Ellen saß so nah an ihm dran, dass er ihre Körperwärme spürte. Die betörenden Duftwolken von ihrem Parfüm machten ihn schwindlig.
In der Woche darauf war Jack wie berauscht. Er konnte die Frau nicht aus dem Kopf bekommen. Seine Mitarbeiter glaubten, dass er eine Grippe ausbrütete und legten ihm nahe, frei zu nehmen und sich zu Hause hinzulegen.
Am folgenden Sonntag ging Jack wie gewöhnlich zur Messe. Zu seiner großen Freude sah er Ellen dort. Sie erkannte ihn sofort wieder und nickte ihm freundlich zu, als er auf dem Weg zu seiner Bank im vorderen Teil der Kirche an ihr vorbeiging.
Auch diesmal konnte er sich nicht auf Pastor Fullers Betrachtungen konzentrieren. Ellen saß im allgemeinen Teil der Kirche. Ständig drehte er den Kopf und sah zu ihrem Platz. Wann immer sie seinen Blick traf, lächelte sie.
Meine Güte, ist sie hübsch, dachte er, und entdeckte zu seiner Verwunderung zum ersten Mal in seinem Leben, dass auch mittelalte Menschen schön sein können.
Jack hatte Glück. Er hatte hinterher noch etwas vor der Kirche rumgehangen und mit Ralph Miller gesprochen, obwohl es schneite und es kalt auf der Straße war. Ralph hatte das neue Budget für die Gemeindehausrenovierung besprechen wollen und Jack hatte interessiert zugehört. Ellen war nach dem Gottesdienst ebenfalls dageblieben, um sich Pastor Fuller und seiner Frau vorzustellen.
Als Jack sich von Ralph verabschiedete und sein Auto aufschloss, kam Ellen aus der Kirche. Er sah sie auf der glatten Treppe ausrutschen und hinfallen.
Jack reagierte blitzschnell und rannte zu ihr, um ihr aufzuhelfen. Sie konnte kaum auf ihren Fuß auftreten und er bot ihr sofort an, sie zu fahren. Er erfuhr, dass Ellen unverheiratet war und als Lehrerin arbeitete. Eine Woche später lud er sie in ein kleines italienisches Restaurant ein.
Es zeigte sich, dass Ellen sehr gläubig war. Ihr Mangel an Respekt für seine Position faszinierte ihn. Es war ihr komplett egal, dass er steinreich war. Sie interessierte sich vielmehr für ihn als Person – und für seine Kinder. Jack verfiel ihr haltlos.
Drei Monate später machte er ihr einen Antrag und sie sagte ja.
Jacks Religiosität war echt. Für ihn war das Treffen mit Ellen ein Zeichen des Herrn. Er spürte ein inneres Glühen, das er noch nie zuvor gekannt hatte. Sein neuer Zustand beeinflusste alles, was er tat, auch die Arbeit. Nicht so sehr, dass er seine oft ziemlich brüsken Geschäftsmethoden änderte, aber es schien, dass jetzt alles eine neue, fast heilige Bedeutung bekam. Er hatte eine christliche Pflicht.
Etwa eine Woche später wurde Lennart mitten in der Nacht von einem Anruf von Jack geweckt, der nicht an den Zeitunterschied gedacht hatte. Es gab diverse Dinge, die er besprechen wollte, und zwar so schnell wie möglich. Ob Lennart vielleicht nach New York kommen könnte? Ja, das konnte er.
Die beiden Männer hatten sich zwei Tage lang intensiv bei Jack zu Hause unterhalten. Lennart hatte zum ersten Mal Jacks neue Frau Ellen getroffen. Sie war tief gläubig und vor dem Essen wurde gebetet. Sie war die vierte Ehefrau und hatte Jack verändert, wie Lennart auffiel. Jack hatte eine neue Einstellung zur Welt. Am ersten Tag war alles noch recht formell gewesen und sie hatten sich über ein paar Vorstandsberichte von einer von Jacks Firmen unterhalten. Jack wollte Lennart in einem weiteren Vorstand haben, aber Lennart hatte dankend abgelehnt. Stattdessen hatte er selbst ein paar schnittige Ideen vorgeschlagen, die er in die Welt entlassen wollte.
Am zweiten Tag ging es um Jacks Grübeleien. Lennart war klar, dass sie der Hauptgrund waren, warum Jack ihn hatte treffen wollen. Geduldig hatte er seinem alten Freund zugehört, als er sich ausließ über seine Zukunftsangst, die Ausbreitung des Bösen und darüber, wie die Leader der Welt die Gefahren ignorierten, weil sie diplomatisch und politisch handeln mussten.
Im Großen und Ganzen teilte Lennart die Ängste seines Freundes, aber er stimmte ihm nicht zu, dass die Hauptursache im fehlenden Glauben an Gott lag. Ebenso wenig sah er sich als Werkzeug in Gottes Hand.
Lennart Waldenström war die neue Religiosität von Jack fremd. Er erkannte seinen Freund aus Kindertagen kaum wieder. Zwar war Jack immer konservativ gewesen, aber damals, während des Kalten Krieges, hatten sie gemeinsam über die paranoiden Übertreibungen der McCarthy-Ära lachen können. Jetzt hatte sich Jacks Konservatismus zu einem in der Öffentlichkeit fast lästigen Kommunistenhass ausgewachsen.
Lennart hatte ein Ticket für einen SAS Jumbo Richtung Stockholm-Arlanda gebucht und Jack wollte mit seiner privaten Boeing 747 auf Geschäftsreise nach Panama. Mit ihnen im Auto saß ein Mann, dessen Aufgabe Lennart nicht ganz klar war. Als er sich als Mr Norris vorstellte, hatte er geglaubt, dass er ein Geschäftsführer in einer von Jacks vielen Firmen war, aber dann hatte er herausgehört, dass er offenbar für die Regierung arbeitete. Dieser fast zwei Meter große Mann, der immer so aussah, als würde er lächeln, würde mit Jack nach Panama reisen. Er saß neben dem Fahrer und beteiligte sich nicht an der Unterhaltung auf der Rückbank.
„Dieser Kommunist schubst uns schon seit Vietnam nur herum!“, sagte Jack. Sein Gesicht hatte eine leicht pinke Färbung angenommen und die von der Brille vergrößerten Augen fixierten Lennart. „Ich mache mir seinetwegen Sorgen. Es heißt, dass er die nächste Wahl verlieren wird. Dann will man ihn in die UN holen. Viele wollen ihn dort haben. Das ist nicht gut. Viele machen sich Sorgen, ja, haben regelrecht Angst, Lenny.“
„Ich weiß“, sagte Lennart. „Zu Hause hält man auch nicht viel von ihm. Alle wollen ihn loswerden. Vielleicht verschwindet er mit der nächsten Wahl und dann bekommen wir sicher eine firmenfreundlichere Regierung, aber – und das ist das Hauptproblem – sie wird schwächer sein. Die Kurse werden fallen. Und am Tag drauf findet er sich sicher in der internationalen Arena wieder, wie du auch meinst.“
„Das wäre eine Katastrophe. Ich hoffe, du verstehst, wie ernst wir das nehmen – unsere Interessen in Südamerika werden darunter leiden. Und unsere Geschäfte, Lenny. Die Geschäftsbeziehungen zwischen den USA und Schweden werden leiden. Sprich mit deinen Leuten. Was sagen die? Ihr sollt wissen, dass wir hinter euch stehen. Wir stehen euch so lange wie möglich zur Seite. Wir … du musst versuchen, eine Lösung zu finden!“
Jack verstummte und trommelte mit den Fingern auf der Autotür herum.
Lennart lehnte sich gedankenverloren in den geräumigen Rücksitz der Limousine zurück und zündete sich einen Zigarillo an. Durchs Fenster sah er, dass sie das Zentrum hinter sich gelassen hatten und sich auf dem Highway befanden.
„Ich habe keine Ahnung, wie ausgerechnet ich eine Lösung finden soll“, sagte Lennart schließlich.
„Ich wünschte, du hättest so viel Gottvertrauen wie ich. Dann könntest du deinen Kummer in Gottes Hände legen.“
Jack lehnte sich vor und klopfte ihm leicht auf den Arm. Er lächelte mild. Die blauen Augen hinter den absurd vergrößernden Gläsern sahen ihn treu an. In dem Moment konnte Lennart nicht sagen, ob Jack nur so tat oder ob es ihm ernst war.
„Du stehst mir näher als meine Schwester, Lenny“, sagte Jack feierlich. „Wir beide haben so viel zusammen erlebt. Wir müssen auf unsere Freundschaft achtgeben.“
Lennart Waldenström verabschiedete sich am Eingang. Pallon würde mit dem Auto zum Privatterminal weiterfahren.
„Ich hoffe, du bist mit meinen Vorstandsleuten zufrieden“, sagte Lennart.
„Davon bin ich überzeugt“, sagte Jack. „Grüße an Anna-Lisa! Ach, und Lenny – das, worüber wir gesprochen haben … ruf mich an und erzähl mir, wie es läuft. Lass mich wissen, was für eine Lösung du findest.“
„Klar“, antwortete Lennart. Er war sich überhaupt nicht darüber im Klaren, welche Lösung von ihm erwartet wurde, aber er würde wie versprochen mit seinen Freunden sprechen. Er beugte sich zu dem dunkelblauen Samsonite-Koffer herunter, den der Chauffeur ihm vor die Füße gestellt hatte, aber Bertram Norris kam ihm zuvor:
Читать дальше