Ich wollte Fische retten
Konstantin Bogatski
Übersetzer Barbara Lehmann
© Konstantin Bogatski, 2021
© Barbara Lehmann, Übersetzung, 2021
ISBN 978-5-0053-0822-1
Erstellt mithilfe des Intelligenten Verlagssystems Ridero
Ich schlug die Tür des alten dreigeschossigen Gebäudes zu, wo man meine Mitschüler und mich darin unterrichtete, zu einer grauen, leblosen Masse zu verschmelzen. Vor mir öffnete sich das Halbdunkel des Schulhofs. Es war still, meine Klassenkameraden befanden sich längst zuhause. Ich lief am windschiefen Zaun entlang, hinter dem sich in der Dämmerung die klare Silhouette des Rohbaus eines Handelszentrums abzeichnete, das niemals fertiggestellt werden würde. Vorsichtig ging ich um die offenen Kanalisationsschächte herum, deren Abdeckungen seit langem gestohlen und zu Altmetall verwertet worden waren und lief über den löchrigen Asphalt. In der Ferne hob sich schon der graue Block des neunstöckigen Gebäudes ab, in dem ich seit meiner Geburt lebte, die weder erwünscht noch geplant worden war.
Meine Beine fühlten sich wie Watte an, als ich aus dem versifften Lift zur Tür der Wohnung Sechsundsechzig ging. Mit tauben Fingern klaubte ich die Schlüssel aus der Seitentasche des abgeschabten Rucksacks. Heute abend war ich später dran als gewöhnlich. Nachdem meine Mitschüler, die mich seit langem anekelten, den Unterricht verlassen hatten, hatte ich noch mit einem anderen Mädchen Klassendienst gehabt und die Fußböden fegen und wischen müssen. Ich hatte nichts gegen diese kleingewachsene Mitschülerin; sie war erst seit kurzem in der Klasse und zwar übermäßig angepasst, aber nicht bösartig. Sie kam vom Land und war mit ihrer Tante in unsere gesichtslose Stadt gezogen. Bis zur Dunkelheit hatten wir beide auf den mit Schimpfwörtern beschmierten Schulbänken gesessen und Belanglosigkeiten ausgetauscht. Keine von uns zog es nachhause, weil uns in unseren engen und ungemütlichen Wohnungen niemand erwartete. Wir hatten keine Sehnsucht nach dem sargähnlichen Hochhaus und seinen kalten Wänden, wo man bei ausgeschalteter Heizung zum Abendessen ungesalzene Gerstengrütze runterwürgen musste.
Ich betrat die Wohnung. Meine Mutter war glücklicherweise noch nicht zu Hause, wie schon die Tage zuvor, als sie nicht vor Mitternacht heimgekommen war. Sie hatte sich einen neuen Ficker zugelegt, einen fetten Glatzkopf mit einer schnarrenden Aussprache. Offenbar war er wohlhabend, denn er hatte sie schon mehrmals in eine Bar ausgeführt, in der keine Proleten verkehrten. Mit seiner Kohle hätte er sicher auch ein besseres Weibsstück finden können. Was konnte ihm diese hysterische, im Eiltempo alternde Schlampe schon geben, die meinen Vater bei lebendigem Leib hatte verfaulen lassen und zudem vor zwei Monaten wegen ihrer Trunksucht die Arbeit verloren hatte? Auch heute Abend hatte sie zum Saufen mal wieder das Weite gesucht. Anscheinend befriedigte sie ihr Stecher bislang auch mit Alkohol.
Ich hatte total Kohldampf, aber außer angestaubten Zwiebäcken in einem geflickten Säckchen und Perlgraupen im Küchenschrank war nichts vorhanden. Der alte Kühlschrank war abgeschaltet. Ich konnte meine blöde Neigung zu Selbstgesprächen mal wieder nicht unterdrücken und verfluchte die ganze Küche. In ohnmächtiger Verzweiflung starrte ich ins Dunkel des Küchenfensters. Über die schmutzige Scheibe trommelten Hagelkörner.
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