Pavel Kohout
Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel: Erinnerungen
Erlebnisse – Erkenntnisse
Mit einem Geleitwort von Jiří Gruša
Aus dem Tschechischen von
Marcela Euler, Friederike Gürbig,
Silke Klein und Aleš Půda
Saga
Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel
German
© 2010 Pavel Kohout
Alle Rechte der deutschen Ausgabe © Osburg Verlag Hamburg 2009 www.osburg-verlag.de. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711449059
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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In memoriam
Meinen Lebensgefährten, die es nicht schafften, ihre Erlebnisse und Erkenntnisse aufzuzeichnen.
In spe
Unseren Enkelinnen und Enkeln, damit sie verstehen können, was wir nicht verstanden haben.
Die deutsche Fassung dieses Buches ist Gerda Neudeck gewidmet, in der ich meine späte Schwester fand.
P.K.
Geleitwort
Dieses Buch ist eine Harmonie der Gegensätze. Die Gegensätze kamen von allein, das Harmonische musste man wollen. Die achtzig Jahre, um die es hier geht, verkörpern die schlimmste Zeit Europas. Der Antagonismus übte sich kontinental. Wie kann man also den Widerspruch in Einklang verwandeln? Nun, man muss Pavel Kohout heißen und als Lebensbühne Prag oder Praha wählen. Denn hier endete das goldene »Dazwischen« der dreißiger Jahre, hier begann de facto zuerst der Heiße und dann der Kalte Krieg, hier schaute man den verunsicherten Russen ins Gesicht, als sie uns brüderlich helfen kamen und endlich sahen, dass sie niemand mag. Hier marschierte die samtene Revolution durch die Straßen als das Schlussstück der Wende, einst von Havel & Ko(hout) begonnen und jetzt feierlich zu Ende gebracht.
Die Mitte meint Maß, und Maß muss man üben. Pavels Vita ist ein Ritterturnier in diesem Sinne. Die Attacken kamen nämlich von überall, und meistens von hinten. Nur derjenige, der sie bestanden hat, kann uns erzählen, wo Stabilität zu finden ist. Denn Pavels Leben mit Hitler, Stalin und Havel ist nicht nur ein witziger Titel, es ist auch der Lebenslauf einer Dramatik, deren Plot, metaphorisch gesagt, mit dem Untergang des Abendlandes beginnt und mit einem Sommernachtstraum endet.
Die Exposition schildert das Prag der Ersten Tschechoslowakei als eine angenehme Adresse. Die Stadt von Pavels Kindheit lockt mit Wohlstand und Vielfalt. Natürlich gibt es Meister der Vereinfachung, die das Übliche möchten, also das Übel. Aber noch hofft jeder und feiert unter einem Himmel voller Feuerwerk. Bald aber werden die Feuerkörper explosiv. Und die Jungs zu Rekruten und Gefallenen.
Das tschechische Trauma jedoch ist die Kapitulation. Weniger militärisch, mehr moralisch. Es geht um das Debakel der Demokratie von 1938, die den Werdegang von Pavels Generation bestimmen wird. Man hat nicht bloß das Brüllen von Hitler im Ohr, sondern auch das Stillschweigen des Westens. Frankreich und England haben bei den Tschechen verspielt. Sie sind zu den »Glöcknern des Verrats« geworden.
Das Leben unter Hitler brachte zusätzlich eine geschichtlich nie dagewesene Erniedrigung und somit eine Schädigung des tschechischen Selbstbilds. Die Erfahrung der Okkupation als zweiter Akt des Kohout’schen Vita sorgte für die für Dramen so typische steigende Handlung. Man konnte die Vendetta-Sehnsucht merken, die Duplizität der Charaktere und den Rollentausch als Lebensstil. Die Heuchelei und das Heroische auf derselben Bühne. Dies wird Pavels großes Thema in diesem Buch. Es wird auch das Paradoxon seiner Texte, in dem der dritte Akt seines Spiels beginnt, die klassische Umkehrung. Es ist ein Jugendgesang, die Euphorie der Selbstbefreiung, die man leicht mit der Freiheit verwechselt. Verglichen mir dem deutschen Diktator, erscheint der russische human.
Sein Stahlglanz nämlich – dem Eponym Stalins »der Stählerne« entsprechend – täuscht zuerst Strahlkraft vor, erst dann folgt die Wucht des Stichs. Die Freude der Altersgenossen von Pavel ist aber ebenfalls traditionell. Die Tschechen waren Russophile. Im Unterschied zu Polen oder Ungarn hatten sie keine direkte Erfahrung mit der »riesigen Eiche« im Osten. Die Eiche der Deutschen wollte man fällen. Die russische hat man besungen.
Und jetzt lag der deutsche Baum wirklich danieder. So, wie das nicht einmal seine ärgsten Feinde bei uns für möglich gehalten haben. Doch wohlgemerkt, eben Kohouts Bilder der »gerechten Vergeltung«, wie die antideutschen Gräueltaten nach 1945 euphemistisch genannt wurden, haben von Anfang an die Gesetzlosigkeit und Brutalität des Geschehens kodifiziert.
Doch auch die Wende von 1948 wurde doppelsinnig. Alle wollten das Gute und beschleunigten den Gulag. Demokratie hat man verspottet als Metapher der Krise, ökonomisch und politisch. Die Nation dagegen wurde heilig, inklusive Sozialismus. Und so geschah es, dass die Tschechen, als das einzige Volk des zukünftigen Ostblocks, sich 1946 ihre Diktatur mit dem Stimmzettel besorgt haben.
Der unbekannte Schreiber der Weltdramen verfasste aber den dritten Akt von Pavels Werdegang. Die wahre Peripetie. Eine Umkehr der Situation ohnegleichen. Denn hinter dem euphorischen Rausch des Anfangs, wie soeben geschildert, befand sich bei manchen Akteuren ein echtes Ethos. Bei Kohout vielleicht am stärksten. Das Pathetische wurde komisch, das Kritische real. Ein neuer Duktus war entstanden, der alles ändern sollte.
Du kannst fabulieren, um schreiben zu können. Du kannst aber zu einer Fabel werden, um schreiben zu müssen. Diese zweite Art hat Pavel verinnerlicht. Weil aber Ethos als solches das Maß der Dinge bedeutet, schuf er als Autor fabelhafte Texte. Und startete eine sehr sachliche Auseinandersetzung mit der Nachkriegsära. Bald wurde er zu einem der wichtigsten Träger des tschechischen Reformdenkens. Dieses Mal sollten Geschichten von ähnlichen Menschen wie er Geschichte werden.
Jedenfalls wurde er zu der Hauptfigur des vierten Aufzugs unsers Stückes mit ungeahnten Konsequenzen. Denn was hier als tschechischer Heimatfilm begonnen hat, wurde zum Weltthriller. Die tschechischen Literaten wollten eine Sprachreform, einen freieren Duktus des Schreibens. Dies alles fing 1967 an, mit einem Schriftstellerkongress. Doch die Sprache zu erneuern meinte schon immer die Nomenklatur zu wechseln. Die große Invasion von 1968 sollte die alte retten. Es sah zu Anfang danach aus.
Der Faden aber entwirrte sich. Es wirkten nämlich die retardierenden Momente. Da nur die deutschsprachige Grenze (BRD, Österreich) friedlich blieb, kam alsbald die Potenz der nationalen Erzählkunst zum Erliegen. Die Tschechen hatten sie antideutsch aufgebaut, und jetzt wirkte sie wie ein Kitsch. Im Gegenteil, die freien Deutschen halfen den unfreien Nachbarn. Wien, München, Köln oder Hamburg wurden jetzt Exiladressen. Und als Kohout nicht zurückkonnte, verwandelte er sich in einen Wiener Vermittler der tschechischen Internationalität.
Der fünfte Akt unseres Schauspiels war da. Lustigerweise hatte er Absurdes in sich, etwas im Sinne der Texte von Ionesco. Übrigens hatte der Mitgestalter dieses Teiles, Havel, in der betreffenden Schule viel einstudiert. Es ist kein Zufall, dass sein Name den Titel unseres Buches krönt. Havel ist meine Generation, und wir dachten anders als die Nachkriegsoptimisten. Als er feststellen musste, dass seine Stücke nicht mehr aufgeführt werden, hat er das Politische nicht gefeiert, sondern analysiert. Er schrieb Die Macht der Machtlosen (1972) und nutzte die internationale Präsenz der tschechischen Literatur, die der Einmarsch zeitweilig sogar stärkte. Wien hat hier viel geholfen.
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