1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 »Nein.«
»Hm, für meinen war das zum Glück nie ein Problem. Für meine Mutter auch nicht.«
Wir unterhalten uns noch eine Weile über unsere Outing-Erfahrungen, die kaum vorhandene Szene hier und das schwule Leben in der Gegend, während wir den Wald erreichen. Heute lasse ich Sputnik nicht aus den Augen. Noch einmal will ich nicht erleben, dass er plötzlich weg ist. Zum Glück findet er aber Ernst spannender als etwaiges Wild.
Wie schon am Sonntag nach der Hundeschule ist es auch heute leicht und lustig mit Hanno. Er ist ein witziger Typ, nett und aufmerksam und ich mag ihn. Ob ich ihn mehr als nur mögen kann, weiß ich noch nicht, aber das muss ich ja auch noch nicht wissen.
»Was hältst du von einer kleinen Pause?«, fragt Hanno nach einer Weile.
»Gerne.«
»Dort vorne ist eine nette Lichtung.«
Ich lache. »Eine Lichtung, soso.«
»Es ist noch hell, es sollte also keine zwielichtigen Gestalten dort geben«, meint Hanno und zwinkert mir zu. »Außer mir natürlich.«
»Du bist doch der Schlimmste von allen.«
»Wo du recht hast…«
Wir legen die paar Schritte zu der Lichtung zurück und Hanno hat nicht zu viel versprochen, sie ist wirklich nett. Nicht sonderlich groß liegt sie umgeben von Tannen und Kiefern in der Abendsonne. Auch Sputnik scheint es hier zu gefallen, er fordert Ernst sofort zum Spielen auf. Der jedoch japst erschöpft, legt sich hin und weigert sich aufzustehen, egal, wie sehr Sputnik um ihn herumhüpft. Für den kleinen Mops war der Weg wohl doch etwas anstrengend.
Hanno macht sich unterdessen an seinem Rucksack zu schaffen und befördert tatsächlich eine Picknickdecke hervor, die er ausbreitet und auf die er sich anschließend fallen lässt.
»Wow!«, sage ich und setze mich neben Hanno.
»Das ist noch nicht alles«, meint der und greift wieder in seinen Rucksack, um zwei Flaschen Limonade und eine Tupperdose hervorzuholen. Er zwinkert mir zu. »Erwins Zwetschgenwähe.«
Ich muss lachen. »Ich hoffe, du tötest mich nicht, wenn ich mal probieren will.«
»Ausnahmsweise teile ich meine Wähe mit dir.«
»Hach, zu gütig. Warte, ich habe auch etwas mitgenommen.«
Damit öffne ich nun meinerseits meinen Rucksack und hole den Obstsalat heraus, den ich vorbereitet habe. Außerdem fische ich die beiden Rinderohren, die ich für die Hunde mitgenommen habe, hervor und werfe sie Sputnik und Ernst zu.
»Sehr gut vorbereitet«, meint Hanno. »Gefällt mir.«
»Allzeit bereit«, erwidere ich, zwinkere ihm zu und fühle mich herrlich leicht und unbeschwert.
Wir essen in friedlicher Eintracht und plaudern über alles, was uns so einfällt. Hauptsächlich natürlich über unsere Hunde.
Nachdem Obstsalat und Zwetschgenwähe – die wirklich hervorragend schmeckt – verzehrt sind, lassen Hanno und ich uns auf den Rücken fallen und schauen in den Himmel. Über uns kreist ein Habicht. Eine Weile beobachte ich ihn, bis er plötzlich davonstürzt. Wahrscheinlich hat er Beute entdeckt.
»Letztens ist Sputnik abgehauen, als wir im Wald waren«, erzähle ich, weil mich der jagende Habicht daran erinnert hat. »Ich habe mich umgedreht und er war weg.«
»Oh Gott!«
»Ja, ich war schon völlig verzweifelt. Es hat gefühlt ewig gedauert, bis er zurückgekommen ist.«
»Glück gehabt.«
»Ja, total. Aber er war nicht allein. Er hat im Wald einen Kumpel gefunden. Ich weiß nicht, ob es ein Hund war oder ein Wolf.«
»Ein Wolf?« Hanno richtet sich halb auf, dreht sich auf die Seite und blinzelt mich entgeistert an.
»Ja, er sah aus wie ein Wolf. Aber benommen hat er sich wie ein Hund. Ein bisschen scheu vielleicht, aber er hat total nett mit Sputnik gespielt.«
»Hm, aber vielleicht war es trotzdem ein Wolf. Es gibt immer mal wieder Wölfe im Schwarzwald.«
»Ja, aber hier in der Gegend war noch keiner. Also… Ich weiß nicht… Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich glaube, das war ein Hund. Wölfe kommen doch nicht zu Menschen und sie spielen erst recht nicht mit kleinen Hunden.«
»Klingt aber trotzdem nicht ungefährlich.«
»Ach nein, ich glaube nicht. Ich habe mich zuerst auch total erschrocken, aber er war wirklich nicht aggressiv. Zu Sputnik nicht und mir gegenüber erst recht nicht.«
»Hast du die Begegnung denn gemeldet?«
»Ja, habe ich. Ich habe im Tierheim angerufen, aber niemand vermisst einen Wolfhund. Und dass ich ein Tier gesehen habe, das eventuell ein Wolf gewesen sein könnte, habe ich auch an die entsprechende Stelle geschrieben. Aber ich habe keine Bilder gemacht und es war dunkel, also werden sie mit dem Hinweis nicht wirklich etwas anfangen können.«
Wir bleiben noch eine Weile liegen und unterhalten uns weiter über alles Mögliche. Obwohl ich nach seinen vorigen Kommentaren eigentlich damit gerechnet hatte, unternimmt Hanno keinen Annäherungsversuch. Ich finde das schön. Denn auch wenn ich mich nach körperlicher Nähe sehne, mag ich es doch, wenn sich zwischenmenschliche Dinge langsam entwickeln.
Nach einiger Zeit kühlt es merklich ab und das goldene Licht wird zunehmend trüb. Es beginnt zu dämmern. Wir beschließen also aufzubrechen. Der Rückweg kommt mir viel kürzer vor als der Hinweg und so dauert es nicht lange, bis wir wieder an unseren Autos stehen und uns etwas betreten ansehen.
»Danke«, sage ich schließlich. »Das war wirklich, wirklich schön.«
»Gerne«, meint Hanno lächelnd. »Finde ich auch. Wir sehen uns dann Sonntag in der Hundeschule?«
»Ja.«
»Und dann noch mal auf ein Date?«
»Sehr gerne.«
»Fein.«
Hanno strahlt richtig und dann beugt er sich vor und küsst mich. Es ist nur ein kleiner Kuss, mit noch unvertrauten Lippen und kratzigem Bart. Der Kuss durchfährt mich nicht wie ein Blitz, da ist kein Prickeln und kein Schaudern, kein ahnungsvolles Sehnen, keine Explosion in meinem Inneren. Von einem ersten Kuss mit jemand beinahe Fremden wäre das aber auch zu viel verlangt. Es ist trotzdem ein angenehmer, fast schon ein schöner Kuss.
Hannos dunkle Augen funkeln mich an, sein Lächeln malt Grübchen in seine Wangen. »Also dann, Tschüss!«
Ein bisschen verlegen senke ich den Blick. »Tschüss!«
Nach einer letzten kurzen Umarmung verfrachten wir unsere Hunde in unsere Autos, winken uns noch einmal zu und steigen ein. Ich denke, das Date ist gut gelaufen. Und wer weiß, vielleicht war es ja der Anfang vom Ende meiner Einsamkeit.
Die Wochenendschicht ist immer stressig. Wir arbeiten in kleinster Besetzung, damit niemand zu oft am Wochenende arbeiten muss. Das bedeutet mehr freie Wochenenden, aber umso mehr Arbeit, wenn man am Wochenende dran ist. Dieses Mal ist es besonders schlimm, denn der Ort scheint verrückt zu spielen. Liegt vielleicht am Vollmond. Jemand hat versucht, einen Geldautomaten zu knacken und ist daran gescheitert. Das Haus eines Lehrers ist mit wüsten Graffitis beschmiert worden. Und ein Schaf ist tot. Letzteres hält mich den ganzen Tag in Atem. Es ist tatsächlich eine merkwürdige Geschichte, von der ich früh morgens erfahre, als ich das Büro erreiche.
Weil es keinen Aufschub duldet, mache ich mich sofort auf den Weg zum Bauernhof von Gerd Blümle. Sputnik lasse ich im Auto, als ich mich auf den Weg zur Weide mache.
Noch bevor ich auf der Weide ankomme, finde ich eine kleine Menschengruppe in hellem Aufruhr vor.
»Sind Sie von der Presse?«, werde ich sofort von einem untersetzten Mann mittleren Alters angesprochen.
»Ja. Lukas Feuerbach mein Name.«
»Gut. Sehen Sie sich das an! Das war sicher der Wolf!«
»Das ist nicht erwiesen, Herr Blümle«, mahnt eine Frau in meinem Alter, deren wirre braune Dreadlocks sich halb aus Ihrem Pferdeschwanz lösen.
»Ach, papperlapapp! Ihr Bürokraten wollt nur die wichtigen Entscheidungen hinauszögern, bis es zu spät ist!«
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