»War die Polizei da?« Mari sieht Svensson vor sich.
»Ja. Eine Frau aus Halmstad, die nur mit solchen Fällen arbeitet. Sie wirkte sehr kompetent.«
»Die armen Kinder!«, sagt Mari.
»Es ist zu hoffen, dass sie klein genug sind, um vergessen zu können. Aber es ist wichtig, dass sie professionelle Hilfe bekommen, hat die Polizistin gesagt.«
»Haben sie etwas darüber gesagt, was mit Enarsson passieren soll?«
»Nur, dass er noch in Haft ist. Auch wenn sie ihn freilassen, wird er wohl kaum wieder nach Hause gehen können.«
»Vermutlich nicht. Ich glaube, er hat einen Sohn weiter oben im Norden. Vielleicht zieht er dorthin.«
Birgitta schüttelt das graublonde Haar, sieht aus, als würde sie nachdenken, und wird für einen Moment still. Schließlich seufzt sie: »Das wäre wohl für alle am besten. Ich kann es immer noch nicht fassen. Darüber hat sie auch gesprochen, Kriminalinspektorin Annette Andersson hieß sie, dass es für die Umwelt so schwer zu akzeptieren ist. Man will nicht glauben, dass so etwas passieren kann, deshalb werden nicht alle sexuellen Übergriffe aufgedeckt. Niemand wagt es, an etwas so Schreckliches zu denken.«
Sie trennen sich, und Mari geht zum Auto. Das Wetter hat umgeschlagen. Es ist wärmer, aber bewölkt, und die ersten Regentropfen fallen, als sie sich ans Steuer setzt.
»Mist!« Der Tank ist leer.
An den Zapfsäulen ist eine Schlange, und sie muss warten, bis sie an der Reihe ist, während ein älterer Herr in einem blauen Volvo umständlich tankt. Durch das große Fenster der Tankstelle sieht Mari, wie er ein langes Gespräch mit dem Kassierer führt und dann sein Benzin und einen Kanister Öl bezahlt. Danach wird der Kanister in den Kofferraum gelegt, der Gurt in einer verwickelten Prozedur festgeschnallt, der eine Diskussion mit der Ehefrau auf dem Beifahrersitz vorangeht, bevor der Wagen gestartet wird, vorfährt und wegrollt. Mari will nach Hause. Ungeduldig fährt sie zur Zapfsäule vor und steigt aus dem Wagen.
»Mari!«
Mari tippt ihre Geheimzahl ein, bevor sie sich umdreht und das Gesicht der ungewöhnlich großen Frau vor sich zuwendet. »Marita! Wie geht es dir?«
»Es geht.«
Marita ist nicht schön. Groß. Mager. Der Eindruck eines traurigen Pferdes wird durch das kräftige Kinn und die langen, borstigen Locken verstärkt. »Wie schlimm für Vera«, fährt sie fort.
Mari kennt die meisten, die im häuslichen Pflegedienst arbeiten. Marita ist absolut zuverlässig und genau, macht immer das Richtige zur rechten Zeit, aber ist unglaublich ängstlich. Der Leiter der Haussamariter hatte wenig Verständnis für Maris Hinweis, dass es vielleicht besser wäre, jemanden nicht ganz so sensiblen wie Marita als Kontaktperson für Vera Silén einzusetzen. Das Problem war nicht Vera an sich, sondern Bengt und die fragwürdigen Leute, die dort ein und aus gingen. Mari versuchte, Marita zu unterstützen, Marita durfte sich bei ihr aussprechen, Mari lobte und bekräftigte sie. Mehr war nicht zu machen.
»Es ist schrecklich«, sagt Marita und zieht sich die Kapuze über den Kopf, um sich vor dem Regen zu schützen, der immer heftiger fällt. »Ich war heute mit Vera in der Psychiatrie, und sie hat eine Reihe Medikamente bekommen. Sie wurde eingewiesen. Der Arzt sagt, sie habe eine Psychose. Sie wird vielleicht Elektroschocks bekommen. Es war noch offen.«
»Es ist schwer für sie«, antwortet Mari. »Aber jetzt ist sie jedenfalls in guten Händen. Wir haben getan, was wir konnten. Du wirst sehen, sie wird wieder gesund.«
»Aber sie war so seltsam. Hat so schreckliche Dinge gesagt. Dass es ihre Schuld sei.« Marita hebt die Augenbrauen zu einer verständnislosen Grimasse, sie ist kurz davor zu weinen.
»Das ist der Schock durch Bengts Tod. Und wegen der Art und Weise, wie er starb.« Mari macht einen Schritt auf die Frau zu und legt den Arm um sie. »Es war sehr nett von dir, mit Vera ins Krankenhaus zu gehen. Wenn sie wieder zu Hause ist, wird sie besonders froh darüber sein, deine Unterstützung zu haben. Willst du ein Taschentuch?« Mari sucht in ihrer Hosentasche. »Hier!«
»Die Polizei war bei mir und hat gefragt, ob ich etwas gesehen habe.« Marita schluchzt. »Ich habe Vera an diesem Abend ins Bett gebracht. Aber ich habe doch nichts gesehen. Das habe ich gesagt. Wenn sie nun böse auf mich sind?«
»Liebe Marita! Du weißt, dass ich dir schon millionenmal gesagt habe, dass die Leute nicht böse auf dich sind. Du machst das, was du tust, ausgezeichnet. Du kannst nicht für alles die Verantwortung übernehmen.«
»Nein, ich weiß. Aber es ist so komisch. Weil ich mich später daran erinnert habe, dass ich, nachdem ich Vera ins Bett gebracht hatte, mein Handy vergessen habe. Ich saß schon im Auto, als ich es bemerkte. Also musste ich noch mal hineingehen und es holen. Ich hatte es auf den Tisch in der Diele gelegt. Es war so scheußlich, verstehst du, weil ich das Licht nicht angemacht hatte, um Vera nicht zu beunruhigen. Jedenfalls bekam ich solche Angst, weil da ein Geräusch war. So als wäre jemand in der Diele. Dann dachte ich, es wäre eine Maus. Stell dir vor, wenn es nun der Mörder war?«
»Ich glaube nicht, dass es der Mörder war, aber ich finde trotzdem, dass du Kommissar Svensson anrufen solltest.« Mari hat ihre Jacke im Auto gelassen, jetzt ist sie durchnässt, friert und will das Gespräch beenden. Sie fährt fort:
»Wir können hier nicht im Regen herumstehen. Willst du, dass ich Svensson anrufe?«
Marita nickt. »Wenn du so nett wärst. Entschuldige, aber es ist so schrecklich, jetzt wo Tomas nicht zu Hause ist. Er musste gestern fahren.« Ihr Mann arbeitet in Norwegen. »Ach, da war noch etwas. Vera wollte, dass ich zu ihrer Schwester fahre, aber ich kann nicht. Das musste ich ihr sagen. Ich hoffe, sie ist nicht böse auf mich.«
Geduld liegt Mari im Blut. »Marita! Niemand ist böse auf dich. Ich schaue, was ich tun kann. Fahr jetzt nach Hause und schlaf.«
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