Da erst begriff Kuball. Aber er war schon so blind geworden, daß er nicht mehr erkennen mußte, wie er um seiner Unfruchtbarkeit willen genommen wurde, daß er nicht merkte, wie die Frauen nach knapp einem Jahr stillen und zähen Kampfes sich einigten, ohne Aussprache, ohne Wort. Jeden Dienstag und Freitag hatte der Inspektor die Besprechungen. Donnerstag war Skatabend, und am Sonntag fuhr man gemeinsam im kleinen Auto nach Schlawe, um ein Kino zu besuchen.
Das Trinken mußte Kuball einstellen, oder er durfte wenigstens nicht betrunken sein. Schreien, Fluchen und mit gewaltigen Stiefeln auftreten konnte er im Freien. Er mußte nun beiden gehorchen: Frau von Maltrup, weil sie die Herrin blieb, die Frau aus der anderen Welt mit Bad, Seife, Parfüms und einer Menge erstaunlicher Bücher, die das Blut zur Siedehitze trieben, Meta, weil er sie belog und betrog, und beiden, weil er nach einem unerforschlichen Gesetz kein ganzer Mann war, trotzdem er breit war für zwei, Kraft hatte für zwei und nun auch lebte wie zwei Männer.
So blieb ihm nichts, als sich immer mehr in die Arbeit zu verrennen. Die Försterstelle besetzte er nicht neu. Das konnte er besser wie jeder Förster. Zwei Schimmel hatte er nun, weil ein Pferd es nicht aushielt. Die Arbeiter stöhnten unter seiner Bedrückung. Sie blieben, weil sie höhere Löhne bekamen. Aber der Haß wurde immer größer, und bald rächte man sich durch Vergiftung von Vieh, bald durch einen Lärm, den man der Meta machte, wenn sie allein war, durch Beschmieren des Zauns oder Umhacken junger Obstbäume.
Die Frauen begannen für ihn zu fürchten. Meta sagte deutlich, er solle sich nicht für Frau von Maltrup umschießen lassen, und die Gutsherrin versuchte, hinter seinem Rücken ein bißchen auszugleichen. Aber das Ende war nicht mehr abzuwenden.
Ein Jahr und noch ein Jahr, dann fing der Alkohol wieder an, den Inspektor zu trösten. Konnte er mit niemandem über seine Not sprechen, so erleichterte es ihn, im Rausch sich selbst anzureden und unbeantwortete Fragen in die Dunkelheit hinauszubellen.
In einer Mondnacht sah Meta Muhn ihn im Boot über den See treiben. Anton Kuball stand stocksteif. Die eine Hand bewegte mühsam das Ruder. Dann wankte das Boot, kippte, und Kuball fiel wie ein Sack ins Wasser.
Meta schrie laut. Aber niemand hörte sie. Sie ruderte auf den See, aber sie fand nur das treibende Boot. Sie fuhr zurück, stieg aus, saß still die ganze Nacht am Fenster. Sie sagte auch am anderen Tage nichts. Sie machte nur schließlich auf das Boot aufmerksam, das herrenlos trieb.
Drei Tage später fand man Kuball. Er war mit Stricken fest umschnürt. Die Mordkommission verhaftete acht Tagelöhner und mußte sie wieder laufen lassen. Meta sagte nichts. Sie atmete nur auf, als niemandem der Prozeß gemacht werden konnte. Sie hatte für ihren Anton wenigstens das christliche Begräbnis gerettet.
Mit großer Musik, Fahnen und vorangetragenem Ordenskissen wurde Anton Kuball zur letzten Ruhe geleitet. Arm in Arm mit Meta ging Frau von Maltrup hinter dem Sarg. Aber nur Meta durfte den Witwenschleier tragen.
Zwei Jahre lang blieb sie noch in Brückenau. Innig befreundet mit der Gutsherrin. Dann starben im gleichen Jahr Anton Kuballs Vater und dessen kümmerlicher Nachkomme, Lieschens Sohn. Meta Kuball zahlte Lieschen Ferdes eine Abfindung und zog als Herrin auf Anton Kuballs Erbe ein.
So kam das Bild der Moorprinzessin wieder an seinen Platz, und drunter hängte Meta das kleine Bildchen, auf das Anton in der Nacht nach seiner Konfirmation das rote, von drei Pfeilen durchbohrte Herz getuscht hatte. Das „Ich“, das Anton an einen der Pfeile kritzelte, war fast ausgelöscht. Meta hätte auch nicht wissen können, was es bedeutete und daß von dieser ersten Selbstanklage her eigentlich schicksalsstreng das Leben Anton Kuballs in den Freitod führte. Ja vielleicht war alles andere Leben, das voll Schuld und Verstrickung schien, nur Schnörkel, Ausdeutung und Umweg.
Unglaubhafter Lebenslauf einer Diebin
Am 22. Mai des Jahres 1901 macht die Probierdame Elli Ritter, eine stattliche Vertreterin der 46er Größe, mit ihrer Freundin Bischof einen Ausflug nach Werder bei Berlin.
Es versteht sich von selbst, daß dieser Blütensonntag verregnet. Ein heftiger Ostwind zerrt an den langen Röcken der Frauen, verbiegt die federgeschmückten Strohhüte, bläst die Regenschirme zu Tüten um.
In dem Fruchtweinlokal von Möstmann sind nur noch wenige Stühle frei. Unsere Damen setzen sich zu zwei blauhaarigen Südländern. Der eine schenkt Erdbeerwein ein, lacht Elli an und zeigt dabei ein blendend weißes, starkes Tiergebiß. Sprechen kann man nicht miteinander, aber der Lärm der Blechkapellen und der humorbeflissenen Berliner ist ohnehin so groß, daß man sich am besten im Tanz verständigt.
Um elf Uhr ist die Bischof mit ihrem Kavalier verschwunden. Kurz nach zwölf steht Fräulein Ritter in einem fremden Hotelzimmer vor dem Spiegel. Der Hut ist verrutscht, das Kostüm verregnet. Das Gesicht gedunsen und erstaunt.
Der Südländer betritt das Zimmer in einem lila seidenen Pyjama. Elli hat noch nie einen so bunt verkleideten Mann gesehen. Lachend und erschüttert zugleich wirft sie sich ihm an den Hals.
Am andern Morgen findet sie sich allein. Sie greift erschreckt nach ihrer Handtasche. Es sind fünfzig Mark mehr drin als am Abend vorher. Etwas verlegen fährt sie zur Arbeit. In der überfüllten Elektrischen schläft sie ein. Sie träumt von einem Maulwurf mit Menschengesicht. Spitzschnäuzig, samtfellig. Als sie am Hausvogteiplatz aussteigt, merkt sie, daß sie das Gesicht des Fremden vergessen hat.
Zwei Monate später stellt Elli Ritter fest, daß es vernünftiger ist, zu heiraten. Sie nimmt den Uhrmacher Willi Besser, einen kleinen rothaarigen Mann mit erstaunten Augen und träumerischen Bewegungen. Er ist ein Grübler und Bastler, der jede Erfindung mühsam noch mal erfindet und mit dem Welträtsel von Häckel unter dem Kopfkissen schläft. Sie nimmt ihn, weil er einen kleinen Laden in der Grünstraße hat. Er läßt sich von ihr zum Traualtar ziehen, weil er ihre Größe und Breite anziehend findet.
Vom ersten Tage an gibt es Streit. Besser verdient nicht genug. Elli will nach ihrer Verheiratung nicht arbeiten. Beide hatten es sich anders gedacht. Der kleine Tiftler findet die schnell fortschreitende Schwangerschaft unnatürlich. Er kauft sich geheimnisvolle Broschüren, die er nachts im Laden beim Schein der Straßenlaterne liest. Er läßt seine Frau untersuchen und begleitet den jungen Arzt heftig redend bis zum Spittelmarkt.
Am 25. Februar 1902 wird ein schwarzhaariges, bronzehäutiges Mädchen geboren. Willi Besser legt es in die Wiege und schaukelt es, bis es schreit, schaukelt weiter, weil es schreit. Er sieht sich im Spiegel sitzen, ein kleines, trauriges Männchen. Er würde gern bleiben. Hätte Elli nur was gesagt. Er kennt das Leben. Er ist kein Unmensch. Aber so?
Um drei Uhr steht er seufzend auf, packt im Laden seine paar Sachen und sein Handwerkszeug zusammen, legt einen Zettel auf Ellis Nachttisch, bindet dem Kind ein Beutelchen um den Hals, in dem ein Zwanzigmarkstück ist, und geht ab.
Elli ruft am andern Morgen ungeduldig. Die Nachbarin kommt. Die Frauen sehen den Zettel. Elli breitet das Dokument auseinander und liest feierlich: „Det jloobste alleene nich“.
Elli Besser ist zu füllig geworden, um noch „als Probierdame zu gehen“. Sie näht für Gwinner & Co. Mäntel. Die Nähmaschine rattert im Laden. Nebenbei läuft ein kleiner Handel mit Streichhölzern, Zigaretten und billigem Parfüm. Die Tochter Käthe wächst in diesem Laden auf. Ein paar Uhren hängen noch an den Wänden, unverkäufliche Stücke und solche, die in der Reparatur vergessen wurden. Dazu ein kleines Bild Bessers. Elli hat seinen Abschiedszettel druntergepappt, der langsam gilbt. „Det jloobste alleene nich“ ist das erste, was Käthe entziffert, als sie lesen lernt.
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