Pavel Kohout - Der Fremde und die Schöne Frau

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Eine romantische Liebesgeschichte in einer nordböhmischen Kleinstadt Können ein Papagei und ein Kater einander lieben oder wenigstens miteinander auskommen? Und wie verhält es sich mit ihren Besitzern, der schönen, aber schon in die Jahre gekommenen Tschechin und dem etwas jüngeren kurdischen Immigranten? Nur ein Meistererzähler wie Pavel Kohout vermag es, dramatische Zeiten und Lebensschicksale in einem einzigen tragikomischen Roman zu bündeln und zu einem reinen Lesevergnügen zu machen.-

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Pavel Kohout

Der Fremde und die Schöne Frau

Roman

Aus dem Tschechischen von

Silke Klein

Saga

1

Wie soll man eine Geschichte erfassen, die sich erst aus dem Ei der Phantasie schält, um den Leser nicht weniger als den Erzähler zu ergreifen, dessen ähnlicher Bestandteil sie ist wie eine Frucht im Mutterschoß? Wie soll man sie erdenken, damit sie Frauen und Männer, Jung und Alt ergreift, die nicht mehr zu lesen gewohnt, sondern dem Fernsehen verfallen sind? Und wie soll man sie erzählen, damit sie sogar sechsmal wöchentlich als Fortsetzung in einer Tageszeitung erscheint, die früh oder mittags oder abends gelesen wird, in der Straßenbahn oder in der U-Bahn oder im Café oder im Lehrerzimmer oder im Bett, bei unterschiedlichem Wetter und veränderlichen Stimmungen?

Für den Autor gibt es nichts Besseres, als sich an die Art und Weise zu halten, wie auch ihm Märchen erzählt wurden: am Anfang zu beginnen und immer dort zu unterbrechen, wo der Handlungsverlauf verspricht, über Nacht nicht in Vergessenheit zu geraten, sondern auch am nächsten Tag wieder aus dem Gedächtnis aufzutauchen, angetrieben vom Volldampf der vertrauten Sprache, die ihre elementare Stärke spielen ließ. Versuchen wir es also, viribus unitis – mit vereinten Kräften des Schreibenden und der Lesenden!

Die Frau wurde von allen die Schöne Frau genannt, nicht weil der Vater Schön hieß, sondern weil sie – schön war. Bezaubernd schön auf Jugendbildern, überwältigend schön auf dem Gipfel ihrer Jahre, als ihr Reiz nach innen strahlte und sich dann nach außen widerspiegelte, verstärkt vom Licht der Seele. Sie war weise und liebenswert; wer ihr begegnete, trug die Erinnerung an sie wie einen Schutzschild unter den menschlichen Abschaum, von dem es von Jahr zu Jahr mehr auf der Welt zu geben scheint.

Die Schöne Frau wurde Mitte der dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts in Nordböhmen geboren, in einer großen Stadt, die hier leicht geheimnisvoll als S. bezeichnet werden soll, oberhalb eines schiffbaren Flusses, den wir hier aus denselben Gründen mit F. bezeichnen, in einem einstöckigen Haus auf dem kleinen Platz in der Mitte einer Straße, um die gleichzeitig ein neues Viertel gebaut wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich hier, auf einer ehemaligen Freifläche, wegen der Gottesmarter mit dem heiligen Johann von Pomuky schon immer Mukanka genannt, ein neuer Geist- und Geldadel angesiedelt, der zwei Sprachen sprach und dem dreifachen Glauben von Deutschen, Tschechen und Juden huldigte.

Der Vater der Schönen Frau war in dritter Generation praktischer Arzt, der in der großen Krise zwischen den Kriegen zusammen mit seiner jungen Frau Prag verlassen hatte. Im malerischen S. am F. pflanzte er einen Baum, baute ein Haus und zeugte die Schöne Frau. Seine Praxis im Erdgeschoss wurde in Scharen von Patienten besucht, die beide Sprachen sprachen und allen Bekenntnissen jenes Viertels angehörten, das die meisten Titel auf- und das höchste Steuervolumen vorzuweisen hatte. Jeder lüpfte vor jedem den Hut, und jede nickte jeder freundlich zu, obwohl man gerade um die schönste Robe im Modesalon auf dem Hauptplatz von S. kämpfte.

Das Ende der guten Zeiten kam schleichend, um dann in einer einzigen Oktobernacht des Jahres neunzehnhundertachtunddreißig hereinzubrechen, als S. aufhörte, zur Republik der sieben Nationalitäten zu gehören, und sich einem einzigen Reich in die Arme warf. Als Erste reisten ohne Aufforderung die Juden ab, denen das Schicksal ihrer Glaubensbrüder jenseits der Grenze reichte. Die Tschechen durften bleiben, sofern sie ihre Sprache aufgaben. Die zarte Mutter der Schönen Frau liebte sowohl die Sprache als auch S.; die Vertreibung nach Prag überlebte sie nicht lange.

Kurz nach dem Krieg kehrten die Schöne Frau und ihr Vater zurück. Das Haus glich einer entehrten Frau, so sehr war darin der Atem der Gewalttäter zu spüren, die es fast sieben Jahre geschändet hatten. Weder Juden noch Deutsche kehrten in das Viertel zurück, ihre Häuser und Villen besetzte das siegreiche tschechische Volk. Ihre Gesandten wechselten ein paarmal, bis sie alles mitgenommen hatten, was von Wert war. Dann waren für S. normale Zeiten gekommen.

Die wahren Einwohner zogen wieder ein, wie es ihnen die langsam wiedererstehende Industrie und Flussschifffahrt erlaubten. Die Praxis war voll von anderen Patienten mit denselben Leiden. Dann entschloss sich das Volk, eine einzige Partei herrschen zu lassen. Die machte aus Privatpraxen Gesundheitszentren und schickte einen jungen Gynäkologen her, der den Vater bewachen sollte. Allerdings war das ein Kommunist, der an Ideale glaubte, und ein fähiger Arzt; er erlangte das Vertrauen des älteren Kollegen und das Herz der Schönen Frau, obwohl sie aus Kadergründen nur Krankenschwester werden durfte.

Die Zeit war schneller als die Wellen des F., sie schwemmte Galgen hinweg, die wirre Erneuerung und den betörenden Frühling voller Hoffnungen, die sich als illusorisch erwiesen. In einer Augustnacht des Jahres neunzehnhundertachtundsechzig donnerten russische Panzer so schrecklich unter den Fenstern, dass die Schöne Frau, die zart war wie ihre Mutter, eine Fehlgeburt erlitt. Ihr Mann verlor mit dem Kind auch seine Ideale, doch er wollte nicht noch mehr verlieren, und so tauschte er sie gegen eine Funktion in der missratenen Partei, aus der er ehemalige Genossen ausschloss. Die Schöne Frau zog deshalb wenig später aus dem Parterre ins Obergeschoss zu ihrem Vater, der sich vor dem Schwiegersohn in die Frührente geflüchtet hatte, und als auch sie ein angeborener Herzfehler rettete, kaufte sie aus einem Tierheim einen Papagei frei, dem nach Jahrzehnten das Herrchen gestorben war. Ihr Mann trank sich ohne sie und seine Ideale im Parterre zu Tode. Seine neuen Genossen schlossen das Gesundheitszentrum.

Als auf dem Hauptplatz von S. der siegreiche November neunzehnhundertneunundachtzig mit Schlüsselrasseln eingeläutet wurde und das Volk sich aufmachte, den Kapitalismus aufzubauen, erhielt der Vater zwei niedrige Mietshäuser am Ende der Straße zurück, die er vor dem Krieg als Mitgift für seine Tochter gekauft hatte. Nun wollte er ihr nach den Jahren der Not das Leben versüßen, in das kein weiterer Mann trat. Das vorherige System hatte mit den Häusern wohl andere Absichten gehabt, die es jedoch vierzig Jahre lang nicht klärte; nachdem der letzte Mieter verstorben war, ließ es sie fast verfallen. Doch auch für die Ruinen bekam der Vater genug, um mit dem Wissen, die Schöne Frau abgesichert zu haben, friedlich sterben zu können, was ihm auf Jahr und Tag gelang.

Vorher ließ er noch die Praxis zu einer Essküche umbauen, damit sie später nicht so oft Treppen steigen musste, und die untere Wohnung erweitern, damit sie sie vermieten könnte. Kurz nach seinem Ableben zog dort Herr Hedvábný ein, ein geschiedener Professor, der einst, als sein Latein in Ungnade gefallen war, der Schönen Frau Russisch beigebracht hatte. Sie wollte nicht das einzige menschliche Wesen im Haus bleiben, und da ihr nicht die Verelendung drohte, nahm sie ihn fast nur für einen Handkuss auf.

Das neue Jahrtausend veränderte mit lautem Knall die alte Ordnung. Der Eigentümer der verfallenen Häuser verkaufte diese für das Zehnfache an die Gemeinde, die still baute, bis sie sich plötzlich mit Notunterkünften für Bürger rühmte, die man als »Nichtanpassungswillige« bezeichnete. Bald zogen dort drei Dutzend Familien ein, denen zu Hause wohl die Decke auf den Kopf gefallen sein musste, denn statt unter einer solchen hatten sie Tag und Nacht unter freiem Himmel gewohnt. Das Stimmengewirr und der Lärm der Radios drangen glücklicherweise nur bei Nordwind hierher, der nur selten wehte. Es waren allerdings Tamtams, die Gesinnungsgenossen von weither zusammentrommelten.

Es dauerte nicht lange, und das tschechische Ehepaar, das den Lebensmittelladen auf dem Platz übernommen hatte, wurde von einem Schwarm kleiner Menschen mit Mandelaugen abgelöst; das Schild ließen sie dran, doch ein Jahr später kauften sie auch das Nachbarhaus, aus dem und in das weitere kleine Menschen mit großen Koffern liefen. Die Pension, in der vor dem Krieg Touristen und danach ledige Gemeindebeamte genächtigt hatten, wurde zu einer Herberge für die Ukrainer, die die Kläranlage bauten. In der ehemaligen Apotheke bot ein Bosnier Kebap feil. Von der Gottesmarter verschwand der heilige Johann, der Dieb hinterließ dort nur seine stinkende Visitenkarte.

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