Hellberg spürte ein starkes Unbehagen. Es war ihm vollkommen klar, dass er nicht wirklich eine Wahl hatte. Was würde passieren, wenn er sich weigerte? Er wagte nicht, an die Konsequenzen zu denken. Er konnte es sich nicht leisten, sich aufzulehnen, trotz seines ganzen Lebens in der Bankwelt. Vor ein paar Jahren hatte er seine Ersparnisse durch eine fatale Fehlinvestition verloren. Und er war überzeugt, dass Waldenström davon wusste.
„Sie können sich auf mich verlassen, Lennart“, sagte er. Wenn sie allein waren, ließ sein Chef es immer zu, dass man ihn beim Vornamen nannte.
Waldenström blieb stehen und versuchte einen Zigarillo anzuzünden. Er hatte Schwierigkeiten, gleichzeitig den Regenschirm zu halten. Hellberg streckte eine helfende Hand aus und hielt den Stock, während Lennart den Zigarillo anzündete.
„Danke“, sagte er und blies einen blauen Kringel in die Luft. „Haben Sie darüber nachgedacht, sich zurückzuziehen?“
Erik Hellberg spürte den Boden unter sich schwanken. Er lächelte unsicher.
„Erst in ein paar Jahren. Es ist ja auch eine Frage der ökonomischen Voraussetzungen.“
„Genau. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mitmachen, Erik. Das kann sich sehr für Sie lohnen. Sie werden dafür reich entlohnt.“
Lennart Waldenström bot Hellberg eine große Landfläche in Argentinien sowie eine Geldsumme an, die er niemals auf normale Weise selbst erwirtschaften konnte. Die Voraussetzung war, dass Erik den Konzern verließ und nach Argentinien auswanderte.
Hellberg schwindelte. Der Vorschlag klang unglaublich verlockend. Das einzige Problem war, dass seine Frau immer öfter darüber sprach, wieder nach Schweden zurückzuziehen. Sie hatte eine Schwester in Vetlanda. Ansonsten hatten sie keine Angehörigen mehr. Ihre eigene Tochter hatte vor mehr als zehn Jahren einen tödlichen Autounfall auf einer deutschen Autobahn gehabt. Ihre eigenen Eltern waren tot.
Die zwei Männer gelangten an den London Zoo. Dort drehten sie um und gingen wieder durch den Park zurück. Da hatte Hellberg bereits eine Lösung für das Problemchen gefunden, wie er seine Frau würde überreden können, nach Argentinien zu ziehen. Er hatte Waldenströms Vorschlag angenommen und dieser legte ihm nun den Auftrag dar.
Waldenström erzählte vom Uhrmacher in der Bahnhofstrasse 14 in Zürich und von dem Kontakt, der über ihn entstehen sollte. Er übergab Hellberg einen Umschlag. Der Umschlag enthielt zwei weitere: einen mit Geld für Hellbergs Ausgaben im Zusammenhang mit dem Auftrag und einen, den er dem Kontakt persönlich geben sollte. Hellberg sollte herausfinden, wie viel Geld er wollte und wie die Bezahlung vonstattengehen sollte. Wenn irgendetwas schief ging, sollte der Brief unverzüglich zerstört werden.
Waldenström insistierte, dass er größte Vorsicht walten lassen sollte, vielleicht wäre es gut, ein wenig Verwirrung zu stiften, dann wäre es schwieriger, die Spuren zu einem von ihnen zurückzuverfolgen, sollte es zum Schlimmsten kommen. Was das Schlimmste war, traute sich Hellberg nicht auszumalen, aber so, wie Waldenström sich ausdrückte, ging es darum, einer wichtigen, hohen Person in Schweden das Leben zu nehmen – und dass er den Kontakt mit dem Mörder aufnehmen sollte.
„Es darf keinerlei Verbindung zu mir geben. Sie sind dafür verantwortlich!“, sagte Waldenström und sah ihm in die Augen. „Ich werde jede Kenntnis leugnen.“
Hellberg nickte.
„Woher weiß ich, dass es der richtige Mann ist?“
„Er reagiert auf die Losung: ‚Let’s talk about roses‘ – lass uns über Rosen sprechen“, sagte Waldenström mit einem nach innen gekehrten Lächeln.
Hellberg hatte Angst, aber er hatte keine Wahl. In der nächsten Zeit würde er oft Trost in dem Gedanken an eine wirtschaftlich unabhängige Zukunft in Lateinamerika suchen.
Der Uhrmacher kam aus einem Hinterzimmer in den Laden, als die Türglocke klingelte. Er sah aus wie die Parodie eines alten Uhrmachers, mit Brillengläsern wie Flaschenböden, die seine Augen doppelt so groß aussehen ließen. Er hatte einen leichten Buckel vom ständigen Beugen über kleine Zahnräder. Mit seinen karierten Filzpantoffeln schlurfte er zum Tresen und lächelte Hellberg freundlich an, der sich nervös im Laden umsah. Der Laden war winzig und wirkte fast klaustrophobisch. Die Wände, die mit unzähligen tickenden antiken Uhren vollhingen, waren in Zigarrenduft getränkt.
„Guten Tag. Vielleicht können Sie mir helfen“, begann Hellberg. „Ich suche eine Uhr … eine besondere Uhr … das Modell heißt ‚Clockwork tide‘.“
„‘Clockwork tide‘? Ist das eine englische Uhr?“, fragte der Uhrmacher, ohne weiter zu reagieren. „Sind Sie sicher, dass die Uhr so hieß?“
Hellberg war verunsichert. War er am falschen Ort? Kurzzeitig bekam er Panik. Die Angst vor allen möglichen Konsequenzen durchzog ihn.
„Vielleicht haben Sie eine Empfehlung?“, hörte er den Uhrmacher fragen.
Er sammelte sich. Wovor hatte er Angst? Er hatte nichts Verdächtiges getan. Er war in einen Laden gegangen und hatte nach einer Uhr gefragt, von der er zufällig gehört hatte. Er räusperte sich und schluckte.
„Ja“, sagte er. „Ein Freund, der Tiefseetaucher ist, hat sie empfohlen.“
Der Uhrmacher nickte schweigend.
„Ja, dann kann ich Ihnen vielleicht helfen, aber das kann so eine Woche dauern … ehe ich die Lieferung bestätigen kann … und ich habe Kosten dabei …“
„Ja, natürlich … wie viel?“
Der Mann zögerte einen Augenblick, rechnete im Kopf und sagte dann schnell:
„Fünftausend Dollar.“
Ohne auf die Höhe der Summe zu reagieren, zog Hellberg eilig seine Brieftasche hervor und zählte die Scheine auf den Tresen.
„Bitte schön.“
„Und wie erreicht man Sie?“ Der Mann nahm das Geld und steckte es in seine Hosentasche.
„Ich möchte den …“ Hellberg hielt inne und suchte das richtige Wort. Lieferant? „Ich würde den Lieferanten gern persönlich treffen. Muss das hier in Zürich sein?“
Der Uhrmacher schüttelte langsam den Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Wo hätten Sie das Treffen gern?“
„Mallorca? Wäre Mallorca gut? Ich kann den Flug dorthin bezahlen.“
Der Mann sah ihn forschend an.
„Das ist nicht nötig“, sagte er.
„Ich habe eine Telefonnummer“, fuhr Hellberg enthusiastisch fort und holte einen Zettel mit einer Telefonnummer hervor, die er den Uhrmacher abschreiben ließ.
Ray Lambert hatte gerade geduscht, sich rasiert und einen Kamm durch die schwarzen Haare gezogen, die er inzwischen ohne Scheitel nach hinten kämmte. Er stand in dem dicken, gelben Frotteebademantel da und betrachtete sein Aussehen im Spiegel. Er hatte Falten am Hals und um die Augen bekommen. Die olivfarbene Haut hatte er von seinem Vater geerbt. Auch die braunen Augen, aber die große Nase kam von seiner irischen Mutter.
Er wusste, dass er trotz seines Alters gut aussah. Er hatte einen gewissen Ankratz bei den Frauen. Dennoch spielten Frauen eine untergeordnete Rolle in seinem Leben. Zufällige Verbindungen hatte er reichlich gehabt – oft mit Prostituierten. Aber seine Arbeit machte es schwierig, sich in einer festen Beziehung zu binden.
Vielleicht ging es ihm allein auch einfach besser. Jetzt hatte er jedenfalls die Grenze im Leben überschritten, wo er sich noch an einen anderen Menschen hätte anpassen können. Er hatte sein Leben aufs Alleinsein ausgerichtet und konnte sich nicht vorstellen, seine Umkreise stören zu lassen.
Als junger Kadett in Quebec war er einmal verheiratet gewesen. Eine kurze, stürmische Ehe, die anderthalb Jahre andauerte und eine Tochter hervorbrachte. Susan hatte ihn verlassen und war mit dem Kind nach Queens zurückgekehrt. Seitdem hatte er weder sie noch seine Tochter wiedergesehen, aber er wusste, dass Susan kurz nach der Scheidung einen Mann geheiratet hatte, der Aluminiumfassaden verkaufte. Der Mann hatte die Tochter adoptiert.
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