Walther von Hollander - Therese Larotta

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"In einem der Seitentäler des Engadins, zwei Stunden etwa von Sils Maria und ebenso weit von Maloja entfernt, lag das alte 'Haus am Wasser'. Es war ein Engadiner Bauernhaus mit dicken Mauern, winzigen Fenstern, großer Diele und dunklen Stuben und Kammern, in die nur wenig Sonne hineinschien." In diesem Haus ziehen eines Tages der Bauer Peter Larotta und sein deutlich jüngere Frau Therese mit ihren beiden Jungen ein. Eine harte Aufbauzeit beginnt für die Eheleute mit großer körperlichen Anstrengungen, die beide voneinander entfremden. Es gibt nur wenige Momente des Glücks miteinander. Als dann Peter Larotta stirbt, übernimmt die junge, hübsche Witwe alleine die Verwaltung des Bauernhofes. Es kommen Tage, an denen sich Therese wünscht, früh zu altern, damit alles bald ein Ende hat. Aber es gibt auch Momente, die eine glückliche Zukunft versprechen.-

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Walther von Hollander

Therese Larotta

Ein Roman aus dem Engadin

Saga

Therese Larotta

© 1939 Walther von Hollander

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711474709

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

1

In einem der Seitentäler des Engadins, zwei Stunden etwa von Sils Maria und ebenso weit von Maloja entfernt, lag das alte „Haus am Wasser“. Es war ein Engadiner Bauernhaus mit dicken Mauern, winzigen Fenstern, grosser Diele und dunklen Stuben und Kammern, in die nur wenig Sonne hineinschien.

Den Namen trug das Haus zu Recht. Denn es lag unweit einer Felswand, über die sich in drei Riesensprüngen ein Wasserfall hinabstürzte, und dicht am Gebirgsfluss, der schäumend und gurgelnd an den Südfenstern vorbeischoss.

Fast hundert Jahre war das „Haus am Wasser“ das letzte Anwesen, das ständig bewohnt wurde. Hundert Meter tiefer und schon ausser Rufweite lag das „Haus am Hang“, ein Bauernhaus mit Stall und Heuschuppen, mit Viehgatter und Tränke genau wie das „Haus am Wasser“, und höher hinauf, an den Hängen des lärchenbewachsenen Tales, kamen nur noch ein paar Hirtenhütten, einige Sommerställe für Weidevieh, ein paar Almen und dann die Felsen.

Wenige Jahre vor dem Kriege wurde das Berghotel in das Tal hineingesetzt, ein Fachwerkbau mit sechzig Zimmern, und ein Fahrweg erschloss das Tal den Bergsteigern und Wintersportlern, den Sonnensüchtigen und Liegestuhlbenutzern, den Städtern, die auf der Flucht vor der Stadt sind.

Nachdem die Strasse bis zum „Haus am Wasser“ fertiggestellt war, starben kurz hintereinander die alten Fenns, die Besitzer. Ein Jahrzehnt hatten sie hier einsam, mit ihren Hunden oder Kühen schwätzend, gehaust, und höchstens hatten sie mit dem Bauern am Hang gesprochen, der ein Sonderling war. Es schien den beiden Alten wohl nicht verlockend, unterhalb des Berghotels und unweit der Sommerfremden und Winterfrischler zu leben, und so gingen sie lieber ganz aus dieser Welt, in der scheinbar für niemanden mehr genug Einsamkeit vorhanden ist.

Da der Weg fertig war, fuhr man die Toten nach Sils hinunter und begrub sie dort, obwohl sie oft gesagt hatten, sie wollten auf dem Grundstück liegen, gesondert von allen anderen, wie sie gelebt hatten.

Das „Haus am Wasser“ stand mehrere Jahre leer. Die Kinder der Fenns, die schon Jahrzehnte im Unterland lebten, wollten nicht heraufziehen. Sie liessen zuweilen ein paar Gäste darin wohnen, um wenigstens die Steuern zu haben, und erschienen ein- bis zweimal in jedem Sommer, um das Heu zu ernten und abzufahren. Endlich, 1917, mitten im Kriege also, von dem hier oben allerdings nicht viel zu bemerken war, erwarb der fünfundfünfzigjährige Bauer Peter Larotta aus Promontogno den gesamten Besitz einschliesslich zweihundert Morgen Almwiesen, zwei Sommerställe und vier Viehgatter. Er bekam noch hundert Morgen von dem höher gelegenen Felsengewirr dazugeschenkt, einen Streifen Land, auf dem auch die bescheidenste Ziege nichts mehr zum Essen finden konnte und auf dem man höchstens Murmeltiere hätte ernten können, die dort mit drolligen Sprüngen und Pfiffen ihr Wesen trieben.

Peter Larotta nahm die Schenkung dieses Felsstreifens achselzuckend und abwehrend an. Innerlich war er voll Stolz, weil er sich nun mit seinen sechshundert Morgen Land als Grossbauer fühlen konnte.

Im Mai 1917 kamen die Larottas an. Es war ein richtiger Föhntag. Bis Mittag schneite es heftig bei warmem Sturm. Dann brach die Sonne durch. Der Schnee fiel in Brocken und Klumpen von den Bäumen. Es begann mit solcher Heftigkeit zu tauen, dass auf den Strassen die Wasser unter dem Schnee zu fliessen anfingen. Ein schlechteres Wetter zum Umzug hätte sich schwer finden lassen. Langsam stiegen die Larottas vom Tal her hinauf. Voran trappelte der Esel Josef, der auf jeder Seite eine grosse Kiste mit Geschirr trug. Dahinter ging der Bauer, Peter Larotta, trotz der Hitze in seinen Schafspelz gekleidet, die zu langen Beine in Wasserstiefel gesteckt.

Der Schweiss rann ihm aus dem grauen Wirrhaar über das magere Gesicht in den schwarzen, buschigen Bart. Die grosse Peitsche benutzte er als Wanderstab. Mit der linken Hand führte er das geliehene Zugpferd am Zügel, das viel kleiner war als er. Von weitem sah es so aus, als ob der Bauer Pferd und Leiterwagen den Berg hinanzog.

Der Wagen war nicht gut gepackt. Er schwankte bedenklich und drohte immer wieder zu kippen und ausser dem Hausgerät auch Therese Larotta abzuwerfen, die, beide Hände in die Zeltplane verkrampft, sich und ihre Sachen immer wieder ins Gleichgewicht brachte. Die Bäuerin trug einen grünen Lodenmantel. Um den Kopf hatte sie ein rotes kariertes Wolltuch geschlungen, dessen Fransen ihr der Wind immer wieder ins Gesicht wehte. Ihre Wangen waren von der Anstrengung so rot wie das Tuch. Die Stirn war auffällig weiss und sehr hoch. Das gab ihrem Gesicht etwas Nachdenkliches, Abweisendes.

Die Larotta hielt die Lippen fest zusammengepresst. Die dunklen Augen gingen unruhig zwischen dem Bauern, dem Wagen, dem Esel und den beiden Söhnen hin und her, die, Peter und Paul mit Namen, den miserablen Weg ausnutzten, um sich bis zur Nase mit Schneematsch zu beschmieren. Therese musste herzlich über die Kinder lachen. Dabei war ihr recht bange zumut. Was für eine fremde Welt tat sich hier vor ihr auf! Ein Schneegebirge, das ganz dicht dies Tal umschloss, Wiesen, auf denen noch jetzt im Mai der Schnee lag, Hänge, an denen nur wenige Lärchen wuchsen und über die wie Zuckerwerk die erstarrten Wasserfälle gespannt waren, deren Wasser jetzt in der Mittagssonne nur gerade zu sickern und zu flüstern begannen.

Der seltsame Zug der Zuwanderer dröhnte jetzt über die schmale Brücke, unter der der Fluss, an den Rändern noch mit Eis überdeckt, schäumend, gurgelnd, gelb und grau dahinschoss. Und da lag denn das „Haus am Wasser“, unwirtlich, mit geschlossenen Fenstern und Türen, die Stalltore verrammelt und von angewehtem Schnee mannshoch zugedeckt. Man musste sich einen Weg ins Haus schaufeln, und da sie die Türen öffneten, atmete dumpfe unbelebte Luft ihnen entgegen. Therese erschauerte einen Augenblick. Dann ergriff sie Eimer, Scheuertücher, Besen und begann den Dreck, die Verwahrlosung, die Vergangenheit hinauszukehren.

Die Larottas zogen also ein, nahmen Besitz vom Haus, stellten die grossen Schränke und den breiten Esstisch in die Diele, verteilten in den Stuben die Stühle und Sofas, die Anrichte und die Truhen, hingen Bilder von Promontogno, Fotografien ihrer Eltern und kleine Drucke mit bunten Heiligen an die Wände. Sie entzündeten im Eingang das ewige Lämpchen vor einer Mutter Gottes, die eine goldene Strahlenkrone wie eine aufgehende Sonne um ihr Haupt trug, und gleich hinter dem Eingang stellten sie ihren grössten Stolz auf, die Jahreszeitenuhr, eine grosse Standuhr, auf deren Zifferblatt die vier Jahreszeiten dargestellt waren, so dass die Zeiger bei ihrem Tageslauf immer das Jahr durchkreisten, von der Blüte über die Ernte bis zum Schnee.

Die Larottas waren sehr zufrieden, dass die grossen Ehebetten und der Spiegelwaschtisch in die eine Kammer passten und dass zwischen den Kinderbetten in der zweiten Kammer gerade Platz genug blieb, um die leere Wiege aufzustellen.

Nachdem sie sich eingerichtet hatten, gingen die Larottas zu den beiden Nachbarn, zum Bauern am Hang und zu Herrn Guggis und Frau ins Berghotel, um gute Nachbarschaft zu wünschen.

Der Bauer am Hang empfing sie voller Misstrauen. Er war so schwerhörig, dass er die anderen nicht gerne sprechen liess, und so misstrauisch, dass er nur von der Vergangenheit sprach. Er erzählte von den alten Fenns, den Vorgängern der Larottas, die von ihren Kindern genau so verlassen waren wie er selbst. Bergbauernschicksal, das die Larottas auch packen würde. Selten hatte es die zweite Generation der Zugewanderten hier ausgehalten. Die Fenns hatten ihre Kinder zwingen wollen, im Hochtal zu bleiben. Da waren sie nachts im Winter weggelaufen, auf Schneeschuhen. Und niemand konnte sie einholen?!

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