Deutsche Erstausgabe (ePub) Februar 2021
© 2021 by Iris W. Maron
Verlagsrechte © 2021 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
Lektorat: Jannika Waitl
ISBN-13: 978-3-95823-869-5
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Klappentext:
Lukas arbeitet als Journalist bei einer Lokalzeitung im Schwarzwald. Da sein Sozialleben de facto nicht existiert, nimmt er einen Hund aus dem Tierheim auf und knüpft in der Hundeschule tatsächlich schon bald neue Kontakte. Angetan hat es ihm vor allem Hundetrainer Chris, der allerdings sämtliche Annäherungsversuche abblockt – obwohl es zwischen ihnen durchaus knistert. Als in der Gegend wiederholt ein Wolf gesichtet wird, ist die kleine Stadt bald in Aufruhr und Lukas hat mit der Berichterstattung alle Hände voll zu tun. Während die Lage sich zuspitzt, kommt Lukas auch allmählich dem Geheimnis auf die Spur, warum Chris sich so dagegen sträubt, der gegenseitigen Anziehung nachzugeben…
Endlich wieder rennen. Endlich wieder Waldboden unter den Pfoten. Der Wolf war viel zu lange eingesperrt. Er holt weit aus, fliegt beinahe, streckt den Körper. Er genießt es, sich wieder spüren zu können. Den Wind in seinem Fell, den nachgiebigen Untergrund unter den Tatzen, Äste, die seine Flanken streifen. Ein Sprung über einen abgestorbenen Baumstamm. Sicher landet der Wolf und rennt weiter, geradewegs auf eine Schlammpfütze zu. Er läuft mitten durch die Pfütze, Schlamm quillt zwischen seine Zehen, spritzt auf sein Fell, beinahe in seine Augen. Er möchte heulen vor Glück.
Es ist ein fremder Wald, durch den der Wolf läuft. Überall sind fremde Gerüche, fremde Geräusche. Und doch ist er vertraut. Der Wolf wird langsamer, schnüffelt. Vor Kurzem war hier ein Reh und dort ein Eichhörnchen. Er riecht einen Fuchs, mehrere Hunde und die Alufolie, die jemand achtlos entsorgt hat.
Der Wolf hält an einem Brombeerstrauch, schnüffelt wieder. Er meint, die leise Ahnung eines fremden Wolfs zu riechen. Eine alte, entfernte Erinnerung. Der Wolf hebt sein Bein und pinkelt auf das Blattwerk. Es gibt ein befriedigendes Geräusch und sofort steigt sein eigener Geruch ihm in die Nase. Alles seins. Sein Revier.
Ein paar Sprünge weiter lichtet sich der Wald ein wenig und gibt den Blick auf den Mond frei. Voll ist er und groß und blutrot. Bei dem Anblick schwillt ein Heulen in der Brust des Wolfs. Er will nach seinem Rudel rufen. In Momenten wie diesem vermisst er sein Rudel. Auch wenn es nötig war zu gehen: Er hasst es, ein Einzelwolf zu sein.
Der Wolf öffnet schon das Maul, da erinnert er sich daran, dass er nicht auf sich aufmerksam machen darf. Keine Geräusche, keine Spuren. Doch, oh, es ist schwer.
Um nicht doch noch zu heulen, rennt er weiter, wird wieder schneller. In sinnlosem Zickzack läuft er zwischen den hohen Bäumen hindurch. Immer seiner Nase nach. Und dann ist da plötzlich dieser Geruch.
Der Wolf schnuppert. Etwas liegt in der Luft, doch er kann nicht genau sagen, was es ist. Ein Geruch, ein Duft. Die pure Verlockung. Der Wolf senkt die Schnauze auf den Waldboden und atmet tief ein. So muss der Himmel riechen. Und besser noch: So muss Zuhause riechen.
Zwischen Brombeerranken hindurch folgt der Wolf der Spur. Er duckt sich in die Schatten, schleicht und kauert. Ein Geräusch, ein Knacken. Und dann Schritte. Atmen, hektisch und abgehackt. Der Duft wird stärker. Der Wolf umrundet einen Baum, und dann sieht er ihn. Den Mann, der duftet wie alles Gute in der Welt. Der Wolf will zu ihm rennen, sofort, so schnell es geht. Doch er weiß, er darf es nicht.
Er muss ein Geräusch von sich gegeben haben, denn plötzlich sieht der Mann in seine Richtung. Da schiebt sich eine Wolke, die eben noch den Mond verdeckt hat, zur Seite. Es wird heller im Wald. Der Schatten, in dem der Wolf kauert, zieht sich zurück und gibt ihn frei.
Auge in Auge stehen der Wolf und der Mann einander gegenüber. Der Mann erstarrt. Unter den verführerischen Duft mischt sich der scharfe Geruch der Angst.
Ich bin einsam. Der Gedanke trifft mich unerwartet und mit voller Wucht. Ich sitze bei strahlendem Sonnenschein am Badesee, eine leichte Brise streicht durch mein nasses Haar, es riecht nach Sommer, nach Wasser und ein bisschen auch nach dem Frittierfett der Pommesbude, und meine Einsamkeit ist das Einzige, woran ich denken kann.
Überall um mich herum sind Menschen. Überall wird gelacht und geredet. Kinder planschen im seichten Wasser oder jagen sich über die Wiese. Eine Gruppe junger Männer spielt Volleyball. Ein altes Paar sitzt schweigend nebeneinander, beide in eine Zeitung vertieft. Eine Frau mit auffallend rotem Haar holt eine aufgeschnittene Wassermelone aus einer Kühltruhe und reicht ihrer Tochter und ihrem Mann je eine Scheibe. Drei Frauen undefinierbaren Alters mit der ledrigen Haut derer, die den ganzen Sommer am See verbringen, sitzen auf niedrigen Klappstühlen und diskutieren lautstark über die Arthritis von Monika – wer auch immer das ist.
Die Anwesenheit all dieser Menschen macht mir bewusst, wie allein ich bin.
Ich will das nicht mehr. Ich will mich nicht mehr einsam fühlen. Ich weiß, ich muss etwas ändern. Für den Moment kann ich aber die unliebsamen Gefühle nur so gut es geht beiseitedrängen und mich daran erinnern, weswegen ich heute eigentlich hier bin.
Die Nervosität und die Aufregung, die mich begleiten, seit ich vorhin aus dem Auto gestiegen bin, kehren zurück. Dass ich mich tatsächlich hierher getraut habe, wundert mich immer noch ein bisschen. Doch letztens, an meinem dreißigsten Geburtstag, der genauso war wie all die anderen – langweilig und ohne Feier, ein Arbeitstag wie jeder andere auch –, habe ich mir vorgenommen, in meinem neuen Lebensjahr mehr zu wagen. Mutig zu sein, meine Komfortzone zu verlassen. Einmal will ich ein Abenteuer erleben, etwas Neues. Und nach langer Zeit wieder körperliche Nähe, Sex. Ohne Gefühle.
Dass das Gebiet am Badesee, hinter dem FKK-Bereich, nachts zur Cruising Area wird, weiß ich schon lange. Bisher habe ich mich dort noch nie hingewagt. Heute aber, heute bin ich so weit. Ich werde bleiben, bis die Sonne untergegangen ist, und dann werde ich in den Wald gehen, zu dieser Lichtung, und einen Mann suchen, um mit ihm Sex zu haben. Einfach so.
Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Meine Ohren beginnen zu glühen, als ich erkenne, wer mich anruft: meine Mutter. Eine Erinnerung an das Gefühl, als Teenager beim Masturbieren erwischt zu werden, breitet sich in mir aus.
Ich atme tief durch und hebe ab. »Hallo, Mama.«
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