Der treue Diener Evert Jakobsson spazierte durch den Park zum Bootshaus. Der Himmel über der Stadt in der Ferne war hell, aber hier draußen glitzerten die Sterne auf dem samtschwarzen Winterhimmel. Die Dunkelheit umgab ihn vollkommen, da kein Schnee auf dem Boden lag. Ich sollte die Beleuchtung anmachen, dachte er. Das mache ich, wenn ich zum Haus zurückkomme.
Auf dem Steg zündete er sich eine Pfeife an. Er sah zum Haus hoch, wo die Veranda wie die Kommandobrücke eines Schiffs in der Dunkelheit leuchtete. Drinnen sah es warm und gemütlich aus. Durch das Fenster sah er, wie der alte Oberst eine Dankesrede hielt und alle auf die Gastgeberin anstießen. Eingeschlossen in eine Glaskuppel.
Wie ein Aquarium, dachte er.
Nach dem Essen zogen sich die fünf Herren in die Bibliothek zurück, um Zigarre zu rauchen und Cognac zu trinken. Eine alte, konservative Sitte, die man gern pflegte. Als die Frauen bereits anfingen, die letzten Neuigkeiten über ihre Kinder und Enkelkinder zu erzählen, schloss Lennart Waldenström die Tür zur Bibliothek. Er hatte bereits angekündigt, dass er sich nach dem Essen eine Zusammenkunft wünschte. Nein, Zusammenkunft war zu viel gesagt, eher ein gemeinsames Gespräch. Er wollte über ein Problem sprechen.
Als er die Türen geschlossen hatte, sahen ihn alle fragend an. Er sah in ihre Augen und dachte für einen Moment, dass er vielleicht voreilig gewesen war.
„Ich möchte über ein Problem sprechen, das uns alle betrifft“, hub er an. „Ich habe neulich mit Vilhelm gesprochen, und … ja, du kannst ja vielleicht selber erzählen, was du über die Pläne der Regierung gehört hast, Vilhelm.“
Lennart setzte sich zu den anderen an den Rauchertisch und hob sein Cognacglas, während Vilhelm Sundberg darlegte, was er im Flugzeug nach Kopenhagen gehört hatte.
Er hatte zufällig neben Göran Jonsson gesessen, dem Staatssekretär vom Finanzministerium. Dieser hatte erzählt, dass die Regierung Pläne hatte, die private Rentenversicherung zu besteuern. Jedenfalls war das im Gespräch. Außerdem gab es ernste Überlegungen, dass Bankenwesen zum Teil zu verstaatlichen. Halbprivat, hieß es.
„Laut Göran Jonsson ist dies ein Vorschlag vom Staatsminister selber“, sagte Vilhelm. „Mehreren in der Regierung gefällt der Gedanke. In einem Monat wollen sie die Frage ernsthaft aufnehmen. Der Staatsminister hat offenbar schon einen seiner engsten Mitarbeiter damit beauftragt, die Eckdaten zusammenzutragen.“
„Der Mann wird uns ruinieren“, sagte Erik Dritz aufgebracht. „Er ist eine Gefahr für die ganze Nation!“
„Wenn er gegen die Banken loszieht, ist hier Krieg!“
Die Stimmung um den Tisch war erregt. Die sonst so beherrschten Männer unterbrachen sich gegenseitig. Lennart sah ihnen gedankenverloren zu und schnitt mit einem Taschenmesser die Spitze einer Zigarre ab.
„Es hängt an uns“, sagte er schließlich.
Die anderen vier verstummten und sahen ihn fragend an. Lennart zündete sich sorgfältig seine Zigarre an. Nachdenklich nahm er einen Schluck aus dem Cognacschwenker und ließ das weiche Getränk durch seinen Mund rollen, ehe er fortfuhr:
„Wir müssen uns fragen, wie wir seinen Weitergang aufhalten können. Es geht nicht nur um uns. Er ist auch ein internationales Problem, das muss uns klar sein. Auch im Ausland ist man besorgt. Wir haben eine Verantwortung. Wir müssen handeln.“
Die Männer sahen sich über den Tisch an. Sie unterstützten ja bereits mit ansehnlichen Beträgen Kräfte, die unter normalen Umständen einen Regierungswechsel zustande bringen könnten. Was sollte man noch tun?
„Hat er keine Schwächen?“, fragte Bo-Erik Svanström. „Gibt es kein Chappaquiddick, oder wie das heißt, das einen echten Skandal in Gang setzen kann und ihn vom Schemel stößt?
„Ja, das fragt man sich. Warum finden die Zeitungen nichts?“, murmelte der alte Oberst. „Der Typ ist ja wohl kein Heiliger? Die Reporter finden doch sonst überall irgendeinen Mist. Aber ihm halten sie den Rücken frei.“
In der folgenden halben Stunde diskutierten die fünf Männer über das Problem. Sie brachten einen unrealistischen Vorschlag nach dem anderen hervor und waren frustriert, dass sich mit Geld nicht alles kaufen ließ. Sie kamen nicht einmal in die Nähe einer Lösung.
Lennart Waldenström blieb bei der Diskussion merkwürdig passiv, obwohl er sie ausgelöst hatte. Mehr und mehr sah er ein, dass die endgültige Lösung des Problems nie besprochen werden würde. Und er war sich im Klaren darüber, dass er diese Verantwortung nicht teilen konnte. Es war ein Fehler gewesen, die Sache seinen Freunden gegenüber anzusprechen.
Er war fast erleichtert, als ihr Treffen durch Anna-Lisa unterbrochen wurde, die ihren Kopf durch die Tür steckte und mitteilte, dass sie nun Bridge spielen wollten.
Um elf Uhr am Abend gingen die letzten Gäste. Eine Viertelstunde später verließen die Gastgeber das Haus und begaben sich nach Hause in ihre Stadtwohnung. Lennart Waldenström hatte früh am nächsten Morgen ein Meeting und es wäre unpraktisch gewesen, im Haus zu übernachten.
Gegen Mitternacht war das Geschirr gewaschen und weggeräumt, und die Küche glänzte so sauber wie zuvor. Ebba Johansson und Kjell Ekberg sagten Evert Jakobsson gute Nacht. Er machte hinter ihnen das Licht aus und stellte den Alarm an, ehe er in seine Wohnung ging.
Lennart Waldenström konnte nicht schlafen. Er dachte an die Zukunft. An seine Kinder. Nur zwei seiner sieben Kinder arbeiteten im Konzern. Die anderen fünf hatten sich so weit wie es nur ging von der Bank- und Handelswelt entfernt. Es ist ironisch, dachte er, dass ich ein Kind habe, das Journalist ist, eins Vorschullehrer, eins, das Rockmusikerin werden will und zwei, die Medizin studieren. Gewiss war ihre Zukunft gesichert. Sie hatten alle große Privatvermögen, die er in sicheren Wertpapieren angelegt hatte. Aber dann? Die nächste Generation und die danach?
Er dachte an seinen Freund Jack Pallon, der ihn immer öfter anrief. Das letzte Mal vor einer Woche. Diesmal war es um eine Rede gegangen, die der schwedische Staatsminister vor der UN-Generalversammlung gehalten hatte. Sein Freund war außer sich gewesen.
Jacks Unruhe war gerechtfertigt, daran bestand kein Zweifel. Und er wusste, was sein Freund von ihm erwartete. Jack hätte niemals gezögert, das war sicher. Für Jack wäre das ein heiliger Krieg gegen das Böse. Eine gerechtfertigte Sache. Er erinnerte sich, wie sein Freund davon erzählt hatte, dass er erfolgreich Feinde aus dem Weg geschafft hatte, die seine Existenz in Südamerika bedroht hatten.
„Es geht ums Überleben, Lenny. Entweder die oder wir“, hatte er gesagt.
Lennart Waldenström fasste in dieser Nacht einen endgültigen Beschluss. Das Abendessen hatte ihn davon überzeugt, dass es seine Verantwortung war. Allein.
Es würde sehr viel Geld kosten. Geld, das er vielleicht verlieren würde. Aber so setzte er nur das eigene Geld aufs Spiel, nicht das von anderen. Der Gedanke fühlte sich gut an.
Der große Elchbulle kam hinten am Waldrand aus dem Nebel. Ein kurzes Zögern am Zaun, dann schritt er majestätisch direkt vor ihm über die Wiese.
Roger Nyman hielt den Atem an. Er saß auf dem Axtblock vor der Scheune. Wenn er sich nicht bewegte, bestand die Möglichkeit, dass er mit dem Holzstapel hinter seinem Rücken verschmelzen würde und der Elch ihn nicht entdeckte. Es war fast windstill, aber Roger spürte einen schwachen Hauch von Norden. Der Wind kam ihm entgegen, der Elch konnte seine Witterung nicht aufnehmen.
So nah war er einem lebenden Elch noch nie gewesen. Er griff nach dem Gewehrkolben. Typisch, dachte er. Fünf Elchjagden hintereinander, ohne überhaupt einen Elch zu sehen. Es waren immer die anderen im Jagdteam, die die zugeteilten Tiere schossen. Und nun saß er allein hier, zur falschen Zeit und mit dem falschen Gewehr und durfte nicht schießen. Das Gesetz ließ keine Elchjagd im Februar zu – und wenn doch, was sollte er dann mit einer für die Hasenjagd gedachten Schrotflinte ausrichten? Das wäre nur ein Schreckschuss.
Читать дальше