1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Als Gegenleistung arbeitete er Konzepte für die Sicherheit im Schlosshotel und in der Clubanlage aus. Und er hat die Einbrecher geschnappt, die im Laufe eines Jahres dreimal in den gut verschlossenen Caddieraum eingebrochen waren und dort eingelagerte Golfaufrüstungen gestohlen hatten. Und einem halben Dutzend Clubmitgliedern hatte er ihre vom Parkplatz verschwundenen Sport- und Geländewagen zurückgeholt – aus einer Diebes-Werkstatt in Krakau. Seither war der gestrauchelte Kriminal-Hauptkommissar Wolfram Witt wieder ein geachteter Mann im Club.
Auf unserer Runde lief es an diesem Tag für mich nicht so gut. Ich verzog die meisten Abschläge, und viele Putts liefen ein paar Zentimeter am Loch vorbei statt hinein. Wolfram spielte sicherer. Aber auch er hatte eine Schwächephase. Auf der 13. Bahn landete sein Ball vom Abschlag rechts neben dem gemähten Fairway, traf offenbar einen Stein und sprang und hoppelte in einem Naturbunker herum, wie die Golfer sagen – in einem naturbelassenen, sandigen und steinigen Gelände. Als wir den Ball suchten, konnten wir die alte Kiesgrube sehen, die noch aus der Zeit vor dem Weltkrieg stammte. Seither hatte sich dort ein ansehnliches Biotop entwickelt.
Wir gingen bis an die Abbruchkante. Das Bomberwrack war mit einer grünen, tennisplatzgroßen Plane abgedeckt worden. Rings um die kleine Tiefebene herum war ein rotweißes Absperrband gespannt, und alle paar Meter stand auf Schildern »Betreten verboten!«.
»Nach der Runde würde ich mir das ganz gerne mal aus der Nähe ansehen. Kommst du mit?«, fragte ich.
»Ja, klar. Ohne mich darfst du da sowieso nicht runter. In meiner neuen Eigenschaft als Sicherheitsbeauftragter des Clubs habe ich die Kiesgrube erst einmal auf unbestimmte Zeit sperren lassen.«
Wolfram gewann unser kleines Wettspiel. Nachher saßen wir im Schatten des Schlosses auf der Terrasse. Aus Solidarität mit meinem abstinenten Freund trank ich auch etwas Alkoholfreies: Jota, ein beliebtes Golfergetränk, halb Johannisbeersaft, halb Tonic.
Am Nebentisch floss schon Champagner. Natürlich. Denn das große Wort führte Laurenz Jansen junior, der Anlageberater mit der Steuerflucht-Adresse auf den Cayman Islands. Der protzte im Kreis seiner neureichen Klientel lauthals mit seiner neuen »Lange & Söhne«-Uhr.
Jansens Gerede wurde abrupt vom Lärm eines Hubschraubers übertönt, der über dem Schloss auftauchte. Es schien beinahe so, als wollte der Pilot mitten auf der Terrasse landen. Jedenfalls drohten die Sonnenschirme schon im Windwirbel der Rotoren umzukippen.
»Das ist ein Bell-Helikopter«, sagte Wolfram Witt. Er lief zu seinem Golfbag, holte einen kleinen Feldstecher und stellte die Schärfe ein.
»Ich glaube, es sind fünf oder sechs Leute an Bord. Wahrscheinlich die Experten, die das Bomberwrack untersuchen und nach Spuren der Besatzung suchen wollen.«
Tatsächlich ließ der Pilot die Maschine seitlich abkippen, flog eine scharfe Kurve und nahm Kurs auf die etwa vier- bis fünfhundert Meter entfernte Kiesgrube. Der Hubschrauber kreiste zweimal darüber, bevor er zur Landung ansetzte.
Wolfram holte ein Elektrocart mit dem Schriftzug »Marshall« an der Windschutzscheibe vom Betriebsgelände des Clubs, mit dem die Aufseher den Spielbetrieb auf dem Golfplatz überwachen. Vor uns rumpelte ein alter Landrover über die holprigen Spurrillen eines alten Sandweges zwischen dem Wald und dem Golfplatz. Auf dem Beifahrersitz saß unser Clubmanager Heinz Prahl.
Der Hubschrauber war auf einer sandigen Heidefläche gelandet, unweit der Stelle, an der Bagger die Erde aufgewühlt hatten. Der Landrover hielt kurz davor. Der Fahrer stieg aus. Ich kannte ihn vom Sehen und hätte ihn für einen Greenkeeper gehalten. Und im gewissen Sinne war er das auch, wie mir Wolfram erklärte.
»Das ist Eberhard Elvers, ein Jugendfreund von Malte von Mellin. Der Familie Elvers gehören riesige Länderein in der Gegend rings um Herrensee.«
Natürlich hatte ich die grün-weißen Schilder »Baumschulen Elvers« schon oft gesehen, die standen in dieser Gegend schließlich überall. Mit einem Unternehmen für Landschaftsgestaltung, so erzählte Wolfram weiter, hätten sich der alte Elvers und sein Sohn auf Golfplatzbau spezialisiert.
»Klar, die Firma hat auch den Auftrag für die Erweiterung des Clubs Herrensee gekriegt. Hier in der Kiesgrube soll die schönste Spielbahn des neuen Platzes entstehen: der Abschlag oben am Rand, ein Teich mit einem Bach-Zulauf davor, ein paar Bunker in der Mitte und das Grün am gegenüberliegenden Ende.«
Fünf Leute waren aus dem Hubschrauber geklettert. Vier Männer und eine Frau um die dreißig, mit sportlicher Figur. Sie band sich ihre zerzausten roten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie trug ein Jäckchen, enge Jeans und weiße Bootsschuhe. Zwei der Männer zogen Uniformjacken mit dem Emblem der U.S. Air Force aus und legten sie auf die Sitze des Helikopters. Die beiden anderen waren in Zivil.
Clubmanager Prahl ging vor uns auf die Gruppe zu. Soweit ich das verstehen konnte, stellte sich der Kleinste als Militärattaché vor. Er deutete auf die hinter ihm aufmarschierten Begleiter und nannte Namen und Funktionen. Die Rothaarige hielt sich ein wenig im Hintergrund.
Als Wolfram Witt und ich näher kamen, schienen sich die Besucher beim Clubmanager nach uns zu erkundigen. Der sagte etwas von Security. Er stellte Wolfram Witt als früheren Kripo-Kommissar vor und deutete auch in meine Richtung. Die Amerikaner akzeptierten unsere Anwesenheit. Ein junger Fotoreporter schien sie mehr zu irritieren. Der hatte sich am oberen Rand der Kiesgrube gegen einen mannshohen Findling gelehnt und eine Kamera mit großem Zoomobjektiv in Anschlag angebracht. Wirklich ein gutes Motiv, dachte ich: Der Hubschrauber, das Bomberwrack, davor die Amerikaner. Einer der Besucher wollte den Fotografen offenbar verscheuchen. Aber der Clubmanager beschwichtigte sie.
»Das ist ein junger Redakteur von der Lüneburger Lokalredaktion der Norddeutschen Post «, erklärte mir Wolfram Witt. »Joachim Lühning heißt er, ein cleverer Junge, schreibt und fotografiert. Der wird einen Tipp bekommen haben.«
»Die Bilder kann er gut weiterverkaufen«, sagte ich, »sogar an Zeitungen und Magazine in den USA.«
Während die Amerikaner eine Ortsbesichtigung abhielten, blickte Wolfram Witt scheinbar technisch interessiert in das Innere des Helikopters. Zwei Amerikaner versuchten vergeblich, ihn wegzudrängen.
»Die beiden Typen sind vom Geheimdienst der U.S. Air Force«, erklärte er nachher. Er habe auf ihren abgelegten Jacken die Wappen mit der Aufschrift der AIA, Air Intelligence Agency, gesehen.
Die Amerikaner betrachteten das Wrack des Cockpits aus allen Perspektiven. Einer fotografierte ständig. Sie verharrten eine Weile lang andächtig, wie zum Gebet. Dann ließen sie sich von Clubmanager Prahl erklären, wie das Wrack gefunden worden war. Prahl winkte einen Mann herbei, der in einiger Entfernung in der Kanzel eines großen Atlas-Baggers saß und rauchte.
Der Baggerführer erklärte, was passiert war. Sein Chef Eberhard Elvers sei geschäftlich verreist gewesen. Und als er mit seiner Arbeit schneller als geplant vorangekommen sei, habe er vergessen, dass er in diesem Bereich eigentlich nicht ohne Anweisung von Elvers arbeiten sollte. Prahl übersetzte das breite Plattdeutsch des Mannes für die Amerikaner:
»Ich wollte also einen Hügel planieren, der auf der Spielbahn gestört hätte. Nach kurzer Zeit gab es ein hässliches Geräusch. Die Schaufel kratzte gegen Metall und erwischte dann ein Stück graugrünes Blech. Ich dachte, das wäre ein altes Auto. Vielleicht ein Lastwagen aus dem letzten Krieg. Aber dann kam mir die Form doch komisch vor. Erst habe ich selber mit Schaufel und Spaten gegraben und dann ein paar Hilfsarbeiter dazugeholt ...«
Ja, dann sei bald klar geworden, dass der Bagger auf ein Kriegsflugzeug gestoßen war. Einen Ami-Bomber, denn das Wort »New York« sei ja noch ganz gut zu lesen. Was »Pride« bedeute, wussten die Arbeiter nicht. »Das heißt Stolz«, sagte der Manager. Er trat direkt an das zerborstene Cockpit heran. Wir folgten ihm. Es fehlten zwar ein paar Buchstaben, doch trotz der Schrammen und der rostigen Stellen war die handgemalte Schrift noch zu entziffern: »Pride of New York«.
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