Die nächsten zweieinhalb Jahre lebte Käthe Besser ganz einsam in Surubaja auf Java. Frans van Stejn hat fünf Minuten von seinem Haus, beschattet von Palmen und Bananenbäumen, versteckt in einem dornigen Unterholz, eine kleine Sommervilla. Dort wohnt Käthe, bedient von drei Boys und zwei eingeborenen Mädchen.
Tagsüber vervollkommnet sie sich im Englischen, Französischen und Spanischen, liest bald in allen Sprachen die Zeitung, streicht an, was für den Kaffeehandel wichtig ist. Manchmal geht sie unter Mittag ans Meer, wenn nur Eingeborene am Wasser sind, und sieht den Schwammtauchern zu, den Korallenfängern und den Fischern. Von einem der Boys lernt sie klettern. Mit einem Strick und bloßen Füßen stemmt man sich die glatten Palmenstämme hinauf. Es gibt nichts Schöneres, als sich mit der Palme vom Mittagswind wiegen lassen. Der Freund darf von diesen Kunststücken nichts wissen. Er würde ihr klarmachen, daß die Europäerwürde in den Tropen etwas Besonderes ist.
Frans van Stejn kommt abends oder spätestens nachts um eins. Er ist immer weiß gekleidet, manchmal trägt er den Tropenanzug mit den weißen Leinengamaschen und dem Korkhelm, manchmal den weißen Smoking, weiße Perlmutterlackschuhe und einen hellen Strohhut. Er ist immer freundlich, höflich und ziemlich schweigsam. Manchmal packt er zu, als wolle er wehtun. Aber wenn Käthe aufschreit, ist er beschämt und zärtlich. Sie leben still und nett miteinander. Langsam kommt heraus, daß Stejn zum erstenmal liebt und nicht weiß, wie er sich dazu stellen soll. Im Herbst 1926 rücken die Entscheidungen an ihn heran, die er so lange hat von sich weghalten können.
Sein Gesicht, das sonst immer jungenhaft freundlich und rosig war, wird gelb und überanstrengt. Seine Frau ist unterwegs. Er muß es eines Tages doch Käthe sagen. Denn sie wird in wenigen Wochen eintreffen. Er zieht ihr Bild aus der Brieftasche und zeigt es. Käthe hat es schon im Hotel gesehen. Aber sie betrachtet es mit neuer Anteilnahme.
Der Kaffeehändler schwört, daß er sich scheiden lassen will. Frau van Stejn ist geldgierig, also wird es gehen. Stejn kann nicht mehr ohne Käthe leben. Er will sie nur noch eines fragen, bevor sie ganz einig sein werden. Er wird es ihr sehr bald sagen. Noch kann er es nicht. Immer wieder träumt er davon, wie er sie zuerst sah. Mit zwei Fingern einen Schein zupfend. Wollte sie ihn bestehlen? Er wagt doch nicht, zu fragen. Wenn sie nun ja sagt? Er kann doch nicht eine Diebin heiraten und kann auch nicht von ihr lassen, wenn sie eine Diebin war. „Mein liebes Teufelchen“, sagt er dann immer zum Schluß und schläft in ihren Armen ein.
Fünf Tage vor der Ankunft Frau van Stejns bekommt er das Sumpffieber. Er schreit und schlägt um sich. „Hast du mich im Hotel bestehlen wollen?“ ruft er und küßt die Finger, die den Schein gezupft haben. Käthe nickt. Er will etwas aufschreiben. Er vergißt es nur immer wieder. „Teufelchen soll alles erben“, kritzelt er dann, bevor er stirbt.
Als Frau van Stejn ankommt, ist ihr Mann schon begraben. Sie findet beim Ordnen des Nachlasses eine Seite des Tagebuchs in Schönschrift vollbeschrieben: „Käthe ist eine Diebin. Käthe ist eine Diebin.“
Das scheint ihr Handhabe genug, gegen die Geliebte des Mannes vorzugehen. Sie läßt durch die Polizei Käthes gesamten Besitz sicherstellen. In der Sommervilla bleiben nur ein paar Kleider, ein Koffer, die französische, die englische und die spanische Grammatik.
Ein Anwalt bietet Käthe seine Hilfe an. Sie ist ganz erstaunt. Sie will sich nicht wehren. Wenn Frans nicht besser vorgesorgt hat, soll es ihr nicht besser gehen. Was sie machen will? Sie will nach Berlin zurück. Frans vergessen. Vergeblich sucht der Anwalt ihr klarzumachen, daß sie doch ohne Mittel niemals nach Berlin kommen kann.
Im Mai 1927 läuft der Dampfer „Güteborg“, Kapitän Fredrichsen, Surubaja an. Er hat die Route Ceylon, Aden, Port Said, Neapel, Hamburg, Kopenhagen.
Eine Stunde vor der Abfahrt betritt Käthe Besser das Schiff in einem crêmegelben Spitzenkostüm, tief verschleiert. Der Boy, der sie auf die Palme klettern lehrte, trägt den bescheidenen Handkoffer.
Sie läßt sich beim Kapitän melden, steht schmal und klein in der Kajüte. Sie will ohne Geld nach Deutschland. Fredrichsen zuckt die Achseln. Käthe schlägt den Schleier zurück. Der Kapitän errötet. Welche Augen! Er liebt sie schon. Er ist zu allem bereit, wenn sie ihn nur wiederlieben will.
Käthe sieht sich kummervoll den alten Seemann an. Das rostbraune, gefurchte Gesicht mit dem weißen Schnurrbart, die breiten Schultern, die sich schon nach innen krümmen, die behaarten Hände. Dann schließt sie die Augen müde, öffnet und schließt sie noch einmal. Mausgrau blinken die Augendeckel im bronzenen Gesicht. Dann entblößen sich langsam die Zähne. Wahrhaftig: da es sein muß, lächelt sie.
Käthe lebt in der engen Kajüte. Man hört tags Menschen laufen, Musik, Geschrei. Wasser sieht sie vorbeigehen und ab und zu ein anderes Schiff. Spätabends darf sie eine Stunde neben dem Kapitän oben im Steuerhaus sitzen. Fredrichsen ist rasend vor Liebe und Eifersucht. Wenn er nachts zu ihr kommt, schwankt er in seiner Erregung wie ein Betrunkener.
Wochen gehen hin. Man kommt nach Aden. Das Schiff stolpert langsam durchs Rote Meer. Draußen, drinnen, tags, nachts ist es bleiern heiß. Käthe liegt auf nassen Laken in der Kajüte. Nie, denkt sie, wird das vorübergehen. Es wird bleiben, wenn es auch vorbei ist.
Als das Schiff eines Nachts für zwei Stunden in Suakin anlegt, geht sie in einem Anfall von Verrücktheit von Bord. Läuft sinnlos wie im Traum durch die elenden Hafengassen, wird von Fredrichsen eingeholt, zurückgetragen. Er schlägt sie, nimmt ihr die Kleider weg. Weint. Gut, denkt sie, gut, gut. Jetzt heißt es wirklich: Sterben oder Leben. Und sie wählt Leben, indem sie dem Peiniger stöhnend die Arme um den Nacken legt.
In Port Said endlich gelingt ihr die Flucht. Sie hat ihr blaues Reisekostüm an, ein weißes Hütchen unter dem Arm und ein Damentäschchen mit Kamm, Zahnbürste und wenigen Gulden. Hinter einer alten Dame betritt sie den Dampfer „Menno“, der mit Kaffee, Bananen und wenigen Passagieren nach Hamburg abgeht. Es gelingt ihr, unten im Verladeraum, sich hinter Kaffeesäcken ein Lager zurechtzumachen. Das Knirschen der Bohnen, der grünfeuchte Geruch erinnern sie an Frans van Stejn. Sie nährt sich von unreifen Bananen. Ein bis zwei täglich genügen ihr. Vierzehn Tage vor Hamburg, auf der Höhe von Neapel, wird sie von dem Obermaat Karl Drübbecke entdeckt, der mal im stillen hinter Kaffeesäcken ausschlafen will.
Drübbecke kämpft einen schweren Kampf. Er möchte die Hilflosigkeit nicht ausnützen, wenn nur die Person nicht so schön wäre. Käthe weiß, daß sie nichts anderes zur Bezahlung hat als sich selbst, und ist bereit, diesen Preis immer wieder zu zahlen.
Drübbecke besorgt ihr eine Hängematte, eine Decke, ein Kerzenstümpfchen, ein Buch „Aus den dunklen Häusern Belgiens“. Er bringt ihr jeden Tag Essen. Er sitzt jede Nacht eine Stunde bei ihr und sieht zu, wie sie schläft. Woher sie kommt, wohin sie geht, fragt er nicht. Er bietet ihr die Heirat an. Ihretwegen will er gern wieder zurück nach Mecklenburg und Knecht werden. Er versteht, daß sie ablehnt.
Als die „Menno“ in die Elbe einfährt, als sie nach soviel Wochen des Schaukelns sanft und seidig dahinstreicht, schenkt Käthe Besser dem Obermaat Karl Drübbecke dankbar und leicht das, was sie ihm von vornherein schuldig zu sein glaubte.
Fast bis Hamburg hält Drübbecke eine leise weinende Frau in den Armen. Er ist verwirrt. War er dennoch gemein? Er kann nicht wissen, daß Käthe durch Drübbeckes Sanftheit wieder Mut hat, ihr Schicksal zu tragen.
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