Waden, zwei gescheiterten, kinderlosen festen Beziehungen und einer mittelmäßigen, unterbezahlten Arbeit in einem Telefonladen in der Stadt?
Aber nach dem Gespräch Nummer zwei musste sie ihren Irrtum einsehen: Genau sie war die Auserwählte.
Das Opfer.
Er hatte sie sogar mit Namen angesprochen:
»Das bist doch du, Dolly, oder? Dolly Nilsson?«
Und sie hatte geschrien, obwohl sie es hätte besser wissen müssen: »Lass mich in Ruhe! Sonst rufe ich die Polizei.«
»Mach das, Schätzchen, mach das nur – sag mal, bist du im Bett genauso wild? Gott, wie schön, eine Frau mit Energie! Es muss wunderbar sein, tief in dich rein ...«
Sie hatte den Hörer auf die Gabel geschmissen.
Eigentlich war das eine gute Methode, ihn loszuwerden.
Aber gleichzeitig verlockte es sie zu hören, was er von ihr wollte. Alles war ein einziger schwieriger Balanceakt.
Eine kurze Weile hatte sie überlegt, ob es Holger sein konnte, der sie auf diese eklige Art erschrecken wollte, als Rache dafür, dass sie vor kurzem mit ihm Schluss gemacht hatte.
Aber den Gedanken schob sie schnell beiseite.
Ihr ehemaliger Mitbewohner lebte inzwischen weit im Norden, in Norrland, und war viel zu geizig, um sich jede Menge Ferngespräche zu leisten. Außerdem könnte er seine Stimme gar nicht so extrem verstellen. Nach vier Jahren Zusammenleben hätte sie ihn wieder erkannt, sosehr er auch versuchen würde, seine Stimme zu tarnen. Aber der Hauptgrund dafür, dass sie ihn als möglichen Täter strich, war, dass ihm ganz einfach die Phantasie für etwas so Raffiniertes fehlte. Er war der langweiligste Kerl, mit dem sie je zu tun hatte – nicht, dass sie besonders viele Vergleichsmöglichkeiten gehabt hätte –, und inzwischen konnte nicht einmal sie selbst sich erklären, wie sie es so lange mit ihm ausgehalten hatte.
Vier Jahre: eine kleine Ewigkeit.
Und es war keine besonders schöne Zeit gewesen, so viel war klar.
Sie verwarf auch den Gedanken, es könnte ihre erste Beziehung sein, die jetzt als Spuk aus der Vergangenheit auftauchte. So war Lars-Göran einfach nicht. Sie hatte sich immer gut mit ihm verstanden, und die Trennung war ruhig und würdevoll verlaufen, ohne ermüdende Szenen.
Dolly hegte den Verdacht, dass Lars-Göran einen leichten Hang zur Homosexualität hatte. Ihr Zusammenleben hatte das eigentlich nicht gestört, aber es hatte gewisse Zeichen dafür gegeben, dass er fremdging. Was ihr jedoch nichts ausmachte.
Zumindest jetzt nicht mehr.
Sie hegte keinen Groll gegen ihn und hatte außerdem seit mehr als sechs Jahren nichts von ihm gehört.
Nein, der Anrufer war mit größter Wahrscheinlichkeit eine für sie vollkommen fremde Person mit krankem Geist. Denn kein normal funktionierendes Individuum würde doch wohl auf so abnorme Ideen kommen, oder?
Die Frage lautete nur: Warum?
Warum ausgerechnet sie, Dolly, diese diskrete, unbedeutende Frau? Warum war sie vollkommen unverschuldet in die Schusslinie geraten, war den seltsamen Scherzen eines verdrehten Individuums ausgesetzt?
Apropos Scherze, wenn nun ...
Sie wagte nicht, den Gedankengang fortzuführen, spürte nur, wie ihr ein eiskalter Schauder den Rücken hinunterlief.
Nach dem vierten oder fünften Anruf überlegte sie, ob er vielleicht noch andere Opfer quälte. Oder sich mit ihr begnügte. Sie dachte, dass es sicher besser sei, wenn er seine Zoten auf mehrere Opfer verteilte und sich nicht auf ein einziges Objekt konzentrierte – ein etwas egoistischer und vielleicht unlogischer Gedanke, aber sie suchte Trost, wo er zu finden war.
Bis jetzt hatte sie sich noch nicht getraut, mit jemandem darüber zu reden, nicht einmal mit ihrer besten Freundin Anna oder einer ihrer Arbeitskolleginnen. Auf eine schwer erklärbare Art war es ihr peinlich, obwohl sie sich in keiner Weise mitschuldig fühlte. Soweit sie wusste, hatte sie sich nie provokativ oder sexuell herausfordernd verhalten, Im Gegenteil, sie sah sich selbst als graue Maus, als ein Teil der anonymen Masse; warum in Herrgotts Namen war sie dann also ausgesucht worden?
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