Er deutete damit, ohne es zu ahnen, auf Terezies einzigen geheimen Aufstand hin. Und sie ahnte nicht, daß sie ihn damit für seinen Ausbruch bestrafte, der ihm allerdings noch dazu mißlungen war.
Die Tochter ging ins neunte Jahr, und er war langsam ehemüde. Seine neue technische Assistentin, eine fesche Ostslowakin mit ungarischem Feuer, vertraute ihm bedeutungsvoll bereits im Frühjahr an, sie würde auch den Sommer über in Bratislava bleiben; er begriff den Hinweis als Einladung zu einem Flirt. Damals verbrachte die Familie die großen Ferien noch in der sommerlichen Tatra, die ihn nicht weniger langweilte. Mit Hilfe des befreundeten Chefarztes inszenierte er eine kleine Intrige: Ausnahmsweise bekam er erst im Winter Urlaub.
Terezie hatte nichts gegen die Änderung, als er ihr vorschlug, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, und über Bekannte ein Privatzimmer und eine Kur in dem entfernten und berühmten Karlsbad bestellte. Auch damals sah alles so vielversprechend aus, und endete dann schlimm.
Die Assistentin ließ sich zu einem delikaten Abendessen ins Hotel «Carlton» einladen und verriet ihm erst an der Bar, sie gehe schon längst heimlich mit dem Chefarzt, der ihn grüßen lasse, da er heute mit seiner Gattin ausgehen mußte. Bohdan war stocksauer und deutete ihr nicht einmal seine Absicht an, um sich nicht noch lächerlicher zu machen. Die restlichen drei Wochen bummelte er durch die Bratislaver Nachtlokale, wo man sich Weiber suchen konnte, aber die meisten machten eben Ferien oder waren vergeben. Die einzige, die er endlich nach Hause brachte, hat ihn unerwarterweise aufgefordert, im voraus zu blechen. Er gehorchte aus Angst, ihr Zuhälter könnte sonst auftauchen.
Dann wäre er lieber vor Scham in die Erde versunken, als sie aus der Handtasche ihr eigenes Bettlaken herausfischte, weil sie ihn nicht kenne, und ihm wie ein Bereitschaftsarzt befahl, sich schnell freizumachen, denn er sei nicht der einzige in der Stadt, der sie brauche. Schließlich mahnte sie ihn, wie er seine Patienten, keine Angst zu haben und sich zu lockern, das andere würde schon sie besorgen. Es gelang ihr auch nach einer Weile, in der sie ihm eher Schmerzen bereitete, sein schlappes Glied zu wecken, um ihm dann «ein Strümpfchen anzuziehen», dann kippte sie ihn auf sich und bemühte sich vergeblich, «ihn einzuführen», bis sie ihn schließlich ungeduldig auf den Rücken umdrehte und sich auf ihn stülpte, um aus ihm unbarmherzig seine Säfte herauszupressen, wie ein Küchenroboter! stöhnte das erniedrigte Männchen in ihm.
Danach duschte sie sich lang im Bad, spritzte sich irgendein Desinfektionszeug ein, packte das Laken wieder zusammen und fragte nach weiteren dreihundert Kronen oder zwanzig Mark, falls er sie habe, für «Besonderes». Und er wußte nicht, daß er für seine Geilheit am schlimmsten ein halbes tausend Kilometer entfernt büßen muß: Terezie hat sich in dieser Nacht in einen anderen verliebt.
Nach all den Jahren passierte es ihr in der Fremde, die Böhmen für sie immer bedeutete, beinahe in Reichweite des Westens, der sich hier in Bauten, in Erinnerungstafeln, im Sendestrahl des westdeutschen Fernsehens, in Gästen aus aller Welt und in der Lebensart der Einheimischen manifestierte. Der Sohn des Villeninhabers, bei dem sie mit der Tochter wohnte, einer der wenigen Deutschen, die hier als «Antifaschisten» verbleiben durften, war in Terezies Alter. Er sprach fließend tschechisch, deutsch, englisch und russisch; ein Jurist, mit Eigentumsangelegenheiten der Vertriebenen befaßt, durfte er hin- und herreisen. Als er eines Morgens beim Frühstück, während dem er wie immer schwieg, so daß Terezie schon glaubte, er habe etwas gegen sie oder die Slowaken überhaupt, mitbekam, wonach die kleine Magduš sich so sehnte, setzte er sich in den Wagen und war zu Mittag mit einem Walkman zurück, den er hinter der Grenze samt einem Dutzend Kassetten gekauft hatte. Das Mädchen war auf dem Gipfel der Seligkeit, und die Mutter zerbrach sich den Kopf, wie sie sich revanchieren könnte. Sie mußte nicht allzulange überlegen.
Am darauffolgenden Tag fuhr er seine Eltern nach Deutschland und kehrte überraschend mit der Nachricht zurück, sie blieben einige Zeit bei Verwandten in Bayern. Das Frühstück würde er für die Gäste besorgen, und er wollte eigentlich längst gefragt haben, ob er sie nicht zu einer Landpartie einladen dürfe. Bislang lebte Mutter samt Tochter ruhig dahin, morgens pflegte sie Massagen zu nehmen, dann fuhren sie gemeinsam mit dem Bus zur Talsperre baden, abends trank sie ihr Quellwasser, kochte was Einfaches, und dann schauten sie sich das deutsche Fernsehen an, das sie nicht verstanden, spielten «Domino» und «Mensch ärgere dich nicht». Jetzt wurde alles anders. In drei Tagen erlebten sie Marien- und Franzensbad, besuchten Loket und Cheb, ehemals Ellenbogen und Eger, aßen in guten Restaurants, und er ließ nicht zu, daß sie auch nur ein einziges Mal bezahlte.
Nach der Rückkehr war Magduš so müde und voll von Eis und Oblaten, daß sie keinen Einwand erhob, als man sie zu Bett brachte und um die Erlaubnis bat, noch ein bißchen frische Luft schnappen zu dürfen. Die roch nach Parfüm und Zigarren; die berühmte kleine Halle des Grandhotels in Karlsbad war fest in der Hand von Ausländern. Stephan erwies sich als glänzender Tänzer, und sie erlernte, zum erstenmal seit ihren Jugendverbandszeiten, mit wachsender Selbstsicherheit moderne Schritte und Rhythmen. Es kam ihr wie ein uralter Traum vom Leben vor, aus dem sie ein gewisser junger Zahnmediziner allzu früh in den grauen Alltag vertrieben hatte.
Daß der Ehemann nicht telephonierte und nicht schrieb, sie waren es nicht gewohnt, denn sie hatten dazu selten Gelegenheit, entschwand aus ihrem Sinn, als wäre er dort nie gewesen, und auch der Tochter, bezaubert von dem neuen Freund, war der Vater keinen Schluchzer wert. Es konnte also kaum anders enden, als es endete.
Eines Abends bei der Rückkehr begleitete Terezie ihn folgsam in seine Dachstube hinauf. Sie liebte sich mit ihm bis in die wonnige Sattheit und schlummerte dann beseligt in seinen Armen, bis zu ihnen der Tag durchs Fenster kam. Danach stieg sie hinunter, wo Magduš, die Hörer an den Ohren, noch immer fest schlief und auch sie ohne Gewissensbisse nochmals einnickte, in der glücklichen Erwartung, auch morgen werde das alles weitergehen.
Es ging auch weiter, Nacht für Nacht. Und er gestand ihr bald, er liebe sie und möchte, daß sie sich scheiden ließe. Er bat sie, sie solle nach Bratislava allein zurück, um alles mit ihrem Mann zu regeln, die Tochter könne gleich hierbleiben! Terezie begriff, daß er ein Pfand wollte. Es war so berauschend, dabei zugleich so wirklich, daß sie es tatsächlich auch so gemacht hätte, wäre da nicht Magda gewesen.
Als sie sich bei der letzten Wiederkehr aus der kleinen Halle, wo sie auf die gemeinsame Zukunft angestoßen hatten, nur schnell überzeugen wollte, ob die Tochter schlafe und sie sich ihrer Leidenschaft hingeben konnte, fand sie das Kind in Tränen vor. Sie erschrak, es könne erkrankt sein, und war schon dabei, den Liebhaber zu Hilfe zu rufen, doch Magduš hat es ihr geradezu wütend verboten. Sie konnte nicht einschlafen, gab sie der Mutter zu, so sei sie durch die Villa geschlendert und dabei in sein Zimmer, wo sie im Papierkorb diese Abscheulichkeit fand! sie zeigte ihr ein zerknittertes Briefkonzept, in dem Stephan ihr wahrscheinlich vor der Reise noch eine Liebeserklärung machen wollte.
Ehe es ihr gelang, sich der Tochter anzuvertrauen und sich ihre Zuneigung zu erbitten, wurde ihr plötzlich bewußt: Das Mädchen ahnte nicht, an wen die Zeilen gerichtet waren. Daß Stephan mit ihrer Mutter was haben könnte, war Magduš undenkbar. Langsam begriff Terezie die wahre Ursache dieser wilden Trauer: Die Tochter hatte sich verliebt. In Stephan!
Zum erstenmal in ihrem Leben, mit aller Kraft erwachender Sinnlichkeit. So glücklich war sie, klagte sie der Mutter, daß er ledig sei und sie doch Zeit habe, für ihn erwachsen zu werden, denn er ist erst achtundzwanzig, ihr würden zehn, ja vielleicht nur acht Jahre genügen, und so lange könnte er auf sie warten. Doch jetzt ist alles zunichte, er liebt eine andere, und die Mutter müßte sie kennen!
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