«Flüchtlinge?» fragte der ältere der jungen Männer.
«Warum denn?» antwortete Strniště mit einer Frage.
«Flüchtlingen wird der Besuch hier nicht empfohlen», erklärte der jüngere Jüngling.
«Und zwar warum?»
«Es ist nicht der Sinn der Unterstützung für Asylbewerber, daß man sie hier verspielt.»
«Sehr vernünftig», sagte er, «ich beabsichtige aber, hier zu gewinnen.»
«Wir bedauern, doch...»
Die Pianistin wurde wütend. Sie versöhnte sich bereits damit, daß sie in der Nacht nicht im Lager aufgenommen wurden, doch hier war sie einst gewissermaßen als Königin aufgetreten und wollte nun nicht wie ein lästiges Insekt verscheucht werden.
«Ist das eine Empfehlung oder ein Verbot?»
Beide Empfangsleute schauten sie genauer an und wurden milder.
«Eine Empfehlung», sagte der Ältere, «doch wir richten uns nach ihr, wir haben hier schon Tragödien erlebt.»
«Was sagt er?» fragte der Gärtner.
Der Antwort hat Strniště wahrhaft wie ein Zauberer vorgegriffen. In der Hand, vor einem Augenblick noch leer, hielt er ein grünes Büchlein und sagte höflich.
«Der Irrtum besteht nur darin, daß wir ordentliche Bürger der Tschechoslowakischen und obendrein noch Sozialistischen Republik sind. Ist auch denen hier der Zutritt verboten?»
Verlegen haben sie darin geblättert. Strniště wandte sich seinem Häuflein zu.
«Bemühen Sie sich bitte, auch Ihre Pässe vorzuzeigen, damit sie uns zum letztenmal von Nutzen sind. Und du», ordnete er ähnlich unverbindlich Bobina an, «verdünnisiere dich auf zwei Nullen!»
«Wie...» sie begriff nicht.
«So, die Richtung, in die dein Hintern zeigt, und dann links, ich kann es dir jetzt nicht zeigen, schleich dich dann einfach nach, danke!» dies galt bereits dem Paar, das ihm seine Papiere wiedergegeben hatte.
Die Wachsamkeit der Jünglinge zerstreute sich, das Mißtrauen noch nicht.
«Bei uns wird nur in Gesellschaftskleidung gespielt.»
Der Zauberer zeigte spöttisch in den Spielraum. An der Kasse hinter der Tür wechselte eine Männerschar in amerikanisch schrillen Sakkos Geld ein.
«Sehen wir da nicht besser aus?»
«Die Herren tragen Krawatten.»
«In jedem guten Kasino dieser Welt», sagte er bedeutungsvoll, «hat man mir einen Schlips geliehen.»
Ein zweitesmal versuchten sie, die Oberhand zu gewinnen.
«Hier wird nur um harte Währung gespielt.»
«Schillinge?»
Es klang enttäuscht und für sie endlich wie der Punkt hinter diesem Auftritt. Sie beugten sich bereits über irgendwelche Papiere, als er sie endgültig fertigmachte.
«Und keine Mark?»
«Nur westliche.»
«Aha. Und Fränkli?»
«Die auch.»
«Und Pfund. Ich meine das englische?»
«Natürlich», das klang bereits gereizt.
«Und Dollars. Ich meine die amerikanischen?»
«Wir nehmen jede konvertible Währung an.»
«Ach, so geht’s hier zu. Und die Untergrenze? Wie zum Beispiel, daß ich mindestens tausend haben muß?»
Zu Recht hielten sie ihn schon für einen Spinner.
«Sie müssen soviel haben, um spielen zu können.»
«Und wie hoch ist der niedrigste Einsatz?»
«Tagsüber zwanzig, jetzt fünfzig Schillinge», sagte der Jüngling abschätzig.
«So daß das da reichen müßte!»
Er knöpfte die Manchesterjacke auf, und dann erstarrte auch das böhmische Duo. Eine Miniweste mit sechs aufgequollenen Täschchen überspannte das Hemd, die er der Reihe nach öffnete, um jedesmal ein Bündel zusammengefalteter Banknoten ein wenig zu lüften, jede Tasche eine Währung.
«Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir einen Safe zu mieten», erklärte er freundlich den sprachlosen Rezeptionisten, «findet man jetzt für uns ein Schlipspärchen?»
Da sie dorthin mußte, wollte die Verkäuferin auch zugleich das WC ausnutzen und erlebte dabei den ersten Schock. Zuerst war sie außerstande zu erkennen, daß sie tatsächlich dort war, wohin sie sollte. Ein Marmorsalon mit einer Reihe sonderbar geformter Waschbecken, in den sich leise Musik ergoß, erinnerte an nichts, was sie je gesehen hatte. Als sie endlich feststellte, daß sich hinter den Spiegeltüren Kabinen verbargen, war sie sich wiederum nicht sicher, ob die Sitze aus geblümtem Porzellan wirklich so einem niederen Zweck dienten. Danach erlebte sie das Schlimmste: Sie konnte die Spülvorrichtung nicht finden. Kein Hebel, keine Kette, aber auch kein Wasserkasten, nichts.
Am Rande der Verzweiflung hatte sie einen Druckknopf entdeckt, fast unsichtbar in die Kachelwand eingelassen. Dann erschrak sie, als ein giftiggrüner Wasserstrahl in die Schüssel sprang, erst an dem wohlriechenden Duft, den er mit sich führte, hat sie das Reinigungsmittel erkannt.
Mit einiger Scheu wollte sie sich in einem der prachtvollen Becken die Hände waschen. Sie war immer ein reinliches Mädchen gewesen, doch in Böhmen ging sie lieber verschmutzt nach Hause, statt sich in der rostigen Flüssigkeit säubern zu müssen, die aus den Röhren im Kaufhauswaschraum tröpfelte. Hier jedoch fand sie keinen Wasserhahn, nur einen seltsamen Hebel, der sich nicht niederdrücken ließ. Langsam wurde sie wütend auf die ganze Vornehmheit, hier will mir jemand mit aller Macht zeigen, daß ich total blöd bin!
Es gelang ihr, den Hebel nach links und rechts zu schwenken, ohne einen Tropfen herauszumelken. Kaputt! beschloß sie endlich und versuchte beim nächsten ihr Glück. Kein Wasser! fiel ihr eine weitere tschechische Erklärung ein, und es freute sie; geschieht ihnen recht, den Angebern! Dabei zog sie den Hebel nach oben und schrie auf. In die Schüssel prallte heißes Wasser, im Nu verschwand der Spiegel im Dampf. In Panik drückte sie den Hebel in die richtige Stellung. Oh du liebe Omi, schon gefährlich dieser Westen!
Ein Handtuch suchte sie gar nicht erst. Zu Hause hingen überall höchstens fleckige Fetzen, schon der bloße Anblick ekelte sie. Aber in diesem Luxus muß sich der Mensch doch abtrocknen können! Drei Kästchen an der Seitenwand zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich; Lufttrockner, fiel ihr ein, doch sie fand keinen Schalter. Dann hat man sie wieder reingelegt: Als sie bereits nur der Ordnung halber unten herumtastete, blies es plötzlich heiß heraus. Das Vieh reagiert allein! Sie trocknete sich, stolz, alle hiesigen Tricks durchschaut zu haben, aber zugleich in Sorge, wieviel schlimmere sie in dieser Welt noch erwarteten.
Die Empfangsherren schenkten ihr keinen Blick mehr, und den Kontrolleur entwaffnete sie mit tschechischem Gruß.
Ihr Busen schien der beste Passierschein zu sein.
«Ahoj! Das bin nur ich wieder!»
Die Pianistin staunte, wie ein Streifen bedruckten Stoffs den Charakter eines Menschen verändern kann: Der Gärtner sah mit der breiten Leihkrawatte geradezu weltmännisch aus. Als sie es ihm verriet, während der Zauberer Geld für Jetons wechselte, nickte er bedrückt.
«Jawohl... ich würde lieber Weggehen.»
«Was ist mit dir?» wunderte sie sich; darauf war sie nicht gefaßt.
«Ich fühle mich hier nicht wohl.»
«Und warum?»
Soll ich mich auf Müdigkeit rausreden? überlegte er, doch wie immer gewann seine Wahrheitsliebe.
«Ich gehöre nicht hierher.»
Kann er meine Gedanken lesen? erschrak sie. Ahnt er, daß ich an einen anderen denke, sieht man es mir an? Damals hatte sie mit dem Jungen nichts, sie war so dumm, an einen Ilja in Prag zu glauben, dessen glatte und flache Sprüche sie von Anfang an hätten warnen müssen, und eben der Schiffbruch hat sie zu diesem Mann vom Lande hingezogen, ihr gegenüber fast dreimal so jung wie Christopher damals. Doch was heute ihre Beziehung bedrohte, war ganz anderer Natur.
«Václav!» sagte sie leise, aber eindringlich zu ihm, «bitte fang nicht wieder damit an! Wenn du meinst, es wäre eine Lasterhöhle, so reimt es sich nicht mit deiner Toleranz allem Menschlichen gegenüber; das hier ist eine der wenigen Chancen, die das Leben wirklich jedem bietet. Und wenn du damit sagen willst, daß du nicht hierher gehörst, denkst du nicht wie ein Christ!»
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