»In Ordnung. Und jetzt legst du dich auf die Couch, ruhst dich aus, ich räume hier auf.«
Dankbar läßt sie sich verwöhnen. Er schiebt ihr ein Kissen unter den Kopf, deckt sie mit einer Decke zu, streichelt ihr die Wange.
»Schlaf jetzt!«
Sie liegt da und lauscht auf die Geräusche aus der Küche. Denkt, daß sie glücklich ist, einen wirklich guten, fürsorglichen Mann hat. Ab und zu in einem Grad, daß es stört.
Merkwürdig, daß es mit ihnen so gut gegangen ist. Im Laufe der Jahre hat es anstrengende Perioden gegeben, in denen es nur schwer auszuhalten war mit seinem Ernst und seiner Schweigsamkeit. Denn sie selbst ist im großen und ganzen lebhaft, hat ein hitziges Temperament und ist nicht ausgesprochen gut und brav. In ehrlichen Momenten hält sie sich für total egoistisch. Ein Egoismus, den sie zu verbergen weiß.
Vor fünf, sechs Jahren hatte sie eine ziemlich dramatische Affäre mit einem Kollegen. Miteinander ins Bett waren sie nicht gegangen, soweit war es nicht gekommen. Sie hatten Vernunft walten lassen, er ging fort, aber es dauerte Monate, bis sie seine körperliche Nähe nicht mehr vermißte, ihn aus ihren Gedanken und Gefühlen verdrängt hatte. Herrgott, wie verliebt sie war, wie ein Teenager. Am liebsten hätte sie das, was ihr geschah, mit Fredrik geteilt. Die Welt um sie herum und in ihr war weit geworden, viel geräumiger. Sie wünschte sich nur, darüber zu sprechen, über ihre Verliebtheit, die fast zu groß war, um mit ihr allein fertig werden zu können. Aber wenn sie sich ausgesprochen hätte, wäre er gegangen.
Nachdem das Ganze überwunden war, begegnete sie Fredrik mit größerer Wärme als zuvor. Der andere hatte etwas in ihr gelöst, sie empfindsamer gemacht, bewirkt, daß sie Fredrik mit neuen Augen sah. Dennoch verbirgt sie die Erinnerung an diese Zeit, bewahrt sie sorgsam auf, damit sie etwas hat, an dem sie sich aufrichten kann, wenn die Tage zu grau, zu niederdrückend werden.
Im letzten Jahr hatten sie Silberhochzeit. Während in ihrem Freundeskreis Paar für Paar aufreibende und quälende Ehescheidungen durchstand, haben sie zusammengehalten. Manchmal sprechen sie darüber, und in guten Stunden fühlen sie wohl beide, daß sie ein privilegiertes Leben führen.
In dieser Nacht findet Maria keinen Schlaf. Hier in der Dunkelheit, mit Fredriks ruhigen Atemzügen im Ohr, stellt sich die Angst wieder ein, die Befürchtung, daß es doch etwas Ernstes ist. Letztes Jahr im Winter war es ihr schon einmal so ergangen wie jetzt. Auch da hatte Fredrik sie zum Gynäkologen schicken müssen. Ein neu eingestellter Arzt, ihr völlig unbekannt, ungeduldig, überlastet. Ihr alter Gynäkologe ist pensioniert. Wie sehr sie ihn vermißt. Was für eine Sicherheit das gibt, wenn man den Arzt kennt. Von Anfang an, seit sie hier wohnt, war sie zu ihm gegangen, seit sie mit Hilde schwanger ging. Die Sicherheit, die sie empfand, war mühsam aufgebaut worden, und erst nach und nach war sie, ohne sich zu graulen, zu den jährlichen Kontrollen gegangen. Bei ihm fühlte sie sich wie ein Mensch. Er hatte Zeit zu reden, zuzuhören. Als er aufhörte, kam es ihr vor, als hätte sie einen guten Freund verloren.
Dann der Neue. Dieselbe Unsicherheit, wieder die alte Angst vor Ärzten. Er bekam das schnell und effektiv in den Griff, indem er eine Ausschabung vornahm, Muskelknötchen in der Gebärmutter entfernte. Das half, eine Weile kam der Zyklus regelmäßig. In den letzten Monaten jedoch ist es wieder genauso hoffnungslos. Ihr ist klar, daß dieses Mal eine Krebsprobe entnommen wird. Aber Frauen bekommen ja wohl nicht nur Gebärmutterkrebs?
Erneut versucht Maria sich damit zu trösten, daß das alles nur Beschwerden sind, die mit den Wechseljahren zu tun haben. Kleine Beschwerden, würde der Arzt sagen. Das weiß sie ja. Sie hat weder aufsteigende Hitze noch andere Probleme, über die viele Frauen klagen. Während der Periode etwas unausgeglichen, aber meistens geht es ihr um die Angst und darum, daß sie von der Arbeit mehr geschafft ist als früher. Sie will sich über nichts beklagen, wenn nur erst die Untersuchung überstanden wäre und ein Ergebnis vorläge, das ihr die Angst nehmen könnte – vor dem anderen .
»Fredrik, schläfst du?«
»Fast. Ja, was ist?«
»Du, Ausschabung, ist das nicht ein schreckliches Wort?«
»Was ist los?«
»Ich sagte, Ausschabung... Möchtest du dich ausschaben lassen, Fredrik? Nein, das geht ja nicht. Nur Frauen kann man hinlegen und ausschaben.«
»Liebste, Mia, komm her zu mir, leg dich in meinen Arm.«
Sie kuschelt sich an ihn, dankbar, daß sie klein sein, Angst haben darf.
»Du kannst mich Mia nennen«, hatte sie ihm gesagt, damals, als sie sich kennengelernt hatten. Als sie jung waren.
»Warum soll ich?« hatte er gefragt.
»So wurde ich gerufen, als ich klein war.«
»Das will ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil du ein schönes Mädchen bist mit einem phantastisch schönen Namen. Du kannst gar nicht anders als Maria heißen.«
Das zu hören, war für sie merkwürdig, denn als Kind hatte sie ihren Namen gehaßt. Bis zur Geburt ihrer kleinen Schwester wurde sie immer Mia genannt. Dann sollte sie plötzlich ein großes Mädchen sein und Maria heißen. Wenn es wenigstens noch Marie gewesen wäre. Aber das verhaßte A machte alles kaputt. Von den Alten dort zu Hause wurde sie Maria gerufen. Die Jungen ärgerten sie. Jungfrau Maria, Jungfrau Maria...
Dann war Fredrik mit seiner Behauptung gekommen, daß sie einen phantastischen Namen habe. Maria, in dem Namen ist Musik, hört sie ihn sagen. Ich bin so froh, daß du Maria heißt und nicht Mia, aber wenn du dich klein fühlst und Trost brauchst, dann kann ich dich gern Mia nennen, sagte er.
Im Laufe der Jahre ist sie nur noch selten Mia für ihn gewesen. Ansonsten wird sie nur von Lise Mia genannt. Denn sie erinnert sich an die Zeit, als Maria Mia war. Und jetzt liegt sie hier in Fredriks Armen und darf Mia sein. Die dumme, alte Mia in den Wechseljahren.
»Weißt du, woran ich oft denke?« fragt sie. »Ich denke, daß ich in einem gefährlichen Alter bin.«
»Gefährlich? Wieso denn?«
»Ich habe mich mit vielen, die in meinem Alter sind, darüber unterhalten, daß die Ärzte jedes Gespräch über Beschwerden mit dem Wort Wechseljahre vom Tisch fegen. Daß man eine lebensgefährliche Krankheit haben kann, die nicht erkannt wird, weil die Ärzte das Überspanntheit oder Hysterie infolge der Wechseljahre nennen. Sie schieben dir ein Rezept für Schlaftabletten oder Beruhigungspillen zu und schicken dich fort. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, daß es für Frauen lebensgefährlich ist, im Klimakterium zu sein? Daß für sie das Risiko besteht, deshalb sterben zu müssen?«
»Jetzt übertreibst du aber!«
»Nein, das stimmt.«
»Aber dann ist es ja noch wichtiger, daß du zum Arzt gehst und ihm dasselbe sagst wie mir eben.«
»Ja«, erwidert sie und beschließt, es genau so zur Sprache zu bringen.
»Du«, sagt er, »ich würde mir wünschen, daß du den Kursus in Oslo absagst.«
»Aber das geht nicht. Jetzt kann ich keinen Rückzieher mehr machen.«
»Natürlich kannst du das. Du machst dich kaputt mit all dem, was du dir aufhalst. Ganz bestimmt findet sich Ersatz für dich.«
»Nein, dafür ist es zu spät. Die Planung ist abgeschlossen, wir haben schon alles angeschoben, ich muß es nur noch durchführen. Es wird schon gutgehen.«
»Dein Fehler, Maria, ist, daß du nie deine Grenzen erkennst, daß du niemals nein sagen kannst. Du hältst dich für unentbehrlich, aber das bist du nicht, weißt du. Ich kann nicht begreifen, warum du dich für so was kaputt machst. Du mußt doch zugeben, daß das unnötig ist.«
Sie antwortete nicht, wechselt in ihr eigenes Bett hinüber. Sie ist wieder Maria für ihn, und sie kann diese Diskussionen nicht ausstehen. Nicht jetzt. Aber der Kursus, zu dem sie morgen abend in Oslo sein soll, lenkt sie ab von der Furcht.
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