John W. Grow
Der Vertrag - Der Mord an Olof Palme
Übersetzt
Gesa Füßle
Saga
Der Vertrag - Der Mord an Olof Palme Übersetzt Gesa Füßle Original Kontraktet: mordet på en statsminister Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1997, 2020 John W. Grow und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726749564
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Let’s talk about roses …
Der Mann, der sich Ray Lambert nannte, wachte bereits beim ersten grauen Dämmerlicht auf. Er war schon immer ein Morgenmensch gewesen. Dass er heute einen Menschen töten würde, machte da keinen Unterschied.
Er blieb im Bett liegen und beobachtete, wie das schwache Licht, das durch den Spalt zwischen den Gardinen fiel, die unscharfen Konturen des Hotelzimmers langsam deutlicher erscheinen ließ. Im Laufe der Jahre hatte sein Schlafbedarf abgenommen und er wachte immer früher auf. Das zeigt, dass ich älter werde, dachte er. Es war Zeit aufzuhören, sich zurückzuziehen. Aber der finanzielle Aspekt hinderte ihn daran.
Er reckte sich und stand auf. Ging zum Fenster und zog die Gardinen auf. Als er das Fenster öffnete, schlug ihm die noch nachtkalte Luft entgegen. Mit ihr drangen die Geräusche der erwachenden Stadt ins Zimmer. Unten fuhr eine Straßenreinigung mit rotierenden Bürsten vorbei und ein einsamer Wanderer sprang zur Seite, um den Wasserfontänen auszuweichen, die den Gehweg überspülten. Aus der anderen Richtung kam ein Taxi mit ausgeschaltetem Taxischild. Noch herrschte die Nacht, aber der Himmel war rosa und die Straßenlaternen bereits erloschen.
Ray zündete sich die erste Zigarette des Tages an, aber dann bekam er einen Hustenanfall und warf die Zigarette nach nur ein paar Zügen in den Aschenbecher. Er sollte wirklich aufhören zu rauchen. Seine Kondition war grundsätzlich zwar gut, aber obwohl er fast täglich trainierte und sich in Form hielt, hatte er im letzten Jahr eine gewisse körperliche Trägheit empfunden. Er wurde schneller müde. Das Alter, dachte er, aber niemand, der ihn sah, würde glauben, dass er gerade dreiundfünfzig geworden war. Seine Haare wurden oben am Kopf dünner und auch etwas grau, aber für diesen Auftrag hatte er sie haselnussbraun gefärbt. Die feinen Linien um seine Augen verliehen ihm Charakter, fand er, aber er war nicht mehr jung, er sollte seine Zukunft planen.
Die afrikanische Morgendämmerung war kurz, aber es würde noch eine Weile dauern, bis die Sonne über den Berg kam.
Nelson Luwamba atmete tief ein und füllte seine Lungen mit der kühlen, feuchten Morgenluft. Der Sauerstoff machte ihn hellwach. Es fühlte sich an, als würde sein junges Blut kochen. Er fühlte sich stark. Er mochte diese Tageszeit am meisten, ehe die Hitze sich wie ein Deckel über alles und alle legte. Oft war er um diese Zeit wach. Aber heute war es anders. Sein Wecker hatte mitten in der Nacht geklingelt, damit er alles schaffen würde. Jetzt war er bereit und fühlte sich fast feierlich.
Die Limousine, ein blauer Chevrolet, war vorgefahren. Den Lappen, mit dem er den verchromten Kühlergrill geputzt hatte, verwendete er jetzt für seine schwarzen Schuhe. Der rote Staub würde da draußen schnell den Glanz zerstören, aber in der Stadt ist es anders, dachte er. Es war wichtig, einen weltmännischen Eindruck zu machen. Er schnipste ein Staubkorn vom Ärmel seines dunkelblauen Anzugs und richtete seinen Krawattenknoten.
In der Ferne hatte die Sonne begonnen, über den Berggipfel zu klettern, als Nelsons Vater auf die Veranda trat. Schnell steckte Nelson das schmutzige Tuch in die Tasche und eilte zum Auto. Ehrfürchtig hielt er die Tür auf. Ernst und fast wie ein Soldat stand er da. Sein Vater grüßte ihn mit einer spielerischen Verbeugung, als er auf dem Rücksitz Platz nahm. Er lächelte amüsiert und wohlwollend über die feierliche Ernsthaftigkeit seines Sohnes.
Der blaue Chevrolet rollte weich durch die Landschaft. Die Räder rotierten über den Asphalt. Der Motor war kaum zu hören. Niemals hätte Nelson es sich träumen lassen, dass er so bald hinter dem Lenkrad von etwas anderem als einem Schrotthaufen sitzen würde. Nicht genug damit, dass er alle Prüfungen und seinen Führerschein bestanden hatte, er hatte auch sofort einen Job bekommen, einen Traumjob, den sein Vater ihm besorgt hatte. Die Zukunft sah wirklich rosig aus.
Sie passierten Trauben von Menschen auf Fahrrädern und zu Fuß, die auf dem Weg zur Arbeit in der Stadt waren. An den Straßenrändern warteten zahlreiche frühe Busse.
Gleich würden die ersten Bruchbuden am Rande von Soweto auftauchen.
Nelson hätte gern das Radio angestellt, aber auf dem Rücksitz saß sein Vater und sah einen Stapel Papiere durch, wobei er nicht gestört werden wollte. Die Hitze des Tages wurde langsam spürbar und Nelson stellte die Klimaanlage an. Er genoss den Luxus. Ein kleines Lächeln wurde auf seinen Lippen sichtbar, als er sich vorstellte, welche Möglichkeiten ihm offenstanden. Traute er sich zu fragen, ob er das Auto leihen und mit ihm schon heute Abend eine Tour in die Stadt machen dürfte? Ein wohliger Schauer durchfuhr ihn. Er war so tief in seinen Gedanken, dass er es zunächst gar nicht wahrnahm, als sein Vater ihn von hinten ansprach:
„Nelson, ich treffe in zwei Stunden einen Minister in der Stadt. Du wirst warten und mich hinfahren und nach dem Treffen wieder zurück.“
Nelson nickte. Er dachte sich, dass es wohl besser wäre, seinen Vater erst auf dem Rückweg am Abend zu fragen.
Johannesburg erwachte in einem heißen, stickigen Dunst von Autoabgasen. Der Verkehr floss träge und ohrenbetäubend dahin. Die Gehwege wimmelten von Tausenden von Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Die überfüllten Busse spuckten alle Viertelstunde eine neue Ladung schläfriger Lohnsklaven aus.
Die Läden waren bereits offen. Ray Lambert hielt an einem Tabakladen an. Ein älterer schwarzer Mann hatte gerade die Flugblätter der Zeitungen aufgehängt und Ray folgte ihm in den vollgestopften kleinen Laden. Der Inhaber, ein dicker Orientale mit blumigem Oberhemd, war gerade dabei, eingeschweißte Bündel mit amerikanischen Zeitschriften aufzureißen.
„Eine Schachtel Marlboro.“
„Normal oder Lights?“, fragte der Tabakhändler und legte das Messer beiseite. Er ging um den Tresen herum und streckte sich nach dem Regal dahinter.
„Normal – nein, lieber Lights“, entschied Ray sich um.
Der Tabakhändler holte die letzte Schachtel der begehrten Marke aus dem Regal. Er wandte sich um und rief über die Schulter in die hinteren Regionen des Ladens seiner Aushilfe zu, sie solle verdammt noch mal ihren trägen Arsch bewegen und endlich das tun, was er ihr aufgetragen hatte, nämlich das Regal auffüllen, wenn es leer war.
„Die glauben, sie bekommen ihren Lohn, ohne was dafür zu tun. Man muss ihnen alles dreimal sagen!“, grinste der Mann verbittert. Er schob Ray die Zigarettenschachtel rüber.
Ray gab ihm einen Schein und bekam sein Wechselgeld.
„Heute wird es heiß“, sagte der Tabakhändler und wischte sich mit dem Handrücken die Stirn ab, die bereits vom Schweiß glänzte. Ray nickte und verließ den Laden.
Er ging weiter die Straße entlang. Mit seinem schwarzen Dokumentenkoffer in der Hand und dem eleganten hellen Baumwollanzug sah er aus wie ein ganz normaler Angestellter auf dem Weg ins Büro. Genau das war sein Anliegen. Er wollte nicht auffallen, durfte niemand sein, an den man sich erinnerte. Einer von vielen.
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